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Menschen statt Moneten

Menschen statt Moneten
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Es geht auch anders. Bei Manomama in Augsburg finden Menschen Arbeit, die anderswo längst aussortiert werden. Möglich macht's Sina Trinkwalder, deren NäherInnen davon träumen, mit dem Rollator noch einen Firmenparkplatz zu kriegen.

Unten in der hellen hohen Halle rattern die Nähmaschinen, Köpfe beugen sich über grüne und rote Stoffe, die einmal Taschen werden sollen. Oben an der Treppe steht Sina Trinkwalder wie ein Kapitän auf der Brücke und erklärt. Dass sich ihre "Ladies und Gentlemen" die Arbeitszeit selbst einteilen, "denn die Arbeit soll sich in die Familie fügen und nicht umgekehrt". Dass jede der 150 NäherInnen selbst bestimmt, wie lange und von wann bis wann sie arbeitet. Dass sie sich selbst organisieren, auch ohne starren Schichtbetrieb. "Klar funktioniert das", sagt Trinkwalder und schaut munter durch ihre Brille, "man muss nur Vertrauen in die Menschen haben." Daran mangelt es der engagierten Unternehmerin nicht.

Sina Trinkwalder ist die Frontfrau einer menschenfreundlichen Wirtschaft. Die Rampensau, die jede Gelegenheit nutzt, um für ihre Sache zu trommeln. Sie ist laut und unbescheiden und lacht dreckiger als Liza Fitz. Und wenn ihr in Talkshows mal rausrutscht, dass die halt keine Eier haben, diese Unternehmer, die nichts wagen, alles so machen, wie man es schon immer gemacht hat, nur an den Profit und nie an die Menschen denken, dann tut ihr das kein bisschen leid. "So bin i halt", sagt Sina Trinkwalder in diesem Augsburger Schwaben-Singsang, "i verstell mich net." Diese Frau hat Eier.

Und sie macht es anders. Mit ihrer Firma Manomama in Augsburg zeigt sie, dass man sozial, ökologisch und regional wirtschaften kann. Dafür hat die 37-Jährige nun das Bundesverdienstkreuz bekommen.

Kinkerlitzchen organisieren die NäherInnen selbst 

Mit flotten Schritten durchmisst sie die Halle, "alles gut, Agnes?" hier, "der Isan ist ein Organisationstalent" dort, "und unsere Hannelore, die geht demnächst in Rente". Die 64-Jährige packt ihr Bügeleisen auf das Brett und grinst ein unbekümmertes Zahnlückenlächeln. "An meinen Rollator häng ich einen Fuchsschwanz und dann beantrage ich einen Firmenparkplatz", entgegnet Hannelore munter und streicht der Chefin sanft und stolz über den Rücken. "Das Kleid von der Sina ist auch von uns", sagt sie mit Blick auf die Besucher. Klar, dass die Chefin eigenes trägt.

Wie auch die Hannelore, die mit Nachnahmen Dressler heißt, aber das interessiert hier keinen. Vor kurzem hat sie sich aus der Manomama-Produktion eine Jacke aus Lammwolle gegönnt, "Merinoschaf aus Augsburg", sagt die grauhaarige Frau und hält das gute Stück hoch, "eine Anschaffung fürs Leben". Nie hätte sie es sich träumen lassen, dass sie in ihrem Alter noch eine Anstellung findet. Hannelore ist viel in der Welt herumgekommen, zuletzt hat sie in Südafrika gelebt und Schuluniformen genäht. Als sie zurückkam, hat sie sich mit Jobs wie Äpfel verkaufen von Tür zu Tür über Wasser gehalten. Vor drei Jahren ist sie einfach ins Büro von der Sina marschiert und heraus kam sie mit einem Arbeitsvertrag und dem Versprechen, bis zur Rente einen Job zu haben. Damals war sie 61. Seitdem bügelt sie Mäntel, T-Shirts, Babykleidung, näht, wenn es bei den Taschen eng wird, packt auch sonst an, wo es klemmt. Das regeln sie untereinander, klar, "für solche Kinkerlitzchen brauchen wir die Sina nicht", sagt Hannelore, "die soll neue Aufträge ranschaffen und Ideen haben." Das ist Sina Trinkwalder bisher immer gelungen.

Jung, Frau, gutaussehend, freche Gosch, erfolgreich: Parteien und Talkshows reißen sich um die Augsburger Unternehmerin. Das nutzt sie gnadenlos charmant und mit dem Talent einer Entertainerin, um Werbung für verantwortliches Wirtschaften zu machen: "Der Unternehmenszweck sind die Menschen, nicht Moneten". Sina Trinkwalder will ihre Ladies und Gentlemen aus der Anonymität holen. Sie kennt sie alle und wenn daheim jemand umfällt, ruft die Familie zuerst Sina zu Hilfe, bevor der Arzt gerufen wird. Räumungsklagen, alkoholisiert von der Polizei aufgegriffen, Strom abgestellt – ein bisschen ist diese Unternehmerin auch Streetworkerin. Dass sich manche im Netz über die "Sozialuschi" aus Augsburg lustig machen, ist ihr Wurscht: "Das Gute wird sich durchsetzen, ich weiß nur noch nicht, wann." 

Mehr als eine Million Langzeitarbeitslose gibt es derzeit in Deutschland, Menschen, die ein Jahr oder länger arbeitslos sind. "Das sind keine faulen Schweine", sagt Sina Trinkwalder, "unser Wirtschaftssystem hat nur keinen Platz für sie." Jeder vierte ist – wie Hannelore – älter als 55 Jahre und die Hälfte von ihnen so schlecht ausgebildet, dass nur eine einfache Tätigkeit in Frage kommt. Doch unqualifizierte Arbeitsplätze, vor allem in der Textilindustrie, werden in Billiglohnländer ausgelagert. Arbeitsministerin Andrea Nahles will Langzeitarbeitslosigkeit bekämpfen und Arbeitsplätze staatlich bezuschussen. Sina Trinkwalder hält das für Quatsch. Sie zeigt mit Manomama, dass es auch ohne Zuschüsse geht. 

Jung, erfolgreich, freche Gosch: Die Talkshows reißen sich um die Chefin

Ihre Geschäftsidee sind Menschen, die keine Arbeit finden, weil sie zu alt sind, alleinerziehend oder behindert. Was kann ich mit ihnen produzieren? fragte sie sich erst im zweiten Schritt. Und weil Augsburg einst eine Textilstadt war, bevor die Produktion in asiatische Länder ausgelagert wurde, war schnell klar: Wir nähen. Die Chefin, eine leidenschaftliche Autodidaktin, hat Textilfaser, Garne, Stoffe studiert, sie hat eine regionale Wirtschaftskette aufgebaut, vom Reißverschluss bis zur Augsburger Merinoschaf alles made in Germany, und legte los. 2011 mit T-Shirts und zwölf Arbeitern. 2013 mit dm-Taschen und 52 Arbeitern. Heute mit Taschen, Jeans, Mänteln und einer Unterwäschekollektion und 150 Beschäftigten.

Gino ist einer der wenigen Männer hier und Schneider mit Leib und Seele. Er hat schon in einer Änderungsschneiderei gearbeitet und als Modeschneider, er hat in der Fabrik genäht und sich auch schon selbständig gemacht. Zu Manomama kam er vor zwei Jahren über die RTL-Doku "Made in Germany". Sina Trinkwalder hat dafür Langzeitarbeitslose gesucht, um zu dokumentieren, wie sie in sechs Wochen eine komplette Unterwäschekollektion herstellen können. Gino war seit einem halben Jahr arbeitslos. Die Serie wurde von der besten Sendezeit auf den Sonntagnachmittag verschoben, weil die Quote zu schlecht war. Und Gino, tätowiert, Baseballkappe, kleinwüchsig, ist von Berlin nach Augsburg gezogen. "Es ist schon ruhiger hier", sagt er und lässt die Nadel sausen, "aber man wird älter". Gino grinst. Er ist 29 Jahre alt. 

Mit etwas Glück hat Gino früher 8,50 Euro die Stunde verdient. Bei Manomama bekommen alle zehn Euro, Prämien und Boni gibt es obendrauf, Arbeit bis zur Rente hat die Chefin allen versprochen. Acht Millionen Umsatz machte ihre Firma im vergangenen Jahr, 80 000 Gewinn nach Steuer. "Das verfeiern wir im besten Hotel am Platz", sagt Sina Trinkwalder. Also wird am 11. Dezember im Dorinthotel eine zwölfköpfige Band aufspielen und sie selbst wird wieder singen. Diese Frau feiert, isst und trinkt so gerne wie sie arbeitet. Letzteres übrigens auch für zehn Euro die Stunde.

Rat an Sigmar Gabriel: "Kümmer dich lieber um TTIP"

Sina Trinkwalder war immer schneller als andere. Mit 15 von zu Hause ausgezogen, mit Schreiben ihren Lebensunterhalt verdient. Mit 19 Jahren eine Werbeagentur gegründet, kurz studiert, abgebrochen, "BWL braucht keine Sau." Mit 27 Jahren Mama, mit 32 Jahren Manomama, mit 35 das erste Buch ("Wunder muss man selber machen"), am zweiten ("Fairarscht") sitzt sie gerade. Und mit 37 Bundesverdienstkreuz, das es eigentlich erst ab 40 Jahren gibt. In ihrem Büro stapeln sich zwischen Kaffeetassen, Stoffen und dünnen Menthol-Zigaretten jede Menge Auszeichnungen: Deutscher Nachhaltigkeitspreis, Zeit-Wissen-Preis, Barbara-Künkelin-Preis. Trinkwalder fährt ihr Leben auf der Überholspur, den Fuß auf dem Gaspedal und mit einer Energie, die Leichtgewichte umhaut. Das ist fast unheimlich.

"Unheimlich wird es erst, wenn ich Ihnen sage, dass ich auch hervorragend koche und meine Würste selber mache", sagt Trinkwalder und lacht über sich selbst. Irgendwann hat sie beschlossen, trotz Neidern und Trollen guter Laune zu sein, "nützt ja nix, wenn ich mit Hackfresse rumlaufe." Dafür gäbe es manchen Grund. Wenn ihr etwa Aufträge auf den Tisch flattern, "bei denen ich fast noch was zahlen muss, dass ich Taschen liefern darf", sagt sie. Dann unterschreibt sie nicht und strengt ihr "Gehirnkastel" an. Eine neue Idee hat sie schon. Oder wenn sie an das TTIP-Abkommen zwischen Europa und den USA denkt, den Verträgen, welche die Wirtschaft via Schiedsgerichte zum politischen Entscheider machen kann. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat ihr zum Bundeverdienstkreuz einen netten Brief geschrieben. "Kümmer dich lieber um TTIP", hat die streitbare Unternehmerin zurückgeschrieben. Die Sina duzt fast alle.

Heute könnte Sina Trinkwalder gut und gerne 200 Menschen beschäftigen. Doch die Halle im Augsburger Textilviertel, wo früher die alte Kattunfabrik stand, ist zu klein geworden. Wenn sie mehr Leute einstellt, dann können die Arbeitszeiten nicht mehr so flexibel gestaltet werden. Also klein bleiben? Auf keinen Fall. "Ich lass mir meine Idee doch nicht durch eine schnöde Immobilie kaputt machen", sagt die Chefin. Sina Trinkwalder sucht eine neue Halle. Hell und schön und freundlich soll sie sein. Eine menschenfreundliche Idee braucht auch eine freundliche Umgebung. Denn die "üble Gerechtigkeitsfanatikerin" (Sina über Sina) will in aller Unbescheidenheit die Welt verändern.


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3 Kommentare verfügbar

  • Stefan
    am 11.12.2015
    Antworten
    Ich habe vorletztes Jahr Jeans von Manomama gekauft, als ich auf der Suche nach nachhaltigen Textilien war.
    Die Qualität ist super und der Preis nicht höher als die bekannten Marken, die in Sweatshops zu miesesten Bedingungen produzieren lassen und dafür auch noch Wuchermargen einfahren.
    10€ pro…
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