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Die Guten zahlen schlecht

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Für Kindergärtnerinnen und Müllmänner hat Verdi in diesem Jahr schon ein ordentliches Gehaltsplus ausgehandelt. Doch bei den eigenen Leuten knausert die Gewerkschaft: jährlich nur 0,73 Prozent mehr Geld gibt es für Verdi-Angestellte. Vergeblich hatten sie ihre Gewerkschaft bestreikt.

Es ist ein altbewährtes Ritual. Sobald Tarifverhandlungen anstehen, macht Frank Bsirske den Arbeitgebern klar, wo der Hammer hängt. So auch im Frühjahr, als die Tarifrunde für die 2,14 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen anstand. Sechs Prozent mehr Geld forderte der Chef der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi für seine Mitglieder. Ein erstes Angebot der Arbeitgeberseite über 0,6 Prozent 2016 und 1,2 Prozent im kommenden Jahr geißelte der Gewerkschaftsboss noch als "dreist und provokativ". Letztlich einigten sich beide Seiten auf eine Erhöhung der Löhne und Gehälter in zwei Schritten um insgesamt 4,75 Prozent.

Folgt man Bsirkes Lesart, dann verfährt Verdi mit den eigenen Mitarbeitern ähnlich respektlos wie die vielgescholtenen öffentlichen Arbeitgeber. Denn bei der aktuellen, im Juli vereinbarten Entgeltrunde im eigenen Haus geizte die Verdi-Führung: Zunächst gibt es für die 3000 Verdi-Angestellten drei Nuller-Monate, erst ab September steigen die Gehälter linear - um gerade mal ein Prozent anfangs, im November 2017 soll es weitere zwei Prozent obenauf geben. Die Zahlen täuschen mehr vor als letztlich rüberkommt. Durch die 28-monatige Laufzeit der Vereinbarung fällt das jährliche Gehaltsplus deutlich magerer aus: umgerechnet bekommen die Gewerkschafter jährlich 0,73 Prozent mehr.

"Das ist unterirdisch", schimpft Bernhard Stracke. "Auf so etwas hätte sich keine unabhängige Arbeitnehmervertretung eingelassen", glaubt der Vorsitzende der Gewerkschaft der Gewerkschaftsbeschäftigten (GdG). Die unabhängige GdG hatte vor den Verhandlungen sechs Prozent mehr Geld gefordert. Der Verdi-Gesamtbetriebsrat hatte fünf Prozent mehr für seine Leute verlangt, die monatlich zwischen 3000 Euro (Sekretärin) und 4000 Euro (mittlerer Funktionär) brutto verdienen. 

Dabei hatte die GdG Druck gemacht und alle Verdi-Beschäftigten zum Ausstand gegen den eigenen, streikerprobten Arbeitgeber aufgerufen. Am Montag, den 11. Juli, traten bundesweit rund 1000 Verdi-Beschäftigte zeitweilig in den Warnstreik, was in diesem Umfang ein Novum in der Geschichte von Verdi sein dürfte. Allein zur zentralen Protestkundgebung beim Frankfurter Gewerkschaftshaus kamen allein rund 500 Mitarbeiter. Als die Verhandlungskommission des Bundesvorstands eintraf, streikte sogar der Aufzug, sodass sich die Gewerkschaftsspitze in der ungewohnten Rolle des Spießrutenlaufens durch eine trillerpfeifende Protestmenge wiederfand.

Es hätte nach außen kein gutes Bild gegeben. Während Gewerkschaftsboss Bsirske bei Tarifauseinandersetzungen gern im Scheinwerferlicht steht, scheute der Verdi-Vorstand diesmal die Öffentlichkeit. Die Presse wurde erst gar nicht zur Berichterstattung über die Verhandlungen eingeladen. Stillschweigen auch im Verdi-Presseportal. Dort findet sich zwar eine aktuelle Meldung zum Tarifabschluss im Bankengewerbe, aber keine zum Abschluss im eigenen Haus. Das Hintermberghalten hatte Erfolg: In den Medien kam der Verdi-Konflikt kaum vor, die Deutsche Presseagentur begnügte sich mit zwei Kurzmeldungen. Kurz: Die Öffentlichkeit bekam vom gewerkschaftsinternen Zwist ums Geld fast nichts mit.

Gewerkschafter streiken gegen die eigene Gewerkschaft

Dabei hätte es sich durchaus gelohnt, genauer zu hinterfragen. Etwa, warum das Verhandlungsergebnis in der rekordverdächtigen Zeit von nur fünf Stunden spruchreif war. Erklären kann dies auch Bernhard Stracke nicht. Denn unabhängige Gewerkschaftsvertreter wie er saßen nicht mit am Verhandlungstisch. 1994 hatte sich die GdG gegründet, damals als Verband der Gewerkschaftsbeschäftigten, unter anderem weil es für sie keine andere Tarifvertragspartei gibt, die rechtswirksam Tarifverträge abschließen könnte. Und auch, weil Gewerkschaftsbeschäftigte keine Lobby innerhalb ihrer Organisationen haben, erläutert Stracke.

Heute hat die GdG nach seinen Angaben insgesamt 1000 Mitglieder und vertritt zehn Prozent der Verdi-Beschäftigten. Noch zu wenig, um beim Gewerkschaftsvorstand ein Mitspracherecht einfordern zu können. Das magere Ergebnis handelten andere aus: alleiniger Ansprechpartner für die Verdi-Spitze ist, wie auch bei allen anderen Einzelgewerkschaften und beim Deutschen Gewerkschaftsbund als Dachverband, der Gesamtbetriebsrat. Auf Landesbezirks- oder Kreisebene sprechen die Betriebsräte für die Arbeitnehmer. Und dies, obwohl nahezu alle Gewerkschaftsmitarbeiter auch Mitglied ihres Arbeitgebers sind, also gewerkschaftlich organisiert sind.

Gewerkschaften sind Tendenzbetrieb ohne Tarifverträge

Diese Konstruktion der Arbeitnehmervertretung rührt aus betriebsrechtlicher Historie her: Gewerkschaften gelten als Tendenzbetriebe, die nicht gewinnorientiert, sondern mit unmittelbar und überwiegend ideeller Zielsetzung arbeiten. Aus arbeitsrechtlicher Sicht führt dies zu dem Kuriosum, dass die Gewerkschaften selbst eigentlich nicht bestreikt werden können. Denn den Betriebsräten ist es von Gesetz wegen verboten, zum Streik aufzurufen, um Arbeitnehmerforderungen gegenüber dem Gewerkschaftsvorstand durchzusetzen. Nach Paragraf 74, Absatz 2 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) sind Betriebsräte dazu verpflichtet, "Maßnahmen des Arbeitskampfes" zu unterlassen. Allerdings stellt das Gesetz sofort im Anschluss daran klar, dass "Arbeitskämpfe tariffähiger Parteien" durch dieses Verbot "nicht berührt" werden. Tariffähig sind auf Seiten der Arbeitnehmer nur die Gewerkschaften, nur sie und nicht etwa ein Betriebsrat können Tarifverträge abschließen.

So kommt es auch, dass bei den Gewerkschaften bislang keine Tarifverträge existieren. Bei Verdi verbietet sogar explizit die eigene Satzung, ein derartiges Vertragswerk abzuschließen, in dem die Tarifpartner, also Arbeitgeber und in der Regel die Gewerkschaft, Rechte und Pflichten und arbeitsrechtliche Normen festschreiben. Stattdessen regeln bei Verdi sogenannte Allgemeine Arbeitsbedingungen Wochenarbeitszeit und Urlaubsanspruch – was Kritikern schon länger monieren. Sie sagen, dass die Arbeitsbedingungen in der Regel einseitig, zu Gunsten der Arbeitgeber ausgehandelt und formuliert sind. "Der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske fordert schon immer Tarifverträge für alle Beschäftigten. Nur im eigenen Haus verweigert er seinen Mitarbeitern einen", kritisiert Stracke.

Die Streiks drücken auf den Kassenstand von Verdi

Kenner der Verdi-Welt unterstellen dem Gewerkschaftsvorstand jedoch nicht die Absicht, ihre Mitarbeiter besonders ausnützen zu wollen. Vielmehr scheinen die Arbeitskämpfe der jüngeren Vergangenheit die Streikkassen geleert zu haben. So beziffern Experten die Kosten eines Streiktags im öffentlichen Dienst mit mehr als einer Million Euro. Allein die wochenlangen Streiks bei der Post und in Kindergärten im vergangenen Jahr hätten mehr als 40 Millionen Euro gekostet und die Streikreserven eines Jahres aufgebraucht, schätzt der Tarifexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Hagen Lesch. Zwar stecke die Gewerkschaft seit 2012 jedes Jahr acht Prozent ihrer Beitragseinnahmen in den Streikfonds, zuvor seien es nur drei Prozent gewesen. Bei Einnahmen von 444,4 Millionen Euro im vergangenen Jahr seien also allein 2015 mehr als 35 Millionen Euro in die Streikkasse geflossen, rechnete Lesch in der "Welt" vor. Hinzu kämen noch die Erträge aus dem Vermögen der Gewerkschaft, aus Immobilien, Anleihen und Aktien. Dennoch müsse die Streikkasse derzeit für zukünftige Arbeitskämpfe erst wieder aufgefüllt werden, so ein Insider.

Darauf deuten auch Äußerungen von Ute Grandt hin, die im Verdi-Bundesvorstand zuständig für Personal ist: "Wir finanzieren uns ausschließlich aus Beitragseinnahmen, die vollständig für die gewerkschaftliche Arbeit eingesetzt werden, auch für Personal", betont Grandt auf Anfrage von Kontext. In den internen Entgeltverhandlungen gehe es daher immer auch darum, einen "vernünftigen Ausgleich" zu schaffen zwischen den berechtigten Erwartungen der Beschäftigten auf Einkommenserhöhungen und der Notwendigkeit, genug Geld für Personal und betriebliche Arbeit zu haben. "In diesem Jahr wurde der verfügbare Rahmen von Beitragseinnahmesteigerungen vollständig für die Entgelterhöhung eingesetzt", so Grandt. Zudem seien die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen bei Verdi deutlich besser als in vielen Branchen, in denen Verdi die Interessen der Arbeitnehmer vertritt.

Gelassen sieht Grandt auch, dass die Verdi-Mitarbeiter selbst in den Warnstreik traten. Der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske habe sich zuletzt beim Bundeskongress der Gewerkschaft im September 2015 klar für ein Streikrecht der Belegschaft positioniert. Grandt weist auch die Kritik am Fehlen eines Tarifvertrags zurück: "Die Abschlüsse, die der Gesamtbetriebsrat mit dem Arbeitgeber ver.di abschließt, sind tarifvertragsersetzend und wirken tatsächlich wie Tarifverträge - also bei einer Kündigung, egal durch welche Partei, auch mit einer Nachwirkung", betont sie. Für deren Durchsetzung könne der Gesamtbetriebsrat, anders als Betriebsräte in anderen Unternehmen, notfalls auch zum Streik aufrufen, ergänzt sie.

Dagegen schließt die Verdi-Personalchefin aus, dass bei künftigen Entgeltverhandlungen neben dem Gesamtbetriebsrat auch unabhängige Gewerkschaftsvertreter mit am Tisch sitzen. Das Bundesarbeitsgericht habe 2006 festgestellt, betont sie, dass die GdG "nicht tariffähig ist". Aus der Stuttgarter Zentrale gibt es dazu keinen Kommentar. Das Thema sei voll beim Berliner Bundesvorstand angesiedelt, betont ein Sprecher, dazu habe man nichts zu sagen.

Info:

Verdi ist mit rund 2,1 Millionen Mitgliedern die zweitgrößte Gewerkschaft Deutschlands nach der IG Metall. Die Organisation ist 2001 durch die Fusion von ÖTV, DAG, IG Medien, HBV und Postgewerkschaft entstanden.


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3 Kommentare verfügbar

  • Schwabe
    am 09.08.2016
    Antworten
    Schließe mich Marion Kuster an. Die 'Guten' sind eben keine 'Guten' mehr.
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