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"Das haben wir versemmelt"

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Vor 60 Jahren sprach das Bundesverfassungsgericht ein Verbot der KPD aus. Es war das bislang letzte Parteienverbot in Deutschland. Betroffen durch strafrechtliche Verfolgung waren mindestens 125 000 Menschen, viele hatten aber auch ganz ohne Ermittlungen die Folgen zu spüren - wie etwa die Stuttgarterin Irene Jung.

Dem Kommunismus hat Irene Jung noch nicht abgeschworen, auch wenn sie schon lange nicht mehr Mitglied einer Partei ist. "Die Theorie, die wir vertreten haben, stimmt heute noch", sagt die vor Lebensenergie und Diskussionsfreude immer noch strotzende 85-Jährige, "die Idee, dass alle Menschen gleich sind und gleiche Chancen haben müssen, dass es ein Wirtschaftssystem geben muss, das Gerechtigkeit schafft, dass es Frieden geben muss, keine Rüstung mehr produziert wird." 

Jung, die heute im Mehrgenerationenhaus West in Stuttgart lebt, war schon früh politisch aktiv. Mit 16, kurz nach Kriegsende, trat die gebürtige Hamburgerin in die KPD ein, die Kommunistische Partei Deutschlands, ihr Vater musste noch für sie bürgen. Eigentlich war er, obwohl selbst schon in der Weimarer Zeit Kommunist gewesen, dagegen. "Er meinte, ich sei noch zu jung. Er hat zu mir gesagt: Das ist kein Verein, wo man eintritt und dann wieder rausgeht. Da kann man nicht mehr raus", erzählt Jung und lacht. Aber sie habe sich durchgesetzt, weil sie vor allem in den letzten beiden Kriegsjahren schon mitbekommen habe, was es mit dem Nationalsozialismus auf sich hat. Ihr Vater und seine Einstellung hätten sie auch geprägt – "nicht indoktriniert!", betont sie.

Wie sehr die KPD ihr Leben beeinflussen würde, ahnte sie damals noch nicht. Ihren Mann Robert Jung lernte sie durch die Partei kennen, 1955 ziehen die beiden nach Baden-Württemberg, wohnen erst in Bietigheim-Bissingen, wo sie auch heiraten, dann im Nachbarort Löchgau. Ein Jahr später wird die KPD verboten.

Das KPD-Verbot war vor allem ein Projekt des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Der hysterische Antikommunismus der frühen Fünfzigerjahre, befeuert durch den seit 1947 schwelenden Kalten Krieg und den Ausbruch des Koreakriegs 1950, hatte aber schon zuvor zu Maßnahmen politischer Justiz geführt. Bereits im September 1950 hatte die Bundesregierung in einem Beschluss eine Anstellung im öffentlichen Dienst als unvereinbar mit einer "politischen Betätigung gegen die demokratische Grundordnung" erklärt. Ein erster "Radikalenerlass", der auf die KPD und ihr nahestehende Gruppen abzielte. Im Juli 1951 wurde die Jugendorganisation FDJ (Freie Deutsche Jugend) im Westen verboten, am 11. Juli verabschiedete der Bundestag das "Strafrechtsänderungsgesetz". Zur Abwehr von, wie die Bundesregierung wolkig begründete, aus der "Enthüllung kommunistischer Pläne" offenbar gewordenen "drohenden Gefahren".

Dies illegalisierte einen großen Teil der KPD-Parteiarbeit schon lange vor dem Verbot. Jenes beantragte die Bundesregierung schließlich am 19. November 1951 beim Bundesverfassungsgericht. Futter lieferte 1951 ein Aufruf des KPD-Vorstands zum "revolutionären Sturz des Adenauer-Regimes". Ein völlig überzogener Verbalradikalismus, der nichts mit der täglichen Praxis der Parteiarbeit zu tun hatte. Rhetorisch ließ sich allerdings auch die Bundesregierung nicht lumpen: In einer Broschüre des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen ist zu lesen, Kommunisten seien "hartnäckig und erfindungsreich wie Insekten", und: "Sie können sie nur zertreten, wenn Sie sie sehen."

Marginalisiert hatte sich die Partei aber auch selbst. Durch sprunghafte Kurswechsel, die für die Basis kaum nachvollziehbar waren, durch parteiinterne Säuberungen um 1950, durch eine ungeschickte Gewerkschaftspolitik, durch die sie sich selbst ihren Einfluss entzog. Hatte die KPD im September 1947 nach eigenen Angaben 324 000 Mitglieder, waren es im Verbotsjahr nur noch 78 000, Tendenz fallend. Sie war nicht mehr im Bundestag und nur noch in zwei Länderparlamenten vertreten. Als das Parteiverbot am 17. August 1956 vom Bundesverfassungsgericht verkündet wurde, besaß die KPD politisch schon längst keine große Bedeutung mehr.

Trotz des Verbots bleibt das Ehepaar Jung für die Partei aktiv, vor allem der Mann. "1956 kam mein Sohn zur Welt, 1957 meine Tochter, da war ich mehr zu Hause" , erinnert sich Irene Jung. 1966 wird Robert Jung verhaftet, ihm wird Arbeit für die illegale KPD vorgeworfen, er kommt für elf Monate ins Gefängnis Stammheim in Untersuchungshaft. Die Ehe steht damals schon vor dem Aus, Irene Jung hat bereits die Scheidung eingereicht. "Aus privaten Gründen", wie sie betont, mit Roberts Parteiarbeit habe das nichts zu tun gehabt. Gegen sie liegt nichts vor, dennoch durchsucht die Polizei auch ihr Haus in Löchgau, findet aber nichts. Der Polizeieinsatz hat Folgen: Irene Jung verliert ein paar Tage später ihren Arbeitsplatz als Stenotypistin bei den Deutschen Linoleumwerken – weil Robert Jung im Gefängnis sitzt, so die Begründung im Entlassungsschreiben.

Illegale Parteitätigkeit? Die Gattin haftet mit

Durch den Tipp einer Genossin bewirbt sie sich als Bürokraft bei der Stadt Stuttgart. "Ich bekam sofort einen Arbeitsvertrag, mit einer Wohnung, die der Stadt gehörte." Die dreiköpfige Familie ist bereits umgezogen, Jung steht kurz davor, die Stelle anzutreten, da erhält sie einen Brief von der Stadt: "Darin stand, sie müssten leider von der Einstellung Abstand nehmen, weil mein Mann in Stammheim einsitzt. Ich musste auch die Wohnung kündigen und stand dann wirklich auf der Straße mit den Kindern." Immerhin, durch Kontakte wird ihr eine Stelle in Köln vermittelt, sie bricht die Zelte im Südwesten ab.

Das Beispiel Irene Jungs zeigt, wie sich das KPD-Verbot auch auf nicht direkt Strafverfolgte auswirken konnte. Wie viele Menschen wegen des Parteiverbots und des schon 1951 erfolgten FDJ-Verbots in Konflikt mit der Justiz kamen, lässt sich bis heute nicht genau sagen. Man geht von Ermittlungen gegen mindestens 125 000 Personen und von 6000 bis 7000 Verurteilungen aus. Wie hoch die Zahl derer ist, die ohne Ermittlungen oder Anklage massive Probleme bekamen und arbeitslos wurden, weiß erst recht niemand.

So schildert der ehemalige Stuttgarter KPD- und später parteilose Stadtrat Eugen Eberle in seinen Erinnerungen auch die Folgen der Beschlagnahmung von Verlagsräumen und der Druckerei der Tageszeitung "Volksstimme", des Parteiorgans für Württemberg: "Rund 40 bis 50 Kolleginnen und Kollegen verloren durch das Verbot der KPD und ihrer Zeitung allein in Stuttgart ihre Arbeit."

Das Verbot hatte zur Folge, dass manche KPD-Mitglieder, die schon während der NS-Zeit verfolgt wurden, wieder vor ehemaligen Nazirichtern standen und bisweilen wieder in den gleichen Gefängnissen einsaßen. Zum Beispiel der 1920 geborene Stuttgarter Ewald Conzmann. 1938 wurde er wegen seiner KPD-Mitgliedschaft verhaftet und acht Tage im Hotel Silber in der Stuttgarter Dorotheenstraße inhaftiert, der damaligen Gestapo-Zentrale für Württemberg und Hohenzollern. 1956 musste er dort wegen "illegaler Tätigkeit" für die KPD erneut einsitzen, diesmal elf Wochen in Einzelhaft.

Der Bremer Rechtsanwalt Heinrich Hannover, der in den 1960ern viele angeklagte KommunistInnen vor Gericht vertrat, spricht von einem "generalklauselartigen Straftatbestand", der "praktisch jede politische Betätigung von Kommunisten für strafbar erklärte". Es konnte reichen, wenn ein unabhängiger Kandidat bei einer Wahl erklärte, Kommunist zu sein.

Mitte der Sechzigerjahre kam es zu immer stärkerer Kritik an dieser Verfolgungspraxis. 1968 schließlich liberalisiert Justizminister Gustav Heinemann das Strafrecht und setzt eine Amnestie durch, nicht aber eine Wiederzulassung der KPD. Stattdessen darf sich eine neue kommunistische Partei gründen, die DKP.

Durch die Amnestie werden viele laufende Strafverfolgungen eingestellt, Gefangene kommen frei, auch Robert Jung. Für Irene Jung kommt der Schritt zu spät, sie hat den Südwesten schon verlassen. In Köln fängt sie 1972 nach einer Begabtensonderprüfung an zu studieren, Geschichte, Deutsch und Kunst auf Lehramt. Politisch aktiv ist sie immer noch: an der Uni in den Fachschaften und im AStA, außerdem ist sie der neu gegründeten DKP beigetreten.

Nach ihrem Studium bekommt sie zu spüren, dass auf die Liberalisierung schon die nächste Verschärfung gefolgt ist, der noch aus der Regierung Willy Brandts stammende Radikalenerlass. 1977, just am Tag ihrer Vereidigung nach dem zweiten Referendariat, wird ihr mitgeteilt, dass sie nicht in den Schuldienst übernommen werden könne: wegen "Zweifeln an der Verfassungstreue", mit Verweis auf all ihre politischen Aktivitäten der letzten Jahre.  "Alles Sachen, die demokratisch legitimiert sind", empört sich Jung noch heute.

Sechs Jahre lang kämpft sie in drei Verfahren gegen das Land Nordrhein-Westfalen, um doch noch zum Schuldienst zugelassen zu werden. In dieser Zeit hält sie sich mit Honorarverträgen über Wasser, arbeitet auch eine Zeit lang als Heimleiterin eines Internats für höhere Töchter. Ihre politische Gesinnung behält sie für sich, dem Personalchef bleibt sie wohl nicht ganz verborgen. "Er hat mich einmal angesprochen: 'Darf ich Sie was Persönliches fragen? Waren Sie mal bei den Jusos?' Dann hab ich gesagt: Nee, war ich nicht", erzählt Jung und lacht laut. Die Jusos waren wohl das Extremste, was sich ein Personalchef vorstellen konnte.

Erst 1983 erhält sie die Nachricht, dass sie sich nun an einer Schule in Köln bewerben dürfe. Da ist sie 53 und kann noch zwölf Jahre lang an einer Gesamtschule unterrichten.

Eine Entschuldigung für die erlittenen Repressalien hat Jung nie erhalten, sie erwartet auch keine. Ihr Leben hätte einfacher sein können, ihre Rente ist viel geringer, als wenn sie gleich nach dem Studienabschluss in den Beruf hätte einsteigen können. Aber verbittert sei sie nicht, betont Irene Jung,  ein erfülltes Leben habe sie gehabt, viel gesehen und erlebt.

1989 ist sie dann doch aus der DKP ausgetreten, "einer der schlimmsten Momente in meinem Leben". Jung ist Teil der Erneuerer-Bewegung, inspiriert von Gorbatschows Perestroika, aber für viele Genossen sind dies einfach nur Verräter. "Die hiesige Partei war bei den Betonköpfen geblieben. Da musste ich raus!", sagt Jung. "Wir waren auch dogmatisch bis zum Geht-nicht-mehr." Und gegenüber der UdSSR, dem Stalinismus und der eigenen Parteiführung sei sie oft zu unkritisch gewesen, habe Widersprüche viel zu spät wahrgenommen, eine Schere im Kopf gehabt. "Wo wir den ersten Knacks hätten bekommen müssen: Alle die Leute aus der KPD, die nach 1933 in den Westen emigrieren konnten, danach wieder kamen und die Partei überall mit aufbauten, die sind ganz schnell verschwunden." Erst viel später habe sie gelesen und gehört, dass sie alle Parteisäuberungen zum Opfer gefallen waren, weil man sich in Moskau nicht für sie, sondern für die Ulbricht-Gruppe entschieden hatte, um den Sozialismus in Deutschland aufzubauen. "Wenn wir das gewusst hätten, wären wir nicht dabei geblieben."

Auch an der Parteiorganisation lässt Irene Jung rückblickend kein gutes Haar: "Es hieß immer, es geht von unten nach oben. Aber tatsächlich wurde oben entschieden. Das war keine Demokratie von unten." In anderen Parteien sei das zwar auch so, "aber dass wir das im Grunde genau so, in Teilen sogar schlimmer gemacht haben", das werfe sie den damaligen Parteiführungen vor. Und schließt: "Wir haben's versemmelt, wir haben's total versemmelt."


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8 Kommentare verfügbar

  • invinoveritas
    am 02.09.2016
    Antworten
    @Rolf Schmid

    um nur zu demonstrationszwecken mit derselben idiotischen münze zurückzuzahlen: Ihr kommentar zeigt, dass Sie einer dieser schlecht bezahlten putinschen lohnschreiber sind.

    1. auf der krim wurden ukrainische kasernen von Putins verkleideten soldaten umzingelt, was Putin nach…
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