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Ballgefühle

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Jungs, so geht es nicht. Schnulzige Rosentattoos statt Tackling, Frisuren hässlicher als zu Zeiten von Vokuhila und dann auch noch diese Kompressionsstrümpfe! Bei der EM in Frankreich stehen zu viele testosterongesteuerte Zicken auf dem Platz. Nehmt euch ein Beispiel an den Mädels!

"Im Kampf um den Ball verschwindet die Anmut, die Seele erleidet unweigerlich Schaden, und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand": wie wahr. Von Zlatan Ibrahimovic, dem in Malmö geborenen Schweden mit bosnischen Wurzeln, und seinem Taekwondo-Spielstil könnte die Rede sein. Vom römischen Gladiator Daniele de Rossi, der an sich selbst erkannte, dass "Fußball manchmal die schlechtesten Seiten in einem Menschen zum Vorschein" bringt. Oder von Jogi Löw mit dem sicheren Griff und exzellenten Riecher, über die in diesen Tagen so maliziös ("Eier-Krauler") diskutiert wird. Stattdessen ging es mal wieder um Frauen. Mit diesem und ähnlich abstrusen Argumenten hatte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) 1955 allen seinen Mitgliedsvereinen verboten, "Damenabteilungen" zu führen, zu eröffnen oder Sportstätten weiblichen Teams zur Verfügung zu stellen, weil "diese Kampfsportart der Natur des Weibes im Wesentlichen fremd" sei. 

Da waren die elf Freunde bekanntlich in Bern gerade zum ersten Mal Weltmeister geworden. Das erste offizielle Länderspiel der Frauennationalmannschaft ereignete sich 1982, gut zehn Jahre nach Aufhebung des Verbots. Silva Neid, später Bundestrainerin, spielte mit und erinnert sich: "Viele Männer waren nur gekommen, um den Trikottausch nach dem Spiel zu sehen. Was für ein Schwachsinn!" In nur 34 Jahren sammelten die deutschen Damen acht Europa- und zwei Weltmeistertitel. Den ersten – bei der EM 1989 fand das Finale in der weltweit renommierten Soccer-City Osnabrück statt – allerdings vor immerhin 22 000 ZuschauerInnen. Als Dank gab es vom Verband ein Kaffeeservice für jede. Den Männern traute der DFB ein Jahr später, nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft in Italien, die Würdigung einer derartigen feinsinnigen Gratifikation nicht zu: Deshalb bekam jeder Spieler, bis hin zum vierten Bankdrücker von links, seinerzeit umgerechnet 64 000 Euro. Anno 2016 wären es 300 000.

Im Fußball tun sich unheimliche, männerfeindliche Dinge

Was irgendwie nur gerecht ist. Denn während sich der modernen (deutschen) Nationalspielerin Extravaganz in der Farbwahl des die Mähne bändigenden Haarbands Bahn bricht, steckt der spätpubertierende männliche Starkicker jede Menge Kohle a) in Tätowierungen und vor allem b) in eng getaktete Besuche im Friseursalon. Radja Nainggolan, Belgier mit indonesischem Vater, stilisiert sich als Ganzkörperkunstwerk mit Lotusblüte auf der linken Schulter, einem Buddha, indonesischen Schriftzeichen, Drachen, einem Dollarzeichen auf der Wade, Würfel auf dem Handrücken, Sinnsprüchen à la "Hate to loose" und neuerdings einer unvorteilhaften Rose am ohnehin zu dicken Hals.

Kingsley Coman, der Pariser, und David Alaba, der Wiener, lassen sich beim Coiffeur im Doppelpack verschönern. Letzterer trägt, nach immer neuen Schnitten, darunter ein millimeterkurzer Maschinen-Cut mit so hochmodernem pflegeintensivem einrasiertem Seitenscheitel, inzwischen einen gefärbten Locken-Mop auf dem Kopf, der den Iros, den verknoteten Zöpfen der Möchtegern-Samurais oder den guten alten Dreads in nichts nachsteht. Und Coman muss in der Vorbereitung auf ein Spiel nicht nur den blutrünstigen Text der "Marseillaise" memorieren, sondern auch noch daran denken, die Perlen aus seinem Zöpfchen zu klauben, damit die Pracht eine regelgemäße Form bekommt. Längst passt der Schiedsrichter-Satz "Jeder Schmuck ist verboten" viel besser zu Männer- denn zu Frauenmatches.

Alles Äußerlichkeiten – wie diese neuen Strümpfe, die bis übers Knie reichen –, die nur ablenken von den inneren Werten der schönsten Nebensache der Welt, in der sich, bisher weitgehend unbemerkt, unheimliche, männerfeindliche Dinge tun. Etwa in Sachen Unterschenkel. Metin Tolan, ein gebürtiger Oldenburger und bekennender VfB-Fan(!), hat in seiner Eigenschaft als Professor für experimentelle Physik Masseverhältnisse, Laufwege und Geschwindigkeiten zu einander in Beziehung gesetzt und den alarmierenden Prozess in nachvollziehbare Formeln gekleidet. Tolan fand heraus, dass unreflektierter Krafteinsatz dem Spiel nicht nützt, sondern schadet.

Spieler sprinten mit 30 km/h über den Rasen und bringen es auf eine maximale Schussgeschwindigkeit von 120 km/h. Frauen sind rund zehn Prozent langsamer und verschaffen dem vorgeschriebenen Unisex-Ball einen Flug mit höchstens 108 Kilometer pro Stunde. Spielerinnen schießen also weniger hart. Kein Grund zur Freude, Jungs! Denn der Professor setzte alles zueinander in Beziehung und gelangt zu Schlüssen, deren Tragweite noch gar nicht abzusehen ist: "Wenn sich die Regeln nicht ändern, die Profis noch athletischer und noch schneller werden und dieser Trend bei den Frauen weiter anhält, werden wir es noch erleben, dass der Frauenfußball populärer sein wird als der Männerfußball – nicht von heute auf morgen. Aber Schnelligkeit und Athletik zerstören ein planvolles Spiel." 

Dauernd werfen sich Fußballer greinend zu Boden

Ohnehin sind zahlreiche männliche Defizite längst spielbestimmend. Immer das langweilige Zustellen der Laufwege, als wärt Ihr noch im Sandkasten. Und dieser immer gleich sture Neuaufbau, anrennend gegen die anderen, die genauso stur sind und sich zum Bollwerk organisiert haben. Wo bleiben Spielwitz, Kreativität und Moral? Die Schwalbe, performt zwecks Verhängung eines Penalty, müsste längst Schwälberich heißen. Denn für die grassierende Seuche der Falleritis nach tatsächlichen oder nur simulierten Fouls von Gegnern sind die Geschöpfe mit dem Y-Chromosom deutlich anfälliger: Dauernd schmeißen sie sich greinend zu Boden, als wären sie rausgeflogen aus dem Hotel Mama.

Es ist ein schlechter Witz, dass solchen Phänomenen zum Trotz nicht Männerfußball unter Frauen, sondern Frauenfußball unter Männern ein Schimpfwort ist. Wie brüllte Rudi Völler (irreführender Spitzname: "Tante Käthe" und früher gefürchtetes Vokuhila-Modell), kürzlich einen Schiedsrichter an: "Pfeif doch Frauenfußball!" In seiner Plastizität und schnörkellosen Kürze fraglos ein verbaler Strafstoß nach dem Vorbild derer, die der Pistolero Ronaldo, ein ebenso breitbeiniges wie ahnungsloses Denkmal des Untergangs, ins Netz zu donnern pflegt – und die ihn noch an seine Zukunft glauben lassen.

Ohne Fußball wäre die Spruch-Kammer der Männlichkeit deutlich leerer. Und würde nicht so beredt Zeugnis ablegen vom unaufhaltsamen Aufholen des Weibes. Johannes Rau (SPD), Bundespräsident und Kenner mit gutem Gedächtnis für Schalke-Größen von ehedem, erwiderte auf die Frage, ob Fußballarenen nicht nach Frauen benannt werden könnten: "Und wie soll dann bitte so ein Stadion heißen? Vielleicht Ernst-Kuzorra-seine-Frau-ihr-Stadion?" Oder Gerd Müller, einer der Weltmeister von 74: "Warum sollen Frauen hinter dem Ball herlaufen? Sie gehören doch hinter den Kochtopf. Meiner Frau würde ich nicht erlauben, Fußball zu spielen." Den Vogel ab schoss aber ein Formel-1-Rennfahrer: "Man schaut doch auch Paralympics – Menschen, die nicht ganz so große Leistungen bringen können." Immerhin wollte er es nachher nicht so gesagt haben.

Kommt endlich runter von Ross, Jungs. Nehmt euch das Schicksal des Männer-Volleyballs zu Herzen: Da wurde irgendwann so viel Muskelkraft eingesetzt, bis es kaum noch nennenswerte Spielzüge gibt. Wahre Kenner und Liebhaber der Kampf-Sportart füllen mittlerweile bundesweit in der Frauen-Liga die Hallen. Und es gibt – Jungs, ganz stark sein! – geschlechtsübergreifende Teams in einer Mix-Liga. Sie verstehen sich als "perfekte Mixtur aus männlicher Schlaghärte und Reichhöhe im Block und mit weiblichem Ballgefühl im Zuspiel". Lange kann es nicht mehr dauern, bis dieser Trend auch den Fußball erfasst.


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1 Kommentar verfügbar

  • Schwabe
    am 22.06.2016
    Antworten
    Gut das mal jemand den Haar- und Tatoowahn dieser überbezahlten Fußball-Lackaffen (Zicken) anspricht.

    Wäre es nicht folgerichtig Fußballfrauschaft zu sagen anstatt doppelgemoppelt Frauenfußballmannschaft oder auch Meisterinnenschaft anstatt Meisterschaft?
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