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Lidl lohnt sich – für einen

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Der reichste Baden-Württemberger ist Dieter Schwarz. Dem großen Unbekannten gehört der Discounter Lidl, der Einzelhandel, Bauernhöfe und Innenstädte im Griff hat. Nun mischt der Milliardär aus Heilbronn die Hochschullandschaft auf. Unter tatkräftiger Mithilfe von Ex-Politikern.

Immer weniger Menschen kaufen ihre Lebensmittel bei Metzger und Bäcker, auf Wochenmärkten oder direkt beim Bauern. Immer mehr Deutsche besorgen sich Fleisch, Milch und Brot in Supermärkten oder Discountern. Vor allem letztere boomen, sagt der Ernährungsreport 2017 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Ein Ergebnis, das Dieter Schwarz freuen dürfte. Dem 77-jährigen Heilbronner gehören die Warenhaus-Kette Kaufland und der Discounter Lidl. Seine Schwarz-Gruppe mit Sitz in Neckarsulm ist einer der größten Handelskonzerne der Welt.

Lidl lohnt sich: Dieter Schwarz gilt als lebender Beweis, dass Sonderangebote und Schnäppchen unglaublich reich machen können. Das US-Magazin "Forbes" schätzt sein Vermögen auf 16,4 Milliarden US-Dollar. Damit schafft es der öffentlichkeitsscheue Kaufmann aus dem schwäbischen Unterland auf Platz 47 der Superreichsten dieser Welt. In Deutschland muss Schwarz nur den Aldi-Erben Beate Heister, Karl Albrecht Jr. (zusammen 25,9 Mrd. $) und Theo Albrecht Jr. (20,3 Mrd. $), der BMW-Aktionärin Susanne Klatten (18,5 Mrd. $) und dem Autozulieferer Georg Schaeffler (18,1 Mrd. $) den Vortritt lassen. Zuhause im Ländle ist er jedoch unangefochten Krösus: Weder SAP-Gründer Hasso Plattner (9,5 Mrd. $), die SAP-Erben Udo und Harald Tschira (9,1 Mrd. $) noch der Künzelsauer Schraubenkönig Reinhold Würth (8,1 Mrd. $) können ihm das Wasser reichen.

Seine Millarden hat er auf dem Rücken anderer verdient

Schwarz sichert seiner Heimatstadt Heilbronn – statistisch – das höchste Pro-Kopf-Einkommen Deutschlands, noch vor den "Reichen-Domänen" Starnberg, München und Hochtaunus. Obwohl die Schere zwischen Arm und Reich in der Käthchenstadt so weit auseinanderklafft, wie sonst nirgendwo im Land, Schwarz hebt alle an. Dabei verdient der Kaufmann seine Milliarden, wie die Albrechts von Aldi auch, auch auf Kosten anderer. Denn gerade im Geschäft mit Butter und Brot gilt: Je größer die Handelskette, desto machtvoller kann sie Erzeugern den Preis diktieren. Manchmal bis unter die Produktionskosten. So kostete im vergangenen Sommer der Liter Vollmilch bei Lidl & Co. gerade mal 46 Cent.

Was Verbraucher freute, bedrohte die Existenz der Milchbauern: Sie verdienten zeitweilig nur noch 23 Cent pro Liter. Zwei Jahre zuvor waren es noch über 40 Cent. Nicht viel anders sieht es beim Fleisch aus, dessen Discount-Preis sich nur mit Massentierhaltung, Naturzerstörung und miesen Schlachterlöhnen für die Handelsketten rechnet. Im vergangenen Herbst gelang es zumindest den Molkereien, wieder einen höheren Milchpreis bei Großabnehmern durchzusetzen.

Langfristig revolutionieren die Discounter die Landwirtschaft. Der Trend geht weg von kleineren Familienhöfen hin zu großen Agrarbetrieben. Die Zahl der Milchviehbetriebe in Deutschland nimmt stetig ab, um zwei bis vier Prozent pro Jahr. Von 2000 bis 2016 hat sich ihre Zahl fast halbiert, auf heute etwas über 71 000. Vor allem kleinere Milchbauern geben auf. Zukunft haben meist nur noch Betriebe mit mehr als 50 Kühen.

Lidl & Co. verändern nicht nur Lebensmittelproduktion und Ernährungsgewohnheiten. Ihr Expansionshunger verwandelt auch das Lebensumfeld. Aus Ortskernen sind die Tante-Emma-Läden längst verschwunden. Verbliebene Fachgeschäfte kämpfen ums Überleben, oft stehen Ladenpassagen leer. Manchmal halten nur Sozialunternehmen dank staatlicher Unterstützung die Nahversorgung aufrecht. Fast jedes größere Dorf hat dafür draußen auf der grünen Wiese einen Discounter mit riesigem Parkplatz vor der Tür.

Allzu oft haben Kommunalpolitiker bedenkenlos den Ansiedlungsplänen der Discounter zugestimmt. Nur selten wehrten sich Verantwortliche gegen die Handelsriesen, wie etwa 2007 im Stuttgarter Westen, wo die Schwarz-Gruppe einen riesigen Kaufland-Markt an Stelle eines aufgelassenen Krankenhauses bauen wollte. "Das bringt mehr Verkehr und macht Einzelhandel und Nahversorgung kaputt", schickte der Bezirksbeirat den Kaufland-Abgesandten mit leeren Händen nach Neckarsulm zurück. Eine Kombination aus Vollsortimenter und Wohnungsbau sei an dieser Stelle sinnvoll, hatte Stuttgarts damaliger Baubürgermeister Matthias Hahn (SPD) die Pläne zuvor noch goutiert.

Was hierzulande funktionierte, praktiziert die Schwarz-Gruppe nun im Ausland. Und das noch eine Spur dreister. In Rumänien kassierte Lidl einen Entwicklungshilfekredit über rund 67 Millionen US-Dollar, um neue Filialen zu eröffnen. Um die Anzahl lokaler Zulieferer zu erhöhen und regionalen Lebensmittelproduzenten neue Vertriebswege zu eröffnen. Genau das Gegenteil ist offenbar eingetreten, wie das "Deutschlandradio" <link http: www.deutschlandradiokultur.de _blank external-link>vor kurzem berichtete. "Lidl und Co. kommen hierhin mit Produkten ohne Qualität, die billiger sind als die rumänischen. Es sind schlechte Produkte – stark konserviert. Unser Obst und Gemüse, das hochwertiger und deshalb etwas teurer ist, kommt bei denen nicht ins Regal", erzählt die Marmeladen-Fabrikantin Bibiana Stanciulov in der Reportage. Heimisches Mus wird sie nicht mehr los, ihr Umsatz ist seit 2002 um 90 Prozent eingebrochen. Lidl, Marktführer in Rumänien, hat dafür Mus aus Polen im Sortiment. Für ein Drittel des Preises. "Und die gleichen Leute kaufen hier rumänischen Boden auf, kultivieren hier Produkte von hoher Qualität und bringen sie dann in ihre Länder – die stehen dann in Deutschland im Bio-Regal", so Stanciulov, die deswegen auch einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schrieb. "Ich habe sie gebeten, dass der deutsche Staat seine Discounter zivilisiert, bevor er sie in die Welt hinausschickt." Als nächstes plant Lidl, den britischen und den US-Markt zu erobern.

Nicht nur stete Expansion, wohl auch die Firmenstruktur lässt das Vermögen von Schwarz rasant weiterwachsen, auch wenn Steuerspareffekte stets dementiert werden. Lidl und Kaufland firmieren jeweils als "Stiftung & Co. KG", die in Besitz der "Schwarz Beteiligungsgesellschaft" sind. 99,9 Prozent der Anteile an dieser Gesellschaft hält die "Dieter Schwarz Stiftung" (DSS), die der Unternehmer 1999 gründete. Den Rest besitzt die "Schwarz Unternehmenstreuhand KG". Die Gewinne der Warenhäuser und Discounter fließen somit fast vollständig an die Stiftung, die als gemeinnützig eingetragen ist. Nach älteren Angaben fördert sie jährlich mit 20 Millionen Euro Projekte im Bildungsbereich.

Dank der DSS verschwand Dieter Schwarz zeitweilig aus der "Forbes"-Liste. Der Milliardär selbst hatte das Magazin über die Stiftungsgründung informiert. Fälschlicherweise nahm die Redaktion an, dass die Stiftung nur karitativen Zwecken diene. Doch seit 2013 listet "Forbes" Schwarz wieder. Recherchen hätten ergeben, dass "die Stiftung keine Wohltätigkeitsstiftung, sondern eine GmbH mit lediglich wohltätigen Zweck ist", begründete das Magazin dies. Ausschüttungen an die DSS würden zwar in soziale Projekte fließen, Schwarz behalte aber die volle Kontrolle über seine Anteile und könne sie jederzeit verkaufen, betont "Forbes" den unternehmerischen Stiftungscharakter.

Kretschmann lobt das Mäzenatentum von der "allerfeinsten Sorte"

Spuren hinterließ die Schwarz-Stiftung bislang vor allem in Heilbronn. Die siebtgrößte Stadt des Landes will der Milliardär zur "Wissens- und Hochschulstadt" ausbauen. Ein erster Baustein ist das Science-Center "Experimenta", das Ende 2009 auf einer Neckarinsel eröffnete. Die Innengestaltung sponserte die DSS mit 15,2 Millionen Euro. 2019 soll ein futuristischer Erweiterungsbau hinzukommen.

Etliche Millionen, wie viele genau wird verschwiegen, steckte die DSS in den Bildungscampus Heilbronn, der Ende 2011 am Rande der Heilbronner City in Betrieb ging. Im Campus kamen die staatliche Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) sowie mit der German Graduate School of Management and Law (GGS) und die Akademie für Innovative Bildung und Management (aim) zwei von Schwarz finanzierte private Bildungseinrichtungen unter.

Zweimal schon wurde der Campus auf DSS-Rechnung erweitert. Zuletzt im vergangenen Oktober, als zusätzlich die staatliche Hochschule Heilbronn sowie die Schwarz-Stiftung selbst in die Neubauten einzogen. Bis 2020 soll der Campus weiterwachsen und dann 10 000 Studenten Platz bieten. "Mäzenatentum der allerfeinsten Sorte und praktizierter Bürgersinn, von denen man sonst nur in Sonntagsreden schwärmt", lobte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zur ersten Erweiterung im September 2015 den Milliardär.

Das Zusammengehen von privater und staatlicher Bildung verlief allerdings nicht reibungslos. Kritiker monieren, dass der Schwarz-Campus das föderale Hochschulmodell unterminiere. "Lidls verlängerte Werkbank", überschieb die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) im Oktober einen Artikel, in dem der Wechsel des DHBW-Präsidenten Reinhold Geilsdörfer als Geschäftsführer zur Dieter-Schwarz-Stiftung im Februar 2016 beleuchtet wurde. Zuvor hatte Geilsdörfer gegen heftige interne Widerstände DHBW-Institute nach Heilbronn verlagert, auf Kosten der übrigen DHBW-Standorte. 

Der Mannheimer DHBW-Professor Henrik Jacobsen stellte aus diesem Grund Strafanzeige. Bei Hausdurchsuchungen fand die Staatsanwaltschaft Heilbronn nach Medienberichten Unterlagen, die belegten, dass Geilsdörfer noch als Hochschulpräsident in üppig bezahlten Beraterdiensten der Schwarz-Stiftung stand. "Mit Geheimverträgen kapert die Stiftung des Lidl-Gründers Dieter Schwarz die größte Hochschule Baden-Württembergs", schrieb dazu die "FAZ". Im vergangenen November wurden die Ermittlungen dennoch eingestellt. Es seien keine Beweise für Bestechlichkeit und Bestechung gefunden worden. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hatte bereits 2015 die Eröffnung eines Verfahrens abgelehnt.

Schon den Geilsdörfer-Vorgängern an der Stiftungsspitze, Erhard Klotz und Klaus Czernuska, hatte ein "Geschmäckle" angehaftet. Klotz (SPD) war lange Jahre Oberbürgermeister in Neckarsulm, leitete die Verwaltung des Innenministeriums und war Hauptgeschäftsführer des Städtetags. Heute managt er die "Schwarz Immobiliengesellschaft". Der inzwischen verstorbene Czernuska war CDU-Bürgermeister in Bad Wimpfen und 16 Jahre Landrat in Heilbronn. Im Oktober 2013 kam mit Peter Frankenberg ein weiterer Polit-Promi als Gesellschafter zur Stiftung. Der Professor mit CDU-Parteibuch war bis 2011 zehn Jahre lang baden-württembergischer Wissenschaftsminister. In seiner Amtszeit organisierte er die Berufsakademien des Landes zur Dualen Hochschule um, gegen heftige Proteste führte er Studiengebühren an staatlichen Hochschulen ein.



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14 Kommentare verfügbar

  • Günther Maisko
    am 30.01.2017
    Antworten
    Was und wie der "gute" Mann sein Geld verdient, ist mir herzlich egal. Jeder, wirklich JEDER kann sich entscheiden: Mache ich mein Geschäft mit ihm, oder mache ich es nicht. Und wenn der dabei am Ende der "Gewinner" ist, dann waren die Anderen einfach nur zu doof für das Geschäft.

    Was mich…
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