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Rechte in der Residenz des Rechts

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In der Residenz des Rechts marschieren die Rechten. Regelmäßig, seit fast zwei Jahren. Nirgendwo sonst im Südwesten zeigen sich Islamfeinde und Neonazis so hartnäckig wie in Karlsruhe. Der bürgerlichen Mitte sind Gegenaktionen schon lange zu mühsam geworden.

Ein dunkelblauer Van fährt vor und der Tumult bricht los. Gerade ist Ester Seitz eingetroffen, randlose Brille, die Haare zum Zopf gebunden, gerade erst Anfang zwanzig, doch bereits die Galionsfigur der rechtsradikalen Aufmärsche in Karlsruhe. Den Kofferraum hat sie gefüllt mit Demobedarf, sie verteilt ein knappes Dutzend Deutschlandflaggen an ihre Anhänger. Die wedeln damit herum, sichtlich um Pathos bemüht. Dennoch wirkt das Ganze eher unbeholfen.

Etwa 50 Meter weiter, hinter Absperrgittern und von einem Polizeiaufgebot abgeschirmt, das ausreichen würde, jedem Anwesenden eine Privatbehandlung zugute kommen zu lassen, sind – mal wieder – knapp 200 Gegendemonstranten zusammengekommen, zum Teil ausgestattet mit Tröten, Ratschen und Sirenen. Als Seitz schließlich ans Mikrophon tritt, werden die Pfiffe und Buh-Rufe auf der Gegenseite lauter und lauter. 

Für den Außenstehenden ist kaum zu verstehen, was Seitz sagt. Nur gelegentlich wehen ein paar Wortfetzen herüber. Die aber machen die Stoßrichtung deutlich: "Überfremdung", "importierter Terrorismus", "der Sexpogrom von Köln". Das klassische Repertoire rechtsradikaler Rhetorik beherrscht die aufstrebende Demagogin schon fast professionell. Hin- und wieder hört man die knapp 60-köpfige Truppe "Wi-der-stand! Wi-der-stand!" oder "Merkel muss weg!" skandieren. Der Rest wird von der Gegenseite übertönt. Und das geht so zwei Stunden lang - bis beide Seiten wieder abziehen.

"So läuft das jetzt seit fast zwei Jahren", sagt Jörg Rupp sichtlich resigniert, "alle 14 Tage." Der 50-Jährige war mal bei den Südwest-Grünen, sogar im Landesvorstand. Dort ist er ausgetreten, als die Partei 2015 zugestimmt hat, die "sicheren Herkunftsländer" auszuweiten. "Da war für mich die rote Linie endgültig überschritten", betont er. Parteipolitik macht Rupp seitdem keine mehr - aktiv ist er trotzdem noch. Wenn auch künftig in eingeschränktem Umfang. 

Nirgendwo sonst laufen regelmäßig so viele Rechtsextreme auf

Der Ex-Grüne hat die Arme auf einem Absperrgitter abgestützt und schaut gedankenverloren und kopfschüttelnd dem Demonstrationszug hinterher, der jeden zweiten Sonntag die immer gleiche Route entlang marschiert und sich mit seinen paar Dutzend Teilnehmern als Speerspitze des deutschnationalen Widerstands versteht. "Das gibt es nur in Karlsruhe", sagt Rupp nach einer langen Pause, "nirgends sonst im Süden Deutschland laufen Rechtsextreme so regelmäßig auf". Was ihn aufregt: "Die Stadt ist zur Hochburg der Nazi-Aufmärsche geworden und niemanden juckt es."

Rupp war von Anfang an dabei, seit dem Januar 2015. Da ist die Pegida Karlsruhe zum ersten Mal aufgelaufen, mit etwa 250 Anhängern. Rupp war einer der Initiatoren der Gegenbewegung, zusammen mit der Expertin für Rechtsextremismus Ellen Esen. "Damals kamen zum Protest noch 1500 Leute," erinnert er sich, "die standen hier stundenlang im Schneeregen, haben Haltung gezeigt." Seitdem ging es rapide zurück mit den Teilnehmerzahlen, bis auf beiden Seiten nur noch der harte Kern übrig blieb. 

In der Zwischenzeit haben die Rechten ein paar Mal die Namen ausgetauscht, die Gesichter sind im Wesentlichen die gleichen geblieben. Pegida Karlsruhe durften sie sich nicht mehr nennen, denn schon nach wenigen Wochen kam es zum Zerwürfnis mit der Mutter aus Dresden. Darauf folgte die Kargida, die ebenfalls schnell scheiterte. Etwa zeitgleich formierte sich der Widerstand Karlsruhe rund um Ester Seitz. Heute laufen sie unter "Karlsruhe wehrt sich".

Der OB will sich von den Nazis nicht die Termine diktieren lassen

In den letzten beiden Jahren ist Jörg Rupp auf mehr als 30 Gegendemos dabei gewesen. Jetzt hat er genug. "Wir werden völlig allein gelassen", klagt er, "von der Politik, von der Stadt, von der Zivilgesellschaft." Die bürgerliche Mitte - er schnaubt verächtlich, als er das sagt - zeige nicht das geringste Interesse: "Die meisten stört nur, dass die Demonstrationen eine wichtige Verkehrsader blockieren. Die wissen gar nicht, was hier in ihrer Stadt eigentlich abgeht". Besonders enttäuscht sei er, und das betont er immer wieder, von SPD-Oberbürgermeister Frank Mentrup, der früher noch als Redner aufgetreten ist. "Heute lässt er sich nicht mehr blicken", poltert Rupp, "höchstens als Zaungast". Er weist auf einen lebensgroßen Pappaufsteller, dessen Kopf er mit einem Bild des Oberbürgermeisters überklebt hat.

Im Rathaus zeigt die Provokation wenig Wirkung. "Herr Rupp ist eben ein sehr emotionaler Mensch", kommentiert Mentrup trocken und versichert: "Wenn es größere Aktionen gibt, mobilisieren wir. Dann bin ich auch selbst vor Ort, gerne als Redner." Bei Kleinkundgebungen alle zwei Wochen, mit so überschaubaren Teilnehmerzahlen, wolle er sich aber nicht "von Nazis den Terminkalender diktieren lassen". Mentrup glaubt zudem, wenn Politikprominenz bei den Aufmärschen auftaucht, fühlen sich die Rechtsradikalen durch die Aufmerksamkeit womöglich noch ernst genommen. Er verfolgt daher die Strategie: "Eher ignorieren, statt aufwerten".

Der Oberbürgermeister hat sich arrangiert. "Ändern können wir das nicht", sagt er. Die Mittel der Stadt seien da sehr begrenzt, an der Demonstrationsfreiheit "können und wollen wir nicht rütteln." Was bei diesen Worten mitschwingt: 2013 hat die Stadt einen Nazi-Aufmarsch abgesagt, als Gegendemonstranten die Marschroute blockierten. Das ging vor Gericht, in letzter Instanz verlor die Stadt. Damals wurde befunden, die Polizei müsse das Demonstrationsrecht notfalls auch mit Gewalt durchsetzen.

Seitdem fahre die Stadt bei Nazidemos einen Kuschelkurs, meint Rupp. "Wenn es hier nicht so bequem für sie wäre", sagt er, "würden die woanders auflaufen." Mentrup hält das für Unfug: "Wir tun alles, was ordnungsrechtlich möglich ist". Die Redebeiträge der Rechten leite man regelmäßig an den Staatsschutz weiter. Er selbst sehe "keinen rationalen Grund, warum sich die Rechtsradikalen ausgerechnet Karlsruhe herausgepickt haben". Zumal sich klar gezeigt habe, dass die Mobilisierungsversuche bei den Einwohnern keinerlei Erfolg verzeichneten. "Vielleicht liegt es an der günstigen Verkehrslage oder an persönlichen Verbindungen", mutmaßt Mentrup.

In Karlsruhe versammelt sich das Who is Who der Rechtsradikalen

Tatsächlich kommen die Teilnehmer ganz überwiegend nicht aus Karlsruhe. Der Oberbürgermeister spricht von einem "regelrechten Nazitourismus". So sind die Kundgebungen am Stephanplatz eine vorzügliche Einführung in das Who is Who der süddeutschen Rechtsradikalen. Angefangen bei NPD-Kadern aus dem Rhein-Neckar-Raum wie Jan Jaeschke (verurteilt wegen Volksverhetzung) oder Christian Hehl (mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung), über die "Berserker Pforzheim", die als Ordner aushelfen durften, bis zu Michael Mannheimer, dem Autoren des rechtsextremen Hetzblogs PI-News. Er hält übrigens die Schlüsselfigur Ester Seitz für die "talentierteste deutsche Jungpolitikerin". Und diese wiederum zeigt keinerlei Berührungsängste mit dem ganz rechten Rand, steht in engem Austausch mit der Splitterpartei Die Rechte (ebenfalls am Stephanplatz präsent), die als noch radikaler als die NPD gilt. Seit zwei Jahren ist Seitz in Karlsruhe aktiv, sie selbst kommt aus der Nähe von Nürnberg.

Originär aus der Stadt stammt nur die Kameradschaft Karlsruhe. Sie heißt auf ihren Veranstaltungen den Alt-Nazi Günther Deckert (ehemaliger NPD-Vorsitzender und verurteilter Holocaust-Leugner) als Gast willkommen und pflegt außerdem gute Kontakte zur Skinhead-Szene in Dortmund. Dort fand 2016 der Tag der Deutschen Zukunft statt, ein großes Get-Together für Hardcore-Neonazis, zuletzt mit rund 900 Teilnehmern aus dem ganzen Bundesgebiet. Im Juni 2017 wird diese rechte Jahresversammlung  in Karlsruhe ausgerichtet.

"Kein Zufall", sagt Ellen Esen. Die Politikwissenschaftlerin aus Karlsruhe hat sich schon vor mehr als 25 Jahren auf den Rechtsextremismus spezialisiert. Sie warnt: "Gegen das, was uns da erwartet, sind die Kundgebungen, wie wir sie kennen, ein Kindergarten." Mit mindestens 1000 Teilnehmern rechnet Esen 2017. Dafür laufe die Mobilisierung bereits bundesweit. Eine zentrale Figur dabei ist wieder: Ester Seitz. Die lässt sich bundesweit bei jeder Gelegenheit blicken, ob in Berlin, Frankfurt, Dresden, Erfurt - oder eben immer wieder Karlsruhe. Sie ist bestens vernetzt, bescheinigt Esen. Auch über das Internet. Wenn die Gegendemonstranten die Redebeiträge der Rechtsradikalen in Karlsruhe auch regelmäßig übertönen mögen - über soziale Netzwerke verbreiten sie sich rasend. Per Facebook kann man Seitz' Kundgebungen im Livestream verfolgen. Anschließend werden die Videos gespeichert und fleißig angeklickt: Eine Aufzeichnung vom Sonntag wurde innerhalb eines Tages rund 9000 Mal abgerufen.

Gefährlich ist das Netzwerk, nicht die Demo

In der Rede selbst hält sich Seitz vergleichsweise zurück. Der Staatsschutz hört zu. Für ihn sind die Schwellen zu hoch, um bei Aussagen einzuschreiten wie: "Der Islam und seine Anhänger gehören weder zu Deutschland noch zum römisch abendländisch, griechisch-germanisch, später christlich geprägten Europa." Seitz fordert, "diesen Ballast aus dem finstersten Mittelalter" wieder loszuwerden.

Unterstützung bekommt sie an diesem Abend von Madeleine Feige, AfD-Mitglied aus Sachsen und Initiatorin einer Dresdner Bürgerwehr. Feige pflegt gute Kontakte zu Pegida, zur Identitären Bewegung und dem Netzwerk um Jürgen Elsässer (Chefredakteur "Compact") und Götz Kubitschek ("Junge Freiheit", "Sezession"), die ihrerseits mit den AfD-Rechtsaußen Björn Höcke und André Poggenburg verbandelt sind.

Es sind Verbindungen wie diese, die Ellen Esen die größten Sorgen bereiten: "Über Ecken ist die gesamte neurechte Bewegung miteinander vernetzt." Vom harten, offen rechtsextremen Kern bis zu den gutbürgerlich auftretenden, vermeintlich gemäßigten Populisten. Bedrohlicher als die kaum beachteten Kundgebungen sind also die Netzwerke, die dahinter stehen. Und die sind bei Karlsruhe wehrt sich (KWS) und insbesondere bei Ester Seitz offensichtlich gut geknüpft. Die junge Frau ist gerade in das sächsische Meißen umgezogen. Hoffnungen, dass es mit KWS deswegen bald vorbei ist, macht sich inzwischen niemand mehr. Seitz hat bereits angekündigt, dass sich durch ihren Umzug für ihre "tapferen Patrioten" nichts verändern werde.

Karlsruhe wird die Rechten so schnell nicht los. Das scheint der einzige Punkt zu sein, an dem Frank Mentrup und Jörg Rupp sich einig sind. Der eine nimmt die Nazis hin, der andere zieht sich frustriert zurück. Am vergangenen Sonntag, bei seiner letzten Gegendemo, schüttelt Rupp viele Hände, lacht mit seinen ehemaligen Mitstreitern. Ein bisschen merkt man denen die Enttäuschung an, dass er aufhört. Vorwürfe macht ihm keiner. Von einigen Demonstranten hört man aber: "Lust hab' ich auch schon lange keine mehr". Doch den Nazis deshalb nachgeben? "Das wäre ja noch schöner. Wenn keiner mehr was macht, gewinnen die noch".


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7 Kommentare verfügbar

  • Schwabe
    am 27.12.2016
    Antworten
    Bürgerlich rechter Nationalismus a la AfD ist aggressiv, gefährlich, schürt Rassismus und Hetze.
    Die bürgerliche sogenannte "Mitte" a la CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP führt Kriege, zerstört national und global Gesellschaften, Natur und gewachsene Kulturen und Traditionen.
    Linke Heimatverbundenheit…
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