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Mensch oder Roboter

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Wenn über Industrie 4.0 – also die Digitalisierung von Wirtschaft und Arbeitswelt – diskutiert wird, denkt man an Roboterarm in der Produktionshalle, 3-D-Drucker und Pflegeroboter. Und schnell stellt sich die Frage, ob am Ende der Mensch noch gebraucht wird.

Es sei ein "Blick in die Glaskugel", sagen Fachleute gerne, wenn sie prophezeien sollen, wie sich die Arbeitswelt entwickelt. Die einen sprechen von einer weitgehenden Verdrängung des Menschen durch Maschinen und Roboter, die anderen von neuen Beschäftigungspotenzialen. In Baden-Württemberg ersetzbar, so hat das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) unlängst errechnet, seien 17,4 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Betroffen ist danach vor allem das verarbeitende Gewerbe, wo Helfertätigkeiten mit 26,9 Prozent das höchste Substituierbarkeitspotential haben. Aus dem Dienstleistungsbereich ist nur die Buchhaltung in der Liste der zehn gefährdetsten Tätigkeiten zu finden. Die anderen finden sich in der Metallbe- und -verarbeitung, der Informations- und Telekommunikationstechnik, der Bau- und Werkzeugtechnik.

Wichtig zu wissen: Das sind weder Prognosen, die etwas über die tatsächliche Entwicklung aussagen, noch Saldo-Betrachtungen, die einen zu erwartenden Beschäftigungsaufbau in anderen Bereichen und neuen Berufen berücksichtigen. Ebenso wichtig: In vielen Branchen ist die Digitalisierung schon heute weit voran geschritten. Das gilt nicht nur für automatisierte Produktionsanlagen in Werkshallen, sondern beispielsweise auch für die Ausweitung von Online-Banking und -Shopping oder Self-Service-Terminals in der Bankfiliale, in der Warenwirtschaft und Logistik sowie bei vielen Bürotätigkeiten, wo der Computereinsatz unsere Arbeit längst grundlegend verändert hat.

Die neue CDU-Wirtschaftsministerin preist die Chancen

Die Landesregierung ist weit davon entfernt, den ökonomischen Notstand auszurufen. Im Gegenteil: Wie schon ihr Vorgänger Nils Schmid (SPD), der das Land zur Musterregion in Sachen Industrie 4.0 machen wollte, verbreitet auch die neue CDU-Wirtschaftsministerin, Nicole Hoffmeister-Kraut, Optimismus. Sie preist die Chancen, die sich für die heimischen Maschinen- und Anlagenbauer, die IT-Unternehmen und ihre Beschäftigten bieten sollen: "Wird diese Chance von Anbieter- und Anwenderseite genutzt, vernichtet das nach meiner Auffassung nicht Arbeitsplätze, sondern kann vielmehr weltweit neue Absatzmärkte schaffen." Schließlich müssten all die Anlagen, Roboter und die sie steuernde IT programmiert und am Laufen gehalten werden.

Sicher ist, dass nicht alles, was technisch möglich ist, auch immer und überall eingesetzt wird. So hat das Stuttgarter Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation aufgezeigt, dass der Automatisierungsgrad auch eine Frage der Wirtschaftlichkeit ist und von Faktoren wie Komplexität und Variantenreichtum des Produktes abhängt. Automatisierung bedeutet aus betrieblicher Sicht immer auch Investitionen, die sich rechnen müssen. Insofern werden Grad und Geschwindigkeit der Digitalisierung zwischen den verschiedenen Branchen wie zwischen Unternehmen der gleichen Branche auch in Zukunft so unterschiedlich sein wie heute.

Am Beispiel des Pflegeroboters wird offensichtlich, dass die Frage, ob Technik menschliche Arbeitskraft ersetzen wird, nicht nur eine technische ist, sondern auch eine gesellschaftspolitische Dimension hat. Die Entscheidung, wie angesichts des demografischen Wandels und veränderter Familienstrukturen die Pflege als gesellschaftliche Aufgabe organisiert werden kann, darf nicht den Ingenieuren überlassen werden. Während bei persönlichen, auch intimen Dienstleistungen ein Technikeinsatz nicht wünschenswert ist, gibt es gesundheitsgefährdende oder monotone Tätigkeiten, die im Interesse der ArbeitnehmerInnen durch den richtigen Einsatz von Assistenzsystemen aufgewertet oder verbessert werden können. Dazu gehören beispielsweise das Heben oder der Transport schwerer Gegenstände, der Umgang mit gefährlichen Materialien.

Deshalb dringen Gewerkschaften auf eine soziale Technikgestaltung. Dabei geht es zentral um zwei Aspekte: Erstens welche Auswirkungen die Technologien auf den Ar-beitsmarkt und die Gesellschaft haben und zweitens, wie das Verhältnis von menschli-cher Arbeit und Technologie im konkreten Einzelfall so organisiert werden muss, dass eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten erreicht wird.

Schließlich darf nicht übersehen werden, dass neben der Digitalisierung auch andere sogenannte Megatrends, wie die Globalisierung der Wertschöpfung, die Energie- und Verkehrswende oder der demografische Wandel auf Branchenentwicklungen einwirken. Die Zukunft der Arbeit wird also nicht allein von der Anpassungsfähigkeit an die Digitalisierung bestimmt, sondern gerade hier in Baden-Württemberg, zum Beispiel auch von der Entwicklung der E-Mobilität, sprich der Elektrifizierung des Antriebsstrangs.

Was ist angesichts dieser unübersichtlichen Gemengelage zu tun? Sinnvoll ist weder, wie das Kaninchen vor der "Digitalisierungs-Schlange" in eine Schockstarre zu verfallen, noch darauf zu hoffen, dass die Chancen überwiegen oder gar der Markt es schon richten wird. Notwendig ist eine aktive regionale Strukturpolitik, die das Thema ernsthaft angeht, mit dem Ziel, gute und sichere Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen. Politik, Unternehmen und Beschäftigte mit ihren Gewerkschaften müssen an einer Stabilisierung und Weiterentwicklung der Industrie- und Dienstleistungsstrukturen vor Ort arbeiten.

Ein Vertrauen allein auf die richtigen Unternehmensstrategien wäre fatal, wie die Erfahrung zeigt: In zahlreichen Fällen mussten und müssen Betriebsräte und ihre Gewerk-schaften gegen erhebliche Widerstände Innovationen und neue Geschäftsmodelle einfordern, um Beschäftigung zu sichern. Ein aktuelles Beispiel ist die General Electric Power AG, die 1000 Arbeitsplätze an ihrem Mannheimer Standort vernichten will. Der Betriebsrat hat ein Alternativkonzept vorgelegt, das auch die Belegschaft absichern würde. Auch die aktuelle Forderung der IG Metall nach einem "Wechsel bei Vollgas" in Sachen Elektromobilität ist ein gutes Beispiel dafür, dass zukunftsorientierte Impulse oft von der Arbeitnehmerseite ausgehen.

Und was ist mit den Perspektiven für die Beschäftigten, die aktuell oder künftig vom Wegfall ihrer Arbeitsplätze bedroht sind? Nach Papierlage herrscht Einigkeit darüber, dass Weiterbildung und Qualifizierung Schlüsselinstrumente dafür sind. Faktisch versuchen Arbeitgeber und Politik aber häufig, die Verantwortung dafür allein den Betroffenen aufzuladen. Um "gute Arbeit 4.0" und sichere Arbeitsplätze (mit-)gestalten zu können, müssen Tarifbindung, Mitbestimmungsrechte für Betriebs- und Personalräte sowie individuelle Beteiligungsrechte für die Beschäftigten modernisiert, erweitert und verankert werden. Nicht von ungefähr diskutieren die Gewerkschaften wieder die Modernisierung der Mitbestimmung, eine neue Humanisierung der Arbeit und Wirtschaftsdemokratie.

37 Prozent haben keine Chance mitzubestimmen

Um es auf den Punkt zu bringen: Beschäftigte, die in einem Unternehmen arbeiten, das nicht tarifgebunden ist und keinen Betriebsrat hat, haben faktisch keine Möglichkeit, darüber mit zu entscheiden, wie sich ihre Firma und damit ihr Arbeitsplatz verändert. In Baden-Württemberg waren das im Jahr 2013, nach Berechnungen des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) in Tübingen, immerhin 37 Prozent.

Angeführt werden gerne flexible Arbeitszeiten und -orte, die maßgeblich zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen würden. Ob das so kommt, weiß niemand. Klar ist das Ergebnis einer Befragung der IG Metall aus dem Jahr 2013: Mehr als 90 Prozent geben an, dass erstens ihr Privatleben nicht beeinträchtigt werden darf und sie zweitens individuell über die flexible Arbeitszeit verfügen wollen. Dafür Lösungen zu finden, wird eine Herkulesaufgabe werden.

Heute sieht man, dass dies zwar möglich, aber alles andere als ein Selbstläufer ist. Schlussendlich geht es darum, wer die Flexibilität definiert: Setzt sich der Arbeitgeber durch, bis hin zur Arbeit auf Abruf oder kann der Beschäftigte selbstbestimmt seine Arbeitszeit festlegen? Die Antwort wird zwischen diesen beiden Polen liegen – wo genau, hängt davon ab, ob es gelingt, die bestehenden Schutzrechte für Beschäftigte zu erhalten und wie sie konkret in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen ausgestaltet sein werden.

Die neuen Selbständigen fallen hinten runter

Die politische Auseinandersetzung hat die Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeber (BDA) im vergangenen Jahr eröffnet. Sie veröffentlichte ein "Positionspapier zur Digitalisierung von Wirtschaft und Arbeitswelt" unter dem Titel "Chancen der Digitalisierung nutzen". Diese bestehen aus ihrer Sicht offensichtlich vor allem darin, bestehende Schutzrechte für Beschäftigte wie die Höchstarbeitszeit von acht Stunden am Tag zu schleifen, das deutsche Arbeitsrechts zu deregulieren und die Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten zu begrenzen. Spätestens hier wird deutlich, dass die Digitalisierung soziale und politische Kämpfe hervorrufen wird.

Was kommt etwa auf Werkvertragsnehmer, Solo-Selbständige oder Crowdworker zu, die gar nicht mehr als Beschäftigte zählen? Für sie gelten keine Schutzbestimmungen der Arbeitsgesetze, Tarifverträge oder Ansprüche auf eine demokratische Interessenvertretung. Der Mindestlohn gilt nicht für diejenigen, der via Online-Plattformen Aufträge annehmen. Auch fehlt ihnen eine gesetzliche Absicherung im Fall von Krankheit und Alter. Häufig sind sie aber wirtschaftlich so abhängig von einem oder wenigen Auftraggebern beziehungsweise Kunden, dass sie die Vertragsbedingungen nicht auf Augenhöhe verhandeln können. Diese sogenannten neuen Arbeitsformen werden nicht weniger, sondern mehr.

Die digitale Transformation wird nur dann sozial, das heißt im Interesse der Beschäftigten gestaltet werden können, wenn die Politik von ihrem technikzentrierten Blick ablässt, ihr blindes Marktvertrauen ablegt und Gewerkschaften und Betriebsräte mit durchsetzbaren Rechten die Veränderungsprozesse mitgestalten können. Denn so viel ist klar: Auch die Arbeitswelt 4.0 wird nicht ohne Menschen auskommen.

Julia Friedrich (42), ist Abteilungsleiterin für Wirtschafts-, Industrie- und Umweltpolitik beim DGB Baden-Württemberg. Ihr Text ist der Auftakt zu einer Reihe von Artikeln, die sich mit dem Thema Digitalisierung der Arbeitswelt beschäftigen.

Weiterführend Links:

<link http: gegenblende.dgb.de _blank external-link>Ein umfangreiches Dossier des DGB-Portals "Gegenblende"

<link http: www.boeckler.de pdf p_mbf_report_2016_24.pdf _blank external-link>Ein Report der Hans-Böckler-Stiftung


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2 Kommentare verfügbar

  • Leonie
    am 23.01.2017
    Antworten
    "Intime Dienstleistungen" hätte ich aber wirklich lieber von einem Robot als von einem Menschen!
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