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Nette Pharmareferenten

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Mehr als 20 000 Mediziner bekamen im vergangenen Jahr Zuwendungen von Arzneimittelherstellern. Aber ist das überhaupt problematisch, wenn Ärzte Geldzuwendungen bekommen? Wissenschaftler haben es getestet.

Das amerikanische Recherchezentrum ProPublica, das seit 2010 Zahlungen an amerikanische Ärzte veröffentlicht, hat kürzlich bestätigt: Es gibt einen <link https: www.propublica.org article doctors-who-take-company-cash-tend-to-prescribe-more-brand-name-drugs internal-link-new-window>Zusammenhang zwischen der Summe, die ein Arzt von Pharmafirmen erhält, und der Menge von teuren Original-Medikamenten, die er verschreibt. Augenärzte etwa, die kein Geld annehmen, verschrieben 46 Prozent Original-Medikamente. Nahmen die Ärzte weniger als 100 Dollar an, verschrieben sie rund 50 Prozent der teureren Präparate. Erhielten sie mehr als 5000 Dollar – sogar 65 Prozent. Dabei sind Original-Medikamente meist keinen Deut besser als Generika-Präparate – Medikamente mit dem gleichen Wirkstoff, die nach Ablauf des Patentschutzes von anderen Herstellern billiger angeboten werden.  

Zudem können Zahlungen von Pharmafirmen Ärzte dazu bringen, die Nebenwirkungen von Präparaten zu unterschätzen. Das hat Amy Wang, Internistin an der Mayo Clinic im amerikanischen Rochester, gemeinsam mit Kollegen <link http: www.bmj.com content bmj.c1344 internal-link-new-window>herausgefunden. Im Mittelpunkt ihrer Untersuchung stand das umstrittene Medikament Rosiglitazon, das bei Diabetes-Patienten zu einem erhöhten Herzinfarktrisiko führt. Die Forscher prüften 202 wissenschaftliche Veröffentlichungen über das Medikament und fanden heraus: Autoren, die Zahlungen von Herstellern des Medikaments annahmen und dies bei der Veröffentlichung offenlegten, vertraten insgesamt eine positivere Position über die Nebenwirkungen des Medikaments als jene, die keine Zahlungen bekamen.

Ein Team um Colette De Jong, Versorgungsforscherin an der University of California in San Francisco, entdeckte, dass selbst simple Essenseinladungen Einfluss auf Ärzte haben können. Die Wissenschaftler werteten <link http: archinte.jamanetwork.com internal-link-new-window>Daten von etwa 280 000 Ärzten aus. Bekam ein Arzt eine gesponserte Mahlzeit, etwa auf einer Pharmaveranstaltung, erhöhte das die Chance, dass er das Medikament des Sponsors verschreiben würde. Psychiater etwa, die kein Essen annahmen, verschrieben das Antidepressivum Desvenlafaxin mit einer Häufigkeit von 0,5 Prozent unter Mitteln derselben Klasse. Bei Ärzten, die ein bezahltes Essen im Wert von unter 20 Dollar annahmen, stieg der Wert auf 1,5 Prozent. Ein einziges Essen verdreifachte also die Verschreibungshäufigkeit. Bei Nebivolol, einem Betablocker zur Blutdrucksenkung, stieg die Verschreibungsrate nach einem Essen von 3 Prozent auf 8 Prozent, nach drei Essen gar auf 14 Prozent.

Psychologischer Einfluss

Zur Beeinflussung durch geldwerte Vorteile kommt die psychologische Beeinflussung durch die sogenannten Pharmareferenten – Vertreter der Unternehmen, die durch Ärztepraxen touren, um Medikamente anzupreisen. "Die Pharmaindustrie hat Außendienstler, die so gut sind, dass sie jeden rumkriegen", sagt Peter Pommer, Pneumologie-Chefarzt am Gesundheitszentrum Oberammergau. "Viele Ärzte sehen sich von allen beschimpft: Patienten, Journalisten, Krankenkassen", sagt Pommer. "Der Einzige, der immer nett zu ihnen ist, ist der Pharma-Außendienstler."

In den USA entfällt rund die Hälfte der Marketing-Ausgaben der Pharmaunternehmen auf die Außendienstler. Geschätzt 5000 Dollar pro Jahr und Arzt geben die Firmen aus, um Vertreter zu beschäftigen. Die Ausgaben lohnen sich. Klaus Lieb, Psychiater an der Uniklinik Mainz und Kritiker von Pharmazahlungen, fand 2014 mit einem Kollegen in einer Umfrage unter 160 Ärzten heraus, dass die meisten Ärzte Pharmareferenten empfangen. Die <link http: journals.plos.org plosone internal-link-new-window>Autoren schreiben, dass Ärzte, die keine Pharmareferenten empfangen, rationaler im Umgang mit Medikamenten seien.

Viele Pharmaunternehmen fahren zweigleisig: Verschreibende Ärzte halten sie durch persönliche Betreuung und kleine Geschenke bei Laune: vom Kugelschreiber über Essen bis zur Fortbildung im Luxushotel. Die Meinungsführer – leitende Ärzte, die großen Einfluss auf die Empfehlung von Medikamenten haben – gewinnen sie durch Beraterverträge und Einladungen zu Reden. Ein Chefarzt oder Professor erhält für einen 45-minütigen Vortrag rasch eine hohe vierstellige Summe.

Ärzte wähnen sich immun

Ein großer Teil der Ärzte ist sich dabei gar nicht bewusst, dass sie beeinflusst werden. Das hat etwa Michael Steinman, Gesundheitsforscher an der University of California in San Francisco, mit Kollegen <link http: www.amjmed.com article abstract internal-link-new-window>untersucht. In der Studie der Forscher gaben mehr als vier von fünf Ärzten an: Ja, sie glaubten, Pharmazahlungen und -kontakte würden das Verschreibungsverhalten ihrer Kollegen ändern. Einerseits. Andererseits: Sich selbst glaubten viele immun. Fast zwei von drei Ärzten waren der Überzeugung, gegen Beeinflussungen gefeit zu sein.

Eine der Rechtfertigungen unter Ärzten: Man habe ja Kontakt nicht nur zu einer, sondern zu mehreren Firmen, das gleiche sich aus. "Ich lege Wert darauf, Kontakt zu verschiedenen Firmen zu haben", sagt etwa Andreas Greinacher, Professor für Immunologie an der Uniklinik Greifswald. Das Problem: Konkurrierende Pharmafirmen haben durchaus übereinstimmende Interessen. Etwa: neue und teurere Arzneimittel zu verkaufen, Präparate, die vielleicht gar nicht besser sind als ältere Mittel – und zudem vielleicht stärkere Nebenwirkungen haben.

Und manchmal ist es gar nicht nötig, dass der Arzt überhaupt zu Medikamenten greift. Darauf weist etwa Tom Bschor, Chefarzt für Psychiatrie an der Berliner Schlosspark-Klinik, hin: Es sei etwas grundsätzlich anderes, ob er bei einer Depression ein Antidepressivum verschreibe oder zu einer Psychotherapie rate. Woran die Pharmahersteller aber interessiert sind, ist klar.

Im System verwurzelt

Das letzte und wohl bedeutendste Problem: Der Pharmaeinfluss ist aus dem jetzigen System kaum wegzudenken. Für Ärzte ist es schwer, unabhängig zu bleiben, selbst wenn sie es wollen. Das gilt nicht nur für die Forschung und Entwicklung neuer Medikamente, bei der die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und der Industrie in klinischen Studien wohl unerlässlich ist. Sondern zum Beispiel auch bei Fortbildungen. Ärzte müssen sich fortbilden lassen, das ist gesetzlich vorgeschrieben. Doch heutzutage seien Fortbildungen und Kongresse gar nicht mehr ohne Pharmasponsoring denkbar, sagt Ulrich Laufs, leitender Oberarzt für Innere Medizin am Uni-Klinikum Saarland. "Es gibt eine Fortbildungspflicht, aber keinen Etat", sagt Laufs, "man überlasst das Ganze den Herstellern."

Die Hotels, die Mahlzeiten, die vierstelligen Vortragshonorare für die Referenten müssten sonst von den Hörern selbst bezahlt werden – oder entfallen. Aber: "Die Ärzte haben sich an den Luxus gewöhnt", sagt Christiane Fischer, ärztliche Geschäftsführerin der <link https: www.mezis.de external-link-new-window>Initiative MEZIS. Bei der Ärztevereinigung ist der Name Programm – die Abkürzung steht für "Mein Essen zahl ich selbst". "Die Qualität einer Tagung bemisst sich nicht an der Sterneanzahl des Hotels", sagt Fischer. So könne es nicht weitergehen. "Wir brauchen industrieunabhängige Fortbildungen."

Dass es auch ohne Pharmasponsoring geht, zeigt der Berliner Psychiater Bschor. Er hat ein Symposium in seiner Klinik organisiert – bei dem die Referenten kein Honorar bekommen haben. Früher hat er für Vorträge selbst vierstellige Summen von Pharmafirmen kassiert. Mittlerweile legt er großen Wert auf seine Unabhängigkeit. "Ärzte werden gut bezahlt, wir brauchen kein Zweiteinkommen", sagt Bschor. "Am Ende kommt doch alles aus dem Gesundheitswesen, von den Patienten", sagt der Psychiater, "dafür ist das Geld doch nicht da."

Der Autor ist Redakteur des Recherchezentrums Correctiv. Die Redaktion finanziert sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Informationen finden Sie unter <link https: correctiv.org internal-link-new-window>correctiv.org.

Info:

Wenn Sie wissen wollen, wie viel Geld Ihr Arzt im vergangenen Jahr von der Pharmaindustrie erhalten hat, <link https: correctiv.org euros internal-link-new-window>klicken Sie hier.


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4 Kommentare verfügbar

  • Kornelia
    am 31.07.2016
    Antworten
    @Fred Heine
    "marktwirtschaftlich orientierten Pharma-Industrie"

    1. "In den USA sterben mehr Kinder innerhalb eines Jahres nach der Geburt als in den meisten europäischen Ländern und Staaten wie Kanada und Japan. In der weltweiten Statistik zur Kindersterblichkeit belegen die Vereinigten Staaten…
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