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Zeitbombe Trinkwasser

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Kann man den Spargel, die Erdbeeren, den Fisch noch essen, die Gärten noch bewässern? 345 Hektar in Nordbaden sind mit per- und polyfluorierten Chemikalien (PFC) verseucht. Und die stehen im Verdacht, krebserregend zu sein.

Es ist ja nicht so, dass die Behörden die Hände in den Schoss legen würden. Inzwischen haben sie die fünfte Info-Veranstaltung hinter sich gebracht, die aufklären soll, diesmal im Bühler Ortsteil Weitenung (Landkreis Rastatt). Darüber, dass Kürbisse weniger Giftstoffe aufnehmen als Petersilie, dass der Körnermais unbedenklich ist oder wie sich die PFC mit dem Grundwasser großflächig verteilen. Aber am Ende sind die 300 Betroffenen nicht unbedingt schlauer. Es scheint, als bleibe ihnen nichts anderes übrig als abzuwarten oder sich mit dem Hinweis zufriedenzugeben, ihre Tiere nicht mit Brunnenwasser zu tränken. Manche sagen auch, PFC sei überall, nur im Nordbadischen werde so viel Wind darum gemacht.

Weitenung ist der erste Ortsteil, der in Gänze von PFC-Grundwasser unterflossen wird. Oben ist alles gut, aber durch die Brunnen kommt das belastete Wasser an die Oberfläche und in die Gärten. "Schlimmer geht immer" – mit dieser Erkenntnis gehen die Einheimischen nach Hause, weil die PFC-Belastung in Nordbaden eine eigene Dynamik entwickelt hat.

Der Anfang

2013 wird bei routinemäßigen Kontrollen zufällig entdeckt, dass das Trinkwasser in Kuppenheim mit PFC kontaminiert ist. Genauer, im Tiefbrunnen Rauental. Die exakten Anfänge der Verseuchung lassen sich nicht mehr bestimmen, aber ein Komposthersteller steht als möglicher Verursacher im Fokus der Behörden und Gerichte. Irgendwann zwischen 2006 und 2008 hatten Bauern in den Landkreisen Rastatt und Baden-Baden den mit PFC-haltigen Papierschlämmen versetzten Kompost auf ihre Äcker gebracht. Die Gerichte werden noch eine Weile damit beschäftigt sein, zu klären, wer schuld ist, aber das hilft aktuell nicht weiter.

Die Folgen sind schon jetzt verheerend. Bis 2013 hatten die per- und polyfluorierten Kohlenwasserstoffe genügend Zeit, unbemerkt aus dem Boden in die Pflanzen, in das Grundwasser und mit der Grundwasserfahne in einige örtliche Trinkwasserbrunnen zu gelangen, aus denen die Bevölkerung mit PFC-haltigem Nass versorgt wird. Seit 2013 kennt man das Problem, aber immer noch gelangen die PFC vom Boden mit dem Sickerwasser in das Grundwasser. Mittlerweile spricht niemand mehr von einer kleinen lokalen Angelegenheit, auf einer Informationsveranstaltung ist von einer "tickenden Zeitbombe ungeahnten Ausmaßes" die Rede.

Was ist dagegen zu tun? Laut Pressemitteilung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom März 2016 so viel: "Die zuständigen Stellen haben bisher alle erforderlichen Schritte eingeleitet und werden weiterhin konsequent daran arbeiten, Gefahren für Mensch und Umwelt abzuwehren. In die noch laufende Planung fließen die aktuellsten Informationen aus Landesprojekten ein. [...] Im Frühsommer 2016 soll dann endgültig über konkrete Maßnahmen zum weiteren Vorgehen mit Blick auf notwendige weitere Schritte entschieden werden. Für den Herbst ist ein weiterer großer Bürgerinfo-Abend geplant." Das beruhigt nicht unbedingt.

Die Landwirtschaft

Wer gedacht hatte, dass auf den verseuchten Äckern keine Landwirtschaft mehr betrieben werden könne, sah sich getäuscht. "Sie können nicht 345 Hektar aus der Nutzung nehmen", verlautet aus dem Rastatter Landratsamt. Im betroffenen Gebiet werden in großem Stil Erdbeeren, Spargel oder auch Mais angebaut, das ist die Existenzgrundlage für viele Landwirte. Laut Gutachten der Beratungsfirma Arcadis GmbH (Wasser, Infrastruktur, Umwelt) würde der Austausch der Erde rund fünf Millionen Euro pro Hektar kosten.

Nun hat das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) 2015 Grenzwerte für PFC festgelegt. Produkte, die diese überschreiten, dürfen nicht verkauft werden. Es finden zusätzliche Lebensmittelkontrollen statt, aber offizielle Anbauempfehlungen für die Landwirte gibt es nicht. Untersuchungen der Behörden haben gezeigt, dass es bei Winterweizen, wasserhaltigem Gemüse, Grün- und Silomais eine hohe PFC-Aufnahme gibt, bei Gerste ist sie gering, bei Spargel und Erdbeeren liegt sie im mittleren Bereich.

Nach den Ergebnissen des Vorernte-Monitorings scheint sich abzuzeichnen, dass Körnermais die kurzkettigen PFC zwar in den grünen Pflanzenteilen einlagert, die Körner selber aber PFC-frei sind. Ist Körnermais also die Lösung, mit der Folge, dass es noch mehr Monokulturen in der Oberrheinebene geben wird? Auch das ist mit einer gewissen Skepsis zu sehen, denn es gibt Wissenschaftler in anderen Bundesländern, die zu völlig anderen Ergebnissen kommen.

Das Wasser

Wie aber die Wasserfrage lösen? Von der Kontamination durch PFC sind das Oberflächen-, das Sicker- und das Grundwasser betroffen. Nach Reinigungsmethoden, die auch die kurzkettigen PFC hinreichend und zuverlässig aus dem Wasser entfernen, wird intensiv geforscht. Bisher ohne greifbare Ergebnisse.

Künftig werden in Nordbaden wohl immer mehr Beregnungsbrunnen wegen der PFC im Grundwasserstrom betroffen sein. Trotzdem sind bundeseinheitliche Regelungen für PFC-Gehalte im Wasser in näherer Zukunft nicht zu erwarten. Immerhin gibt es Geringfügigkeits-Schwellenwerte für PFC, die das Stuttgarter Umweltministerium festgelegt hat. Werden sie überschritten, bleibt der Hahn zu. "Vier meiner fünf Brunnen sind belastet", erzählt ein Bauer, "ich habe in diesem Frühjahr auf den Anbau bewässerungsintensiver Kulturen verzichtet, ich muss auf Trinkwasser ausweichen, die Kosten ersetzt mir niemand, und ich muss Flächen brach liegen lassen." Ein anderer überlegt, einen neuen, 55 Meter tiefen Brunnen zu bohren, weil dort das Wasser noch sauber ist. "Das kostet, grob geschätzt, 140 000 bis 180 000 Euro, die zahlt mir auch keiner. Aber dafür wäre das Wasser PFC-frei und ich hätte erst mal Ruhe." Er rechnet mit einer Zunahme von Insolvenzen bei den Landwirten.

Trotz der laufenden Forschungsvorhaben stehen Vorwürfe im Raum, die zuständigen Umweltbehörden hätten die PFC-Verunreinigung des Grundwassers und deren tägliche Ausbreitung nicht im Blick. Und inwieweit das alles noch zu bezahlen wäre, hätte man endlich eine wirksame Methode gefunden, um PFC aus dem Grundwasser zu entfernen, bleibt eine weitere offene Frage inmitten vieler ungelöster Probleme.

Entwarnung gebe es – momentan – nur für das Trinkwasser, meldet das Gesundheitsamt in Rastatt. Die öffentlichen Wasserversorger würden regelmäßig überprüft, die Trinkwasserbrunnen lägen (noch) in unbelasteten Gebieten, das Wasser sei also unbedenklich, befindet die Behörde. Dafür zuständig sind die Versorger, wie etwa die star.Energiewerke in der Kreisstadt Rastatt. Das Unternehmen sieht auf das Hauptwasserwerk im Stadtteil Ottersdorf eine Fahne mit PFC-belastetem Grundwasser zutreiben und <link http: wasser-rastatt.de aktuelles.html external-link-new-window>ist nicht sicher, wann sie ankommen wird oder ob sie an dessen Brunnen vorbeifließen wird. Es bleibe ein "Zeitfenster von etwa drei Jahren", um sich für den schlechtesten aller Fälle zu rüsten und die Trinkwasserversorgung sicherstellen zu können, heißt es in einer Mitteilung der Firma.

Uneingeschränkt arbeiten kann vorläufig zumindest die Feuerwehr, die bei der Veranstaltung in Bühl-Weitenung erfahren musste, dass auch die Löschwasserbrunnen leider relativ flächendeckend verseucht seien. Was den Kommandanten der örtlichen Spritzenmänner zu der bangen Frage veranlasste, ob sie noch ausrücken könnten? Ganz offiziell beruhigte die Behörde: "Wenn es brennt, dann muss man löschen."

 

Weiterführende Links:

  • <link https: www.umweltbundesamt.de themen chemikalien chemikalien-reach stoffgruppen per-polyfluorierte-chemikalien-pfc external-link-new-window>Themenseite des Umweltbundesamts
  • <link https: rp.baden-wuerttemberg.de rpk documents faq_pfc.pdf external-link-new-window>FAQ des Regierungspräsidiums Karlsruhe zum Thema


Patricia Klatt ist Diplom-Biologin, Fachjournalistin und beschäftigt sich seit einem Jahr mit dem PFC-Skandal im Badischen. Unterstützt wird sie vom Netzwerk Recherche und mit einem Stipendium der gemeinnützigen Olin GmbH.


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