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Weinheim wehrt sich

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Weinheim will keine Nazi-Hochburg sein. Wenn sich dort am kommenden Wochenende die NPD zum Bundesparteitag trifft, wird ihr von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis die bunte Karte gezeigt. Auch Weinheims berühmteste Bürgerin, die Schriftstellerin Ingrid Noll, ist dabei.

Es soll ein riesiges Kulturfestival werden. Mit einem zehnstündigen Programm wollen die Initiatoren von "Weinheim bleibt bunt" gegen den NPD-Parteitag in ihrer Stadt protestieren. "Wir treten Fremdenfeindlichkeit mit einem klaren Bekenntnis für Offenheit und Toleranz entgegen", sagt der Weinheimer Landtagsabgeordneten Uli Sckerl (Grüne), einer der Sprecher der Initiative und maßgeblich mitverantwortlich für die Organisation des Festivals. "So bitter das ist – solange die NPD nicht verboten ist, müssen wir die Parteitage in Weinheim ertragen. Aber wir werden sie ganz sicher nicht stillschweigend dulden." Man werde eindeutig klarmachen, für welche Werte Weinheim stehe.

Es ist bereits das dritte Mal, dass die NPD die Stadt an der Bergstraße als Ort ihres Bundesparteitags gewählt hat, und auch im kommenden Jahr will die Partei in der Stadthalle tagen. 2014 hatte die Stadtverwaltung vergeblich versucht, die Zusammenkunft der Rechtsextremen zu verhindern. Der Stadt droht der Ruf als Nazi-Hochburg.

Oberbürgermeister Heiner Bernhard (SPD) will das braune Image loswerden: "Wir sind eine Stadt mit sehr durchmischter Kultur und großer Integrationskraft." Auch die Stadtverwaltung ist Teil des bunten Bündnisses. Ebenso wie etwa die örtlichen Kirchen, Gewerkschaften, der AK Asyl oder die im Gemeinderat vertretenen Fraktionen. Die Initiatoren rechnen mit bis zu 5000 Gästen aus aller Welt – das entspricht in etwa der Mitgliederzahl der NPD. Weinheim ist gewappnet. Eine Schlappe wie vor einem Jahr soll es nicht mehr geben. Damals hatte der Oberbürgermeister auf eigene Faust versucht, die NPD aus der Stadt fernzuhalten.

Grundsätzliche Erlaubnisse und reine Zufälle

Damit war er gescheitert. Denn in der Stadthalle Weinheim sind politische Veranstaltungen grundsätzlich für alle Parteien erlaubt, also auch für die NPD, solange diese nicht verboten ist. Auf eine Anfrage der Rechten im Jahr 2014 entgegnete Bernhard, die Halle sei schon zu allen denkbaren Terminen ausgebucht. Andere Interessenten hätten ihre Anfragen vor der NPD gestellt. Das entsprach nicht der Wahrheit, wie sich herausstellte.

Die NPD zog vor Gericht. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe und der Verwaltungsgerichtshof Mannheim wiesen die Klage zurück. Erst der Staatsgerichtshof – das Verfassungsgericht Baden-Württembergs – prüfte die Angaben des OB akribisch und stellte fest: Eine Belegung an allen denkbaren Terminen wurde erst im Nachhinein konstruiert. Weinheim musste die Stadthalle bereitstellen. Zwei Tage nach dem Urteil versammelten sich die NPD-Delegierten in der Stadthalle.

Schon 2013 hatten sich rund 180 Delegierte der NPD zum ersten NPD-Bundesparteitag in Weinheim getroffen – natürlich rein zufällig an Hitlers Geburtstag am 20. April. Damals noch klammheimlich, in einer heruntergekommenen Gastwirtschaft im Weinheimer Ortsteil Sulzbach. Die Proteste waren mit knapp 200 Gegendemonstranten sehr überschaubar. Weinheim hat keine Erfahrung mit großen Demonstrationen. Es blieb ruhig.

Weitere Parteitage der Rechtsradikalen wollte der Oberbürgermeister nicht in seiner Stadt haben. Nur drei Wochen nach dem zweiten Bundesparteitag hatte er einen Satzungsentwurf für den Gemeinderat vorbereitet: In der Stadthalle sollten parteipolitische Veranstaltungen auf Landes- oder Bundesebene generell verboten werden, um weitere Parteitage der NPD zu verhindern. Doch kein einziger Stadtrat stimmte dafür. Man wolle sich "nicht durch eine unbedeutende Partei in den eigenen Freiheiten beschneiden lassen", so der Konsens unter den Fraktionen. Doch abgesehen von der NPD hat noch nie eine Partei ihren Landes- oder Bundesparteitag in der Stadthalle abgehalten. Es wäre eine Chance gewesen.

Einzige Hoffnung: NPD-Verbot

Jetzt hat Weinheim die NPD-Bundesparteitage am Hals und scheint sie nicht so schnell loszuwerden. Für das kommende Jahr wolle er noch einmal versuchen, öffentliche Gebäude der Stadt so umzuwidmen, dass dort keine NPD-Parteitage mehr stattfinden können, sagt Bernhard. Ansonsten ist er ziemlich ratlos, was er noch tun soll. Er hofft darauf, dass die NPD bald verboten wird.

Bis dahin werden die Rechtsradikalen weiterhin ihren braunen Schatten auf Weinheim werfen. Dabei ist die Stadt an der Bergstraße augenscheinlich ein kleines Idyll. Umringt von einem artenreichen Mischwald, eine pittoreske Altstadt mit Fachwerkhäusern und Sandsteinbauten, gepflasterten Straßen und einem Marktplatz, der einer italienischen Piazza nacheifert. Diese malerische Kulisse könnte am kommenden Wochenende nicht nur zum Schauplatz eines bunten Festivals werden. Es wird auch Gegendemonstrationen geben. Die Polizei bereitet sich auf einen Großeinsatz vor.

Vergangenes Jahr blieben gerade einmal zwei Tage zwischen Gerichtsentscheid und dem Parteitag in der Stadthalle. 2015 war fast ein Jahr lang Zeit, sich auf den NPD-Bundesparteitag vorzubereiten. Das hat nicht nur Weinheim genutzt, um ein Kulturfestival auf die Beine zu stellen. Auch antifaschistische Organisationen mobilisieren seit Wochen und Monaten bundesweit Gleichgesinnte. Das erklärte Ziel: den NPD-Parteitag verhindern. Die Stimmung ist angespannt – bei allen Beteiligten.

Am Wochenende wird Weinheim wieder im Zentrum medialer Aufmerksamkeit stehen. Und vielleicht gelingt es der Bevölkerung, über die Ortsgrenzen hinaus ein Zeichen für Vielfalt und Toleranz zu setzen.


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5 Kommentare verfügbar

  • eraasch
    am 22.11.2015
    Antworten
    Wo verläuft nochmal die Grenze zwischen Verfassungsschutz und NPD?
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