Von hier oben hat man den Überblick. Liebermannhochhaus, 20. Stock, hoch über den Dächern vom Roßdorf. In der Ferne die Schwäbische Alb, etwas näher Nürtingen, ganz nahe, am Fuße des Hochhauses, unter den surrenden Hochspannungsleitungen, direkt neben der ökumenischen Stephanusgemeinde, eine Wiese. Die Nanzwiese. Hier will die Stadt Nürtingen Flüchtlinge unterbringen. Reinmar Wipper, grauer Zauselbart, Brille, erklärungsgewandt, zeigt nach unten: "Direkt unter den Leitungen, das ist doch kein Platz für Flüchtlinge", sagt der 72-Jährige.
Seit einem Jahr knistert es im Roßdorf. Die Stadt Nürtingen sucht fieberhaft nach Orten, wo sie Flüchtlinge unterbringen kann. Sie suchte auch im Roßdorf, fand dort die Nanzwiese. Gerüchte machten die Runde, hetzerische Flugblätter steckten in den Briefkästen, die zum "Widerstand gegen das Asylantenheim" aufriefen, die vor Al Kaida warnten und einen "Anschlag auf die Stephanuskirche" unterstellten. Anonym. Reinmar Wipper, ehemaliger Lehrer, ehemaliger Stadtrat der Nürtinger Liste/Grüne, hat Anzeige wegen Volksverhetzung gegen unbekannt gestellt. "Das geht gar nicht", sagt er. Es gehe aber auch nicht, dass die Stadt die Ängste der Roßdorfer auf die leichte Schulter nehme. Viele, allen voran die Russlanddeutschen, fühlen sich nicht ernst genommen und zu wenig informiert.
Es gibt überlegenswerte Argumente gegen einen Flüchtlingscontainer an diesem Ort. Es gibt die Not der Stadtverwaltung, die Flüchtlinge schnell unterbringen muss. Und es gibt die Ängste der Roßdorfer. Die Gemengelage ist eine diffizile. Und mittendrin die Russlanddeutschen mit ihrer Angst vor Fremden und ihrer Sorge um Sicherheit. Aber die braune Keule hilft auch nicht weiter.
Also heruntergestiegen vom Hochhaus. Da sitzen sie auf dem Bänkle, Rollator vorne, Frühlingssonne von hinten: Eugenia, Elena und Anna, drei ältere, russlanddeutsche Damen, Wollmütze fest auf dem Kopf, Schalk in den Augen. Seit 17 Jahren lebt Anna bei ihrer Tochter im Roßdorf, täglich trifft sie sich mit ihren Freundinnen am Dürerplatz, zu Hause haben die Jungen das Sagen. "Du hast Glück, Schwiegersohn füttert dich durch", sagt Elena mit starkem Akzent. "Aber nur bis 90", antwortet Anna, 87, und lacht: "Spaß." Von Politik wollen die drei Frauen nichts wissen. Die Jungen haben gesagt, wo sie bei der Landtagswahl ihr Kreuz machen sollen: AfD. Schulterzucken. Nicken: Ja, sie haben Angst vor den Flüchtlingen, vor den geplanten Containern auf der Nanzwiese gleich nebenan, man höre so viel von Vergewaltigungen, Selbstmordattentaten, Muslimen. Gerüchte haben eine lange Halbwertzeit rund um den Dürerplatz.
10 Kommentare verfügbar
Schwabe
am 02.05.2016Es scheint so als ob Sie noch nicht einmal in der Lage sind meinen Kommentar vom 27.04.2016, 12:37 Uhr (12 Sätze) richtig und sachlich zusammenzufassen. Denn wäre Ihre Zusammenfassung richtig wäre ich ein Rassist - bin ich aber nicht.
Was meine Vermutung/Unterstellung betrifft, dass…