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Ein Pastor als Hetzer

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Es ist unerträglich, was der Pastor Jakob Tscharntke von der Evangelischen Freikirche Riedlingen in einem Ravensburger Anzeigenblatt und im Internet an Unmenschlichkeit gegenüber Flüchtlingen absondert. Und es ist nur schwer erträglich, dass viele Leserbriefschreiber ihm zustimmen. Grund genug, sich damit zu beschäftigen.

In Riedlingen wurde eine Asylbewerberunterkunft mit Hakenkreuzen verunstaltet, es brannten Papiercontainer, nachdem Pastor Jakob Tscharntke von der Evangelischen Freikirche öffentlich im Anzeigenblatt "Südfinder" geifernde Flüchtlingshetze betrieben hatte. Er bezeichnet in seinen auf der kircheneigenen Homepage veröffentlichten Pamphleten und im "Südfinder"-Interview (16. September 2015) die Flüchtlingspolitik als "Zuwanderungswahnsinn Angelika Merkels". Laut Tscharntke sei die Presse in Flüchtlingsfragen "gleichgeschaltet wie im Dritten Reich". Der "Psycho-/Gesinnungsterror" der Gutmenschen gegenüber Kritikern der Flüchtlingspolitik sei derart massiv, dass man vor einer zweiten "Reichskristallnacht" stehe. Deutschland müsse Christen, die in den muslimischen Ländern verfolgt werden, aufnehmen. "Aber wir holen die Täter nach Deutschland." Tscharntke behauptet, in hiesigen Asylheimen gebe es "Christenverfolgung, Vergewaltigung von Frauen und Kindern". Zudem würden zur Unterbringung der Flüchtlinge "in Deutschland Existenzen vernichtet". Und dies für Menschen wie den Vater des ertrunkenen Kindes, dessen trauriges Bild um die Welt ging – "der wollte nur auf unsere Kosten neue Zähne, ist drum geflüchtet". Tscharntke: "In diesen Tagen ist die Not unseres Volkes so groß wie nie seit dem Dritten Reich."

Die Staatsanwaltschaft hat den Pastor im Visier

Tscharntke ist schon häufiger mit rassistischen Äußerungen und mit religiöser Intoleranz aufgefallen und genießt offensichtlich die Aufmerksamkeit. Klar, dass sich viele über Tscharntkes Flüchtlingshetze empören: von Biberachs Landrat Heiko Schmid, dem Riedlinger Gemeinderat bis zum Bund der Evangelischen Freikirchen. Die Staatsanwaltschaft Ravensburg hat nach fruchtlosen Vorermittlungen hinsichtlich des Verdachts der Volksverhetzung, bezogen aufs Interview im "Südfinder", Tscharntke weiterhin im Visier hinsichtlich sonstiger Pamphlete.

Die öffentliche Empörung der Bevölkerung über Tscharntkes Flüchtlingshetze gab es. Aber es gab auch das krasse Gegenteil: Den "Südfinder" ereilten nach eigenen Angaben 57 Leserbriefe; nur drei davon distanzierten sich von Tscharntkes Aussagen. 23 Briefe hat der "Südfinder" (23. September 2015) veröffentlicht. Viele fürchten um ihren Wohlstand, prophezeien steigende Kriminalität und Terroranschläge, beschwören den Untergang des christlichen Abendlandes durch die Muslime. "Dahinter stecken Ängste, die ernst genommen werden wollen", so Dr. Hans-Otto Dumke, bis zum Ruhestand Ärztlicher Direktor des ZfP (Zentrum für Psychiatrie) Bad Schussenried. Riedlingens katholischer Pfarrer Walter Stegmann und seine evangelische Kollegin Anne Mielitz bieten allen den Dialog an.

Auf Anfrage betonte Pfarrer Walter Stegmann von der Katholischen Kirchengemeinde St. Georg in Riedlingen, dass das Christentum selbst seine Wurzeln in der Vertreibung habe und dass die Gastfreundschaft ein urchristliches Prinzip sei. Hinsichtlich der Ressentiments vieler in der Bevölkerung gegenüber den Flüchtlingen helfe nur eines: der Dialog. Das unterstreicht auch seine evangelische Kollegin Anne Mielitz, die mit ihrem Mann Theo frisch die Stelle in Riedlingen angetreten hat. "'Ich bin ein Fremder gewesen und Ihr habt mich aufgenommen', wird Jesus in der Bibel (Matthäus 25, 35–40) zitiert. Wir als Christen haben daher die Pflicht, Fremde bei uns aufzunehmen." Die Flüchtlinge würden dies mit Dankbarkeit goutieren. "Die verstehen die Ängste der Deutschen schon. Und man muss diese Ängste ernst nehmen, die schrumpfen können durch die Begegnung mit Einzelschicksalen von Flüchtlingen. Darum nun der Dialog."

Oberschwaben ist verunsichert, sagt der Psychiater

Diese Ängste kommen in den Leserbriefen zum Ausdruck: zunehmende Gewalt, Terrorismus, steigende Kriminalität, Kampf um Wohnraum, Benachteiligung deutscher sozial schwacher Menschen, finanzieller Kollaps Deutschlands, Islamisierung, Verlust von Kultur und Werten, Christenverfolgung, Staatsgefahr, etc. Dazu kommen Vorurteile, wie: Es seien nur Wirtschaftsflüchtlinge, die Geld vom deutschen Staat kassieren wollen ("Die wollen in unser Schlaraffenland") und gewaltbereit und gar Terroristen seien; nur wenige seien Kriegsopfer. Dumke: "Fremdenangst hat es immer gegeben." Die Gründe hierfür seien vielfältig: Entweder fühle man sich sozial ausgegrenzt und versuche, über ein negatives Fremdbild ein überlegenes Selbstbild zu erlangen. Oder man habe Angst ums nackte Überleben. Es gebe aber auch Menschen, die einfach Angst vor Fremden haben bzw. durch Festlegung von Normen das Fremde abwehren wollen. "Es handelt sich also um ein Gemisch aus Ängsten, das man ernst nehmen muss."

Dumke glaubt nicht, dass die Oberschwaben per se fremdenfeindlich gestimmt, viele nur verunsichert sind. "Es gibt Menschen, die rechtsradikal eingestellt sind. Es ist schlichtweg eine Frage der Bildung. Auch gibt's ein Stadt-Land-Gefälle." – "Dass sich Flüchtlinge, ob aus Kriegsgebieten oder nicht, nach einer besseren Lebensperspektive sehnen, ist klar. Sie vertrauen sich Schleppern an, geben denen ihr Geld, um zu uns zu kommen. Wer kein Geld hat, bleibt dort – Familien beispielsweise. Deshalb kommen so viele junge Männer zu uns. Sie sehen in ihrer Heimat keine Lebensperspektive, sind aber einen gewissen Lebensstandard gewohnt. Dass manche aus wirtschaftlichen Gründen kommen, ist nachvollziehbar, dafür habe ich Verständnis. Sie sehen hier eine bessere Perspektive für sich." Dumke hält die Kirchen für ideale Vermittler zwischen Flüchtlingen und (verängstigten) Deutschen. "Jeder Flüchtling hatte individuelle Gründe, seine Flucht anzutreten. Ängste schwinden, wenn man miteinander redet."

Größer werde die Herausforderung sein, diejenigen Flüchtlinge, die dauerhaft bleiben wollen, in die Gesellschaft zu integrieren. "Wir haben als Deutsche aufgrund unserer Vergangenheit die Verpflichtung, Flüchtlingen zu helfen. Und zwar nicht nur Christen." Zu Tscharntke: "Es gibt Menschen mit akzentuierter, also gestörter Persönlichkeit. Da muss gehandelt werden."

 

Der Artikel erschien zuerst in "Blix – Magazin für Oberschwaben".


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43 Kommentare verfügbar

  • Solvi
    am 02.05.2023
    Antworten
    Recht hat er. Endlich mal jemand der die Wahrheit spricht. Danke Herr Tscharntke
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