KONTEXT:Wochenzeitung
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Kämpfen für den Klingelbeutel

Kämpfen für den Klingelbeutel
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Streik in den Medien? Schon was davon gehört? Kontext schließt die Wissenslücke. Unser Autor erklärt, wie es zu dem miserablen Abschluss von 1,5 Prozent kam. Dazu stellen wir den Streikbrief von Thomas Ducks, Betriebsratsvorsitzender des "Schwarzwälder Boten". Er greift die Gewerkschaften scharf an.

Zeitungsverlegerinnen und -verleger sind im besten Falle Patrone. In jedem Fall von sich überzeugte Mittelständler mit einem ausgeprägten Herr-im-Hause-Standpunkt und oft vertreten durch Manager, die ohne Probleme eine Wurstfabrik managen könnten. Publizistisches Verständnis? Fehlanzeige. Die Ausgestaltung der Pressefreiheit ist meist Lippenbekenntnis für den jährlich wiederkehrenden "Tag der Pressefreiheit" und der Redakteur und die freie Journalistin sind in diesem Denken Humankapital zur Steigerung der Profitrate.

"Gute Zeitungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie von guten Journalisten gemacht werden. Sehr gute Zeitungen von sehr guten Journalisten", sprach etwa der Local-Hero-Verleger der "Mittelbayerischen Zeitung", Peter Esser, auf dem Zeitungskongress des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) 2015 in Regensburg. Und deshalb ist er konsequenterweise 2011 aus der Tarifbindung des BDZV ausgetreten. Denn es muss ja in das "Tarifwerk Zukunft", so das BDZV-Motto, investiert werden.

Das Thema des BDZV-Zeitungskongresses im September 2016 in Berlin heißt "Disruption und Transformation". Disruption ist das neue Modewort beseelter Konzernlenker, die beglückt aus Silicon Valley zurückkommen und den neuen Medien huldigen. Doch was meinen die Verleger? Untergang und Umwandlung der gedruckten Medien etwa – oder der Tarifverträge?

Die Freien seien arm, aber glücklich

Der Vorsitzende des sogenannten sozialpolitischen Ausschusses des BDZV, Georg Wallraf, hat am Vorabend der Zeitungs-Tarifrunde 2016 den 14 000 Redakteuren und rund 25 000 freien Journalistinnen, die "arm, aber verblüffend glücklich" seien, so der "Spiegel" 2012, die Botschaft überbracht, dass er "keinen Spielraum für eine Gehalts- oder Honorar-Erhöhung" sehe.

Auf der anderen Seite formulierten die JournalistInnen in den jeweiligen Gremien ihrer Gewerkschaften eine 4,5-Prozent-Forderung für zwölf Monate (DJV) und fünf Prozent bei der dju. Denn die Statistik zeigt, dass sie über fünfzehn Jahre hinweg von der durchschnittlichen jährlichen Tariferhöhung aller Branchen um über fünfzehn Prozent im Hintertreffen sind.

Bei den freien JournalistInnen – sie sind mit die Ärmsten der Republik – liegt laut Angaben der gesetzlichen Künstlersozialkasse (KSK) – der Brutto-Jahresgewinn vor Steuern bei 17 000 Euro. Das entspricht abzüglich der Sozialabgaben etwa einem Nettoeinkommen von 1100 Euro im Monat.

Beliebter Sport der Verleger ist, den hauptberuflichen freien JournalistInnen die gesetzlich vorgeschriebene Vergütung für Bild- und Wort-Beiträge zu verweigern oder bei Beschäftigten, die mit einer Pauschale von etwa 180 Euro brutto am Tag über Jahre hinweg beschäftigt werden, weder die tarifliche Altersversorgung noch die berufliche Erfahrung in Gestalt höherer Berufsjahrvergütungen zu bezahlen. Hinzu kommt vielfach die Nichtvergütung der von ihnen zusätzlich genutzten Online-Urheberrechte durch Dritte.

Rechnen wir das einmal durch: Wenn ein Verlag mit etwa 30 freien Journalisten täglich pro Zeile fünf Cent einspart und der Freie oder die Freie rund 200 Zeilen schreibt, dann sind das 30 000 Cent pro Tag oder 300 Euro. Dies mal 300 Tage im Jahre, ergibt ein hübsches Sümmchen von 90 000 Euro für den verlegerischen Klingelbeutel. Bei einem Bild kann der Unterschied zum Tarif schon fünf oder zehn Euro betragen. Dieser Mundraub plus nicht vergütete Mehrverwertung spart ansehnliche Beträge. Und dabei ist die Annahme von fünf Prozent Honorarschwund in der Praxis eher die Ausnahme, weil meistens noch höher. Da lässt sich der Verleger des "Reutlinger Generalanzeiger", Valdo Lehari, doch <link http: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft foto-fuer-zwei-fuffzig-3667.html external-link-new-window>lieber (erfolgreich) vor Gericht verklagen, als anständige Honorare zu bezahlen. Das ist kein Einzelfall, weder in Baden-Württemberg noch in der Republik. Versuchen Sie mal, als Abonnent zehn Prozent des Preises einzubehalten.

Die Chronologie des Streiks 2016

Das Ringen zwischen den ungleichen Parteien beginnt im Januar 2016. Die rund 1000 gewerkschaftlich organisierten Redakteurinnen und Redakteure (Gesamtzahl 2200 in Baden-Württemberg) wollen also 4,5 beziehungsweise fünf Prozent mehr. Für Feste und Freie. Die Verleger wollen mehr Zeit, denn jeder Monat, der vergeht, bringt ihnen Gewinn. Die Taktik der Gewerkschaft lautet anders: möglichst kurze Intervalle zwischen den Verhandlungen, breite Mobilisierung und schnelle bundesweit wirkende Warnstreiks.

10. Februar, Aschermittwoch: Die beiden Gewerkschaften DJV und dju treffen erstmals auf die Verleger. Für deren Südwestverband sitzen die Geschäftsführer Stephan Bourauel (VSZV) und Thomas Brackvogel von der Ulmer "Südwestpresse" am Tisch. Sie legen kein Angebot vor. Immerhin, die JournalistInnen, so sie in den beiden Gewerkschaften organisiert sind, dürfen streikerfahren genannt werden. Ebenso eine gute Zahl von PauschalistInnen im Stuttgarter Medienkonzern SWMH und vereinzelt da und dort in einigen Blättern.

10. März: Zweite Verhandlungsrunde – erneut kein Angebot.

19. April: Erste Warnstreiks beim "Mannheimer Morgen", in Stuttgart bei "Zeitung" und "Nachrichten", plus Redakteure von der "Südwestpresse" und vom "Schwarzwälder Boten". Die Kerntruppe um SWMH-Konzernbetreuer Uwe Kreft (Verdi) mobilisiert überzeugend. Allerdings vermissen die KollegInnen eine zentrale Streikversammlung, die vorher auf Landesebene vereinbart war. Der BDZV bietet nichts Verhandlungsfähiges an.

In der Druckindustrie schiebt sich die Lohnrunde in den Vordergrund, was hilfreich hätte sein können, denn in einigen Schwerpunktbetrieben waren DruckerInnen und JournalistInnen bereit, gemeinsam um mehr Geld in der Brieftasche zu kämpfen. Leider wird das nicht genutzt, es gibt gezielte Kritik an dieser verpassten Chance.

27. bis 29. Juni: Die Baden-Württemberger verabreden sich, drei Tage zusammenhängend zu streiken. In Stuttgart und Oberndorf schaffen sie es, andernorts nur tageweise.

Am 28. Juni findet eine Sternfahrt aus Hessen und Bayern nach Ulm statt, wo sich die Streikenden aus 18 baden-württembergischen Zeitungen treffen und dem Bericht des DJV-Hauptgeschäftsführers Kajo Döhring sowie des dju-Bundesvorsitzenden Ulrich Janßen lauschen. Döhring gibt sich kämpferisch, benennt die 4,5 Prozent als "Muss" und fordert die Basis auf, alles für dieses Ziel zu geben. Kompromisse seien etwas für Weicheier.

Da macht einer dicken Backen, angesichts der realen Lage: Es gibt bundesweit zu viele Zeitungsverlage, in denen kaum oder keine Redakteure und Redakteurinnen organisiert sind, wo die beiden Journalisten-Organisationen auch keine Netzwerke oder Kampfstrukturen entwickelt haben. Es gibt zu viele Zeitungsverleger, die aus der Tarifbindung ihrer Verbände ausgetreten sind. In Baden-Württemberg sind von rund 50 Verlagen fast die Hälfte geflüchtet.

Streikziel verfehlt, die Mitglieder sind sauer

Für die Verhandler auf der Gewerkschaftsseite entsteht so eine schwierige Lage: hier einige starke Streikregionen, dort nichts – ein gutes Ergebnis für alle zu erreichen wird zur Quadratur des Kreises. Die Streikfähigen sind es aber leid, immer nur die Last für einen mäßigen Bundestarif zu schultern. Dann, einen Tag später, am 29. Juni 2016, in Berlin: Habemus monetam. Ein Gehalts- und Honorartarifvertrag ist abgeschlossen.

Sein bescheidenes Ergebnis in Zahlen: Von Januar bis Mai 2016 gibt es nichts. Ab dem 1. Juni eine Erhöhung der Gehälter der RedakteurInnen von 1,5 Prozent für 15 Monate. Ab dem 1. August 2017 eine lineare Erhöhung der Gehälter von 1,7 Prozent für fünf Monate. Die Honorare für freie JournalistInnen und PauschalistInnen an Tageszeitungen werden um die gleichen Sätze angehoben. Weiter gekürzt werden Urlaubsgeld und 13. Monatsgehalt, sodass am Ende ein Zuwachs von 0,3 Prozent bleibt.

Und was ist jetzt mit dem Nachholbedarf? Nichts! Das Streikziel ist verfehlt, die Mitglieder sind sauer, die Diskrepanz zwischen Forderung und Ergebnis ist ihnen nicht vermittelbar. Verständlich ist jetzt die Kritik in den Streikhochburgen Stuttgart und Oberndorf, in denen verlangt wird, das umzusetzen, was in den regionalen Tarifkommissionen beschlossen wurde. Warum nicht einen Pilotabschluss in Baden-Württemberg? Warum kein Konzernabschluss in der SWMH, anstatt sich das Ergebnis immer wieder durch Nichtstreikende verwässern zu lassen? Solche Nagelproben würden viele gerne wagen, um nicht wieder mit einem "gerade noch akzeptablen Ergebnis" (DJV) dazustehen. Sehr kurze Hosen für die Funktionäre.

 

Gerhard Manthey war bis Ende 2014 Leiter der Fachabteilung Medien beim Verdi-Landesverband in Stuttgart. Wie viele Tarifverhandlungen er bestritten hat, kann er nicht mehr zählen.

Info:

Scharfe Kritik an der Streikführung der Gewerkschaften übt der Betriebsratschef des "Schwarzwälder Boten". In einer persönlichen Bewertung schreibt Thomas Ducks, der Abschluss schwäche die Kampfbereitschaft "massiv". Viele KollegInnen fühlten sich von den Hauptamtlichen "hinter die Fichte geführt". Sie schafften damit, was den Verlegern nicht geglückt sei: ein Zerfallen der Streikbewegung. <link file:26198>Sein Brandbrief steht unter diesem Link.


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4 Kommentare verfügbar

  • Egbert Manns
    am 09.07.2016
    Antworten
    O Siggi, si tacuisses, hat der weise Dichter schon vor noch mehr Jahren erkannt. Keiner muss ein Verhandlungsmitglied interviewen, um das Ergebnis als "miserabel" zu bezeichnen. Es entspricht nicht dem, was die ehren- und hauptamtlich tätigen Funktionäre als Ziel verkündet und als Auftrag…
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