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Dauereinsatz in rot

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Unverdrossen geht die Zivilgesellschaft in ganz Deutschland gegen die Neue Rechte auf die Straße. Vergangenen Freitag auch in Böblingen, wo die AfD ihre Prominenz aufgefahren hat. An der Spitze Alice Weidel. Am Samstag vor der Wahl gibt's nochmal eine Demo in Stuttgart.

Etwa hundert Leute stehen am Freitagabend von fünf bis halb acht vor der Böblinger Kongresshalle und zeigen Kante gegen die AfD. Spitzenkandidatin Alice Weidel ist zur "Informationsveranstaltung" da, Marc Jongen und Markus-"Deutschland zuerst"-Frohnmaier, der Bundestagskandidat für Böblingen.

Der Mahnwache-Standort ist perfekt gewählt, a) weil er nach der jüdischen Schauspielerin und Regisseurin Ida Ehre benannt ist, die in der Zeit des Nationalsozialismus in Böblingen mit Berufsverbot belegt wurde, und b) weil zu Alice und Konsorten alle Wege von rechts und von links vorbeiführen an den Menschen hinter den grünen Polizeigittern, die sich für Vielfalt und Toleranz einsetzen. Es ist ein bisschen wie peinliches Schaulaufen für AfD-Fans. Rund 500 davon werden im Laufe des Abends vorbeikommen.

"Ich will denen in die Augen kucken", sagt eine Demonstrantin in bestem Alter und weißer Steppjacke und quetscht sich durch die Leute bis ganz vorne ans Gitter – links einen Bierdeckel der Caritas in der hoch erhobenen Hand – "Ich wähle Menschlichkeit" – rechts eine Postkarte – "357 168 km2 Platz hat Deutschland. Wie viel Platz hat dein Herz?" Wenig, ein Alternative-Sympathisant jedenfalls giftet "Nimm die Zettel weg, du blöde Kuh!", was auf beiden Seiten der einzige unfreundliche Ausfall an diesem Abend bleiben sollte. Verirrte AfD-Gäste auf der falschen Seite des Zauns, werden freundlich aus der Demo geleitet: "Kucken Sie mal, da geht's raus, nicht über die Absperrung klettern, das gibt Ärger mit der Polizei." "So sind wir halt", sagt ein Mann mit einem bunten Protest-Plakat. "Freundlich zu allen. Das macht den Unterschied."

Man kann nicht auf allen Anti-AfD-Demos sein

Zur Mahnwache aufgerufen hat ein Stadtrat der SPD, der grüne Ortsverein hat sich angeschlossen. Verdi ist da, der DGB, die Caritas, Die Linke unter anderem mit einem Vertreter in Sandalen (mit Socken!), der Pfeife raucht und berichtet, wie nahezu unmöglich es grade sei, auf allen Anti-AfD-Demos in der Region vertreten zu sein und die rote Fahne zu schwenken. Aber immerhin, sagt er, es lohne sich. Eine Lokalzeitung habe kürzlich geschrieben: "Die Linke und die MLPD waren auch da." Der Mann schmaucht zufrieden ein Rauchwölkchen.

Gedacht war diese Demonstration als schweigende Mahnwache für Toleranz, illuminiert mit roten Grablichtern. Allerdings haben die Veranstalter nicht mit "Der Partei" gerechnet, die nur ein paar Meter entfernt eine Kundgebung angemeldet hat und gerade lautstark "Sascha" von den Toten Hosen singt, untermalt mit Akustikgitarre. "Ja, der Sascha, der ist Deutscher, und deutsch sein, das ist schwer. Wer so deutsch wie der Sascha ist, der ist sonst gar nichts mehr".

Ein amerikanisches Filmteam schiebt sich durch die Menschen. Sie drehen eine europaweite Dokumentation über den neuen Rechtsruck und die gesellschaftlichen Folgen, erklärt die Redakteurin und hält einer kleinen Frau ein Mikro unter die Nase. "Ich bin Amerikanerin", sagt die aufgebracht in die Kamera. "Ich lebe hier und zahle Steuern – I pay taxes! – Und ich will nicht, dass von meinen Steuergeldern diese Partei finanziert wird!"

"Ignoranz, Egoismus und Abgrenzung ist keine Alternative für Deutschland!" steht auf einem Demo-Schild, unterlegt in schwarz, rot und gold. Auf einem Transparent ist in großen, schwarzen Buchstaben "Böblinger Erklärung" geschrieben, quasi zur Erinnerung, die nämlich hat der Gemeinderat Ende 2015 vollmundig und einstimmig beschlossen. Darin heißt es unter anderem: "Die Stadt Böblingen verteidigt fundamentale europäische Werte unserer Gesellschaft und verurteilt jede Form von Übergriffen gegenüber Flüchtlingen. Rechtsextremismus und Rassismus haben in Böblingen keinen Platz."

Plötzlich schwebt ein Pfarrer mit schwarzem bodenlangen Mantel und Häubchen jenseits der Absperrung vorbei. "Jetzt kommt die Kirche!", ruft eine Demonstrantin, gefolgt von leisen "Buhuuu!"-Rufen und etwas lauterem Gekicher. Ein junger Kerl mit goldblonden Locken und Sneakers steht mit seinem Kumpel hinter dem Gitter und beobachtet ein junges Pärchen, das mit verkniffenen Gesichtern in Richtung Halle läuft. "Wenn ich so jung wäre, wie die da", sagt der Gelockte, "dann würde ich mich schämen, da rein zu gehen. Was ist bei denen bloß schiefgelaufen?"

Die MLPD hat ihr Mikro mittlerweile "Der Partei" geliehen. Der Gitarrist klampft, ein Mädchen hat sich dazugesellt und schlägt auf einem Tambourin. "Imagine all the people, living life in peace", singen sie. "Juhuuuuhuhu!".

So schön kann Mahnwache sein.


Info:

Am kommenden Samstag, 23.9.2017, ruft das <link https: stuttgartgegenrechts.wordpress.com auf-die-strasse-gegen-rechts _blank external-link>Stuttgarter Bündnis gegen Rechts auf zur letzten Großdemo gegen die AfD vor der Bundestagswahl. Los geht's um 13 Uhr auf dem Karlsplatz, am Mahnmal hinter dem Alten Schloss.


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