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Der Geschmack von Heimat

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Gerade hatte Hossein Fayazpour sich in der ehemaligen Kantinenküche im Karlsruher Industriegebiet Grünwinkel eingerichtet. Er sollte die bald nachziehenden Unternehmen bekochen, wollte Bio-Essen an Schulen liefern. Dann wurde das Gebäude zur Erstaufnahmestelle gemacht. Also kocht Fayazpour jetzt mit Herz und ohne Geschmacksverstärker für Flüchtlinge und Angestellte.

Es ist kurz vor Mittag. Hossein Fayazpour sitzt in seiner weißen Küchenmontur unter einem Partyzelt. "Das ist unser Pausenraum", sagt er und lacht. Alle anderen Räume in dem Bürogebäude hinter ihm sind belegt. Seine Crew in weißen Kitteln erholt sich hier draußen: Kaffee trinken, rauchen, bevor es wieder reingeht zur Küchenschlacht. Gleich ist Mittagszeit, etwa 500 Menschen im Haus haben Hunger.

Industriegebiet Grünwinkel in Karlsruhe, ein abweisendes Funktionsgebäude. Die ehemalige Verwaltungszentrale der Fiducia, des IT-Dienstleisters der Volks- und Raiffeisenbanken, ist zur Erstaufnahme für Flüchtlinge mutiert, und Hossein Fayazpour, ein Mann mit schwarzem Wuschelhaar und einnehmendem Lächeln, kocht für sie. Schließlich war er ja schon vorher hier. 

In anderen Einrichtungen gab es schon Massenschlägereien, weil die Essensausgabe nicht funktioniert hat oder die Versorgung schlecht war. Nicht in Karlsruhe. Fayazpour ist darauf aber nicht besonders stolz. Mag sein, dass das Essen in anderen Einrichtungen auf eine Frage der inneren Sicherheit reduziert wird. Er will es für die Flüchtlinge zum Höhepunkt des Tages machen. Denn Hossein Fayazpour ist Chef de Cuisine in der Erstaufnahmestelle in Karlsruhe. Er kocht frisch und verzichtet dabei weitgehend auf Convenience-Produkte und gänzlich auf Geschmacksverstärker und andere Tricks. Essen ist ein Medium, "um das Herz der Menschen zu erreichen", sagt der Koch der Flüchtlinge.

Eigentlich war das alles ja mal ganz anders geplant. Hossein Fayazpour hat Koch gelernt und sich nach Jahren in der Spitzengastronomie gerade mit seinem Team in der ehemaligen Kantinenküche des Gebäudes eingerichtet. Er entwickelte ein Konzept, um Schulen und Kitas mit bezahlbarem biologischem Essen zu beliefern. Ein Unternehmenskonzept mit Anspruch: Die Kinder sollen nicht nur satt werden, sondern auch lernen, gesunde Kost von ungesunder zu unterscheiden. Die Großküche der ehemaligen Kantine war dafür genau das Richtige.

In die oberen Etagen des Bürohauses sollten in den nächsten Monaten Unternehmen einziehen, hatte der Vermieter versprochen. IT-Firmen, von denen es in Karlsruhe so viele gibt. Auch sie sollte Fayazpour dann mit seinem Team jeden Tag bekochen, das klang nach einem guten Geschäft. Und dann war da noch das Mutter-Kind-Café, das der Unternehmer tagsüber und an Wochenenden betreiben wollte. Bei Fayazpour sprießen Unternehmensideen wie bei anderen Leuten Haare auf dem Kopf.

Alle essen das Gleiche

Die Asia-Dekoration für das Mutter-Kind-Café stehen jetzt unentschlossen an der Wand des kleinen Büroraums neben der Großküche. Denn just am Tag, an dem der Gastronom mit seinem Café-Konzept an die Öffentlichkeit gehen wollte, kam ein Brief vom Regierungspräsidium. Statt Programmierern und Buchhaltern würden bis zu 1500 Flüchtlinge in das Bürogebäude einziehen, teilte man ihm mit. Es solle zur neuen Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge werden. Der Standort sei ideal für die Aufnahme und Erfassung. Behörde und Vermieter stellten den Koch vor die Wahl, die eigentlich keine war: Seine Großküche könne bleiben und die Versorgung für die Flüchtlinge übernehmen, oder er könne den Mietvertrag kündigen und ausziehen. Als er den Brief gelesen hatte, erinnert sich Fayazpour, stellte er erst einmal sein Handy ab und ging drei Stunden spazieren. Am nächsten Tag kamen die ersten Busse.

Heute versorgt Hossein Fayazpour also drei Mal am Tag Flüchtlinge, mal 1200, mal nur etwa 500. "Im Moment ist es ruhiger geworden", sagt er. Auch die Mitarbeiter des Regierungspräsidiums und des Sicherheitsdiensts kommen zum Essen. "Hier im Haus essen wir alle das Gleiche", sagt Fayazpour; das habe er zur Bedingung gemacht, als er das Catering übernahm. Das Signal war ihm wichtig.

Sein Team ist inzwischen drei Mal so groß wie zu Anfang, Köche und Helfer aus 14 Nationen. Sie können den Flüchtlingen in ihrer Muttersprache Auskunft geben, und so kann der Speisezettel ein wenig an die Essgewohnheiten angepasst werden. Essen, sagt Fayazpour, ist für ihn vor allem ein Mittel, um Menschen zu erreichen, "es soll nach Heimat riechen". Deshalb kommen Kurkuma, Lamm und Bulgur in den Topf, wenn – wie jetzt – die Flüchtlinge im Haus vor allem aus dem Nahen Osten kommen. Auf Schweinefleisch wird ganz verzichtet. Ankommen, findet Fayazpour, funktioniert auch über den Magen.

Halb eins. Essenszeit. Die Küchencrew steht an der Theke, die Lammhacksteaks, die Tomatensauce und das safranfarbene Couscous liegen dampfend in der Auslage. Eigentlich soll sich jetzt die Tür öffnen, doch die Sicherheitsleute geben die Tür nicht frei. Fayazpour wird ungehalten und ruft den Mann in der orangefarbenen Weste zur Ordnung: "Die Leute warten schon lange genug, jetzt macht die Tür auf!"

Hossein Fayazpour kennt dieses Gefühl der Ohnmacht in einem Flüchtlingsheim. Er kam selbst vor über 30 Jahren als Flüchtling aus dem Iran ins Land. Als Student hatte er nach dem Sturz des Schahs kurz die Luft der Freiheit gewittert, bevor die Ayatollahs den Luftzug wieder erstickten. Fayazpours Eltern hatten Angst um ihren Sohn und schickten ihn fort. Mit Schleppern kam er über Taschkent, Moskau und Ostberlin am Ende nach Karlsruhe. Sein erstes kulinarisches Erlebnis war damals eine Dampfnudel mit Apfelmus. "Dieses Süße und Salzige. Ich fand das furchtbar", erinnert er sich. Heute, nach so langer Zeit in Deutschland, liebt er sogar die Dampfnudel.

Und jetzt ist Fayazpour wieder im Flüchtlingsheim. Er sagt: "Wir sind hier an der richtigen Stelle, können was Sinnvolles tun." Mit den Pauschalen der Stadt für das Essen kann er gut kalkulieren, seine Leute und sich selbst vernünftig bezahlen und trotzdem seinen Anspruch von gutem Essen verwirklichen. Damals, als der Brief vom Regierungspräsidium gekommen war, telefonierte Fayazpour zuerst mit seinem Steuerberater, der auch ein Freund ist. Als er ihm berichtete, dass er jetzt für Flüchtlinge statt für IT-Leute kochen würde, sagte der nur: "Hossein, du erinnerst mich an Forrest Gump. 'Wenn dir das Leben Zitronen gibt, mach Limonade daraus.'" Fayazpour findet, das sei doch heute ein gutes Motto für Deutschland.


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1 Kommentar verfügbar

  • Helmo Roth-Seefrid
    am 31.07.2016
    Antworten
    S ehr gut so. Jeder tut das, was er am besten kann. Ich würde gerne mal bei ihm essen. Leider wohne ich im Bergischen Wanderland, wo Flüchtlinge auch willkommen sind.
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