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Wer macht das Brot schwarz?

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Es gibt viel zu lachen beim Filmemachen mit einer Flüchtlingsklasse aus Böblingen. Aber manchmal fließen auch Tränen. So ganz nebenbei wird die Sprache gelernt. Und nicht nur die. Teil zwei unserer Artikelserie über ein Kontext-Projekt.

Mohammad hat einen Affen geküsst. Zur akustischen Untermalung macht Inaam in der ersten Reihe ausgiebig Knutschgeräusche. Der Affenkuss ist wohl die nachhaltigste Erinnerung an den Wilhelma-Besuch der Alphabetisierungsklasse der Gottlieb-Daimler-Schule 1. Das Erlebnis des Tages sozusagen. An einem Montag im März wird im Unterricht darüber gesprochen, was es im Zoo alles zu sehen gibt.

Mahamoud wirft sich auf den Boden und robbt in Richtung Tafel, Bauch nach unten, Kopf und Füße nach oben, weil ihm das Wort "Seehund" grade nicht einfällt. Raida zeigt auf einem Tierposter den Elefanten und sagt "duschen", Odei sagt "Fisch essen" und füttert ein imaginäres Tier mit imaginären Fischen. "Das heißt füttern", sagt Natascha Popovic, die Klassenlehrerin. "Wir haben einen Pinguin gefüttert. Der Pinguin hat den Fisch gefressen. Wir haben einen Seehund gesehen. Der Elefant wurde gewaschen."

Mohammad grinst, wirft Küsschen durch die Luft. "Ich und Affe", sagt er und zwinkert. "Genau, und Mohammad hat einen Affen geküsst", sagt die Lehrerin. Durch die Glasscheibe des Geheges, festgehalten für die Ewigkeit, denn die Schüler haben die Szene aus allen möglichen Perspektiven und mit drei Kameras gedreht. Der Affe spitzt die Schnute und drückt dem jungen Mann einen dicken Kuss auf die Backe. Großes Kino.

Bei Sprachproblemen helfen Tafel und Kreide

Bis zu den Sommerferien werden die SchülerInnen einen Film darüber drehen, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen. Momentan sind noch Grundlagen dran. Was sind Medien und welche gibt es? Welche Aufgaben haben sie? Was sind Nachrichten? Was ist ein Interview? Und wie macht man das? Was steckt hinter einem Beitrag, der im Fernsehen zu sehen ist? Wo die Sprache noch fehlt, malen wir an die Tafel: einen Fernseher, ein Radio, eine Zeitung. Vieles vermitteln wir, indem wir es ausprobieren und nachstellen. Eine Interviewsituation zum Beispiel. Der Ausflug in die Wilhelma war eine Reportage-Übung, der Zoobesuch ein Wunsch der SchülerInnen. Die Wilhelma steht bei den Flüchtlingsklassen der Schule hoch im Kurs.

Manchmal schauen die Schüler der Projekt-Klasse <link https: www.youtube.com external-link-new-window>die kurzen Filme an, die der Journalist Constantin Schreiber unter dem Titel "Marhaba" für Geflüchtete in Deutschland produziert. Die Filme sind in arabischer Sprache mit deutschen Untertiteln, sie enthalten Interviews, Moderationen, Reportage-Elemente. Nach dem Video erklären die Schüler auf Deutsch, worum es ging. Einen Film über Fasching haben sie gesehen, einen über Haustiere, und einen über Brot, weil Brot eine deutsche Besonderheit ist. "Schwarzbrot", sagt Schreiber im Video, dafür gibt es kein arabisches Wort.

Was braucht man, um einen kurzen Informations-Film zu drehen? Ein Thema, einen Experten, einen Drehort. Die Aufgabe für die SchülerInnen ist an diesem Vormittag, eine Frage zu finden, die sie gerne beantwortet haben wollen. Raida fragt: "Wer macht das Brot schwarz?" Odei will wissen, warum die Dächer in Deutschland schräg sind und die in Syrien flach. Ahmets Frage ist, warum es in Deutschland so viele S-Bahnen gibt. In Syrien gebe es nur Langstreckenzüge und Busse in den Städten, erzählt er.

Plötzlich gibt es Streit. Arabischen, lauten und emotionalen Streit. Es braucht viel Zeichensprache und Kauderwelsch, um den Konflikt zu verstehen: "Wenn ihr den Deutschen erzählt, bei uns gebe es keine Züge, denken sie alle, wir fahren noch mit Eselskarren rum." Mahamut kommt aus Syrien, wie die meisten aus der Klasse.

Ahmet kommt aus Aleppo. Die Filme von Constantin Schreiber findet er okay, sagt er. Bloß: "Er denkt, das wollen Flüchtlinge in Deutschland anschauen. Aber sie schauen alle nur Al Jazeera und was zuhause los ist." Zuhause, das gibt es für den jungen Mann nicht mehr. Sein Bruder war 19, als er im Krieg umgekommen ist, erzählt Ahmet. Dann weint er. Natascha Popovic nimmt ihren Schüler in den Arm und streicht ihm über den Kopf. In der Klasse ist es ganz still.

 

Kontext-Redakteurin Anna Hunger und Kameramann Steffen Braun begleiten eine Flüchtlingsklasse in Böblingen. Wöchentlich unterrichten sie in der Klasse. Gemeinsam werden sie mit den Jugendlichen einen Film drehen. Ein Kontext-Medienprojekt für jugendliche MigrantInnen.


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