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Unter den Teppich gekehrt

Unter den Teppich gekehrt
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In der Stadt Riedlingen gibt es eine dubiose Stiftung, gesponsert von einem Mann, der sich als rechtsradikaler Autor hervorgetan hat (wir berichteten). "Lassen Sie die Hände von dem Thema", rät die Vize-Bürgermeisterin. Das tun wir nicht.

Für den Riedlinger Wolf Kalz ist Demokratie Teufelszeug und Demokraten sind Verbrecher. Sein zentraler Begriff ist "das Volk", und zwar ganz im Sinne dessen, was in zwölf langen Jahren zu Krieg und Vernichtung geführt hat. Nachzulesen in seinem Buch "Das entfesselte Gute", dritte Auflage Federsee-Verlag 2017. Mit rund 2000 so genannten Aphorismen verbreitet Kalz seine Weltsicht.

Wolf Kalz ist promovierter Historiker. Der Mann könnte als einzelner Wirrkopf ignoriert werden, aber es kommt hinzu, dass sein Geltungsbewusstsein ihn 2011 zum Stifter werden ließ für seinen Nachlass: Kunst und zunächst auch seine Bücher. Und dafür holte er die Stadt Riedlingen ins Boot, die ihm im Rathaus eine Dauerausstellung einrichtete. Und selbst wenn man davon ausgeht, dass bis dahin niemand auch nur eine Zeile von Kalz gelesen hatte, obwohl seine Bücher ausdrücklich Bestandteil der Stiftung waren, spätestens vor einem Jahr musste allen, die es wissen wollten, klar sein, wes' Geistes Kind Kalz ist, denn seitdem kursierte eine Zitatensammlung. Eine Kostprobe:

Aphorismus 1858

"Alle Menschenrechtspraxis ist aggressiv, ist totalitär, ist imperialistisch und global."

Aber nichts geschah, der Skandal wurde unter den Teppich gekehrt. Kalz' Bücher verschwanden still und heimlich aus der Vitrine, und der Bürgermeister handelte das Thema in nicht-öffentlicher Sitzung ab. Und statt Fragen zu beantworten, droht er mit dem Rechtsanwalt. Doch erst das Ignorieren und Vertuschen des Offensichtlichen lässt Kalz den Spielraum, alle Demokraten zu verhöhnen. So viel war bereits <link https: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft brand-stiftung-4712.html _blank internal-link-new-window>im ersten Kontext-Artikel über Kalz nachzulesen, aber was geschah seitdem?

Bürgermeister Marcus Schafft schweigt weiterhin und droht dem Gemeinderat mit disziplinarischen Maßnahmen, sollten sich nicht alle an die Verschwiegenheit von nicht-öffentlichen Gemeinderatssitzungen halten. Wie ernst der Bürgermeister es meint, bekommt Roland Uhl zu spüren.

Bürgermeister droht mit disziplinarischen Maßnahmen

Den grünen Gemeinderat bezichtigte Schafft, der Presse Infos aus einer nicht-öffentlichen Sitzung zur Kalz-Stiftung gesteckt zu haben, und setzte sogleich den Vorwurf auf die Tagesordnung der nächsten Gemeinderatssitzung. Zum Sachverhalt führte er aus: Rechtsanwalt Armin Schneider könne bezeugen, dass Uhl sich mit der Angelegenheit an die Redaktion des Anzeigenblatts "Südfinder" gewandt und dabei auch Unterlagen übergeben habe. Deshalb, so die Beschlussvorlage, solle gegen Stadtrat Uhl ein Ordnungsgeld in Höhe von 200 Euro verhängt werden.

Der Tagesordnungspunkt wurde schließlich nicht verhandelt, und Uhl bringt vor, dass der Bürgermeister als Stiftungsbeirat in der Sache eh befangen sei. Der Stadtrat hält es überdies für völlig "absurd", dass ausgerechnet der Rechtsanwalt Armin Schneider vom Riedlinger Bürgermeister als "Zeuge" benannt werde, da der Sohn des Ex-Landrats Peter Schneider selbst Vorstandsmitglied in der Kalz-Stiftung sei.

Die abstrusen Vorgänge im Riedlinger Rathaus lenken aber ab von einer viel wichtigeren Frage. Warum in einer Stadt, die mit 21 "Stolpersteinen" und Gedenktafeln sich durchaus ihrer braunen Vergangenheit stellt und mit Ludwig Walz, ihrem ersten Bürgermeister nach dem Krieg, einen "Gerechten unter den Völkern" vorweisen kann, dennoch ein rechtsradikaler pensionierter Gymnasiallehrer offensichtlich braune Narrenfreiheit genießt.

Der Bürgermeister hält sich zu Gute, dass er nicht nur aktiv die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Stadt fördere, sondern sich auch nicht scheute, vor zwei Jahren gegen einen Hassprediger wie Jakob Tscharnke, Pastor einer evangelischen Freikirche in Riedlingen, Stellung zu beziehen. Aber warum sträubt sich der Schultes dann gegen eine öffentliche Diskussion über das Engagement der Stadt in der Kalz-Stiftung mit Händen und Füßen? Er möchte, so der Bürgermeister, Kalz nicht unnötig belastet wissen. Wie viel braune Soße muss ihm noch serviert werden, bis er es für seine Pflicht hält, Fragen zu beantworten?

Die Gesinnung des Stifters ist offenkundig – doch diskutiert wird nicht

Macht es womöglich einen Unterschied, ob ein Underdog wie Tscharnke oder ein Rotary-Mitglied wie Kalz sich rechtsradikal hervortut? Offensichtlich macht es einen Unterschied, wer was sagt. Kalz habe einen guten Leumund gehabt, erklärt Dorothea Kraus-Kieferle die Tatsache, dass niemand gegen das Engagement der Stadt in der Stiftung Einspruch erhob. Die Sprecherin der Gemeinderatsfraktion "Wir in Riedlingen" und stellvertretende Bürgermeisterin will auch, nachdem die Gesinnung des Stifters offenkundig geworden ist, partout nicht darüber diskutieren. Sie appelliert: "Lassen Sie das Thema!"

Das Thema scheint angstbesetzt zu sein. Denn auch der Fraktionssprecher von "Mut tut gut" Manfred Schlegel wehrt sich gegen Fragen und zieht sich darauf zurück, dass das Thema bisher nur in nicht-öffentlicher Sitzung behandelt worden sei und er sich keiner Ordnungswidrigkeit aussetzen möchte. Eine öffentliche Diskussion hält er wie seine Kollegin für schädlich für die Stadt. Deshalb: Schweigen tut gut!

Das sieht der CDU-Fraktionssprecher im Gemeinderat Jörg Boßler inzwischen anders. "Irres Zeug" sei das, was er von Kalz inzwischen zur Kenntnis nahm. "Ich bin schockiert", erklärt der 41-jährige Berufsschullehrer. Umso mehr, da er Kalz als Lehrer in guter Erinnerung habe. Mit Kalz' Schrifttum habe er sich "bisher nicht beschäftigt", und das, obwohl oder gerade weil Kalz' Gesinnung "ein offenes Geheimnis war". Die Volksweisheit "Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß" scheint ein beliebtes Verhalten gegenüber Kalz gewesen zu sein. Boßler sieht nun aber "Handlungsbedarf". Ihn treibe es "moralisch um", dass er als Initiator der Stolperstein-Verlegung, mit der an die ermordeten jüdischen Bürger Riedlingens erinnert wird, Kalz' Gesinnung so hartnäckig ignorierte. Dem "Erschrecken" will er Taten folgen lassen, das Thema müsse "ausdiskutiert werden".

Mehr oder weniger will das auch Josef Martin. Der SPD-Gemeinderat bestätigt, dass dem Gremium das Thema "nicht wichtig erschien". Kalz wurde zwar mit seiner Stiftung und Ausstellung ins Rathaus gebeten, aber niemand setzte sich mit ihm auseinander – auch nicht andere, behauptet der Gemeinderat. "Das Thema interessiert die Öffentlichkeit herzlich wenig", stellt der engagierte Sozialpolitiker fest. Doch er räumt ein, "genau genommen hätte man als Gesellschaft reagieren müssen". Deshalb werde er auch der aktuellen Aufforderung der Grünen, die Stadt solle von der Stiftung Abstand nehmen und die Ausstellung aus dem Rathaus verbannen, unterstützen.

Der Rotary Club will prüfen

Davon wiederum will Stefan Schmid von den Freien Wählern nichts wissen. Auch er war Schüler von Kalz und hat ihn "in relativ guter Erinnerung". Zwar hält er Kalz' Aphorismen für "unerträglich", doch mit der Satzungsänderung, die Kalz' Schrifttum aus der Stiftung entfernte, ist für ihn das Problem erledigt. Und er verweist wie viele andere auf das Regierungspräsidium, das die Stiftung geprüft habe.

Auch der Rotary Club Bad Saulgau-Riedlingen will nun prüfen, wie er mit seinem Mitglied Wolf Kalz verfährt. Das bedarf Zeit. Der Präsident Gerhard Bayer lässt mitteilen: "Sowohl der Vorstand als auch die weiteren Clubmitglieder müssen sich, unter Beachtung der ethischen und moralischen Werte, denen sich der Club verpflichtet fühlt, mit den Vorwürfen auseinandersetzen."

Ähnlich eilig hat es das neu gegründete Bündnis für Demokratie und Toleranz im Landkreis Biberach. Auf Nachfrage verabschiedete der neu gewählte Vorstand folgende Stellungnahme: "Angesichts der zitierten Aphorismen betont der Vorstand erneut die Grundlagen des Bündnisses. Diese sind vor allem Toleranz, Menschenrechte und Demokratie. In der weiteren Arbeit ist zu prüfen, wie auf demokratischem Weg die Auseinandersetzung mit einem Gedankengut geschehen kann, das wie im Fall der zitierten Aphorismen diesen Grundsätzen widerspricht. Konkrete Schritte werden geprüft."


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1 Kommentar verfügbar

  • Peter Nowak
    am 18.12.2017
    Antworten
    Ich freue mich über Euer Engagement gegen rechte Ideologie auch in bürgerlichen Kreisen wie in diesem Fall bei Wolf Kalz. Nur kann der abgedruckte Aphorismus 1858 die behauptete rechte Gesinnung dieses Mannes nicht belegen. „Alle Menschenrechtspraxis ist aggressiv, totalitär, ist imperialistisch und…
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