KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Die Magierin des Feminismus

Die Magierin des Feminismus
|

Datum:

Frigga Haug hat die kritische Intellektuellenszene Deutschlands mitgeprägt wie kaum eine andere Frau im Land. Die Soziologin, Marxistin und Feministin lebt heute in Esslingen, ein paar Kilometer von Stuttgart entfernt. Auch mit 77 Jahren strickt sie die Welt noch um – zumindest theoretisch.

Ein Viertel produktive Arbeit, ein Viertel für sich selbst, eines für andere, eines für die politische Arbeit. Ob das perfekte Leben für jeden so aussähe? Sicher nicht. Aber diese Utopie würde Lasten auf alle Schultern verteilen, jedem Einzelnen mehr Muße schenken, und sie würde jeden Bürger einbinden in die politische Gestaltung seines Landes. Leben im Einklang, vor allem auch im Einklang der Geschlechterverhältnisse. Das ist die Vier-in-einem-Perspektive der Frigga Haug. Ihre Utopie. Es ist die Summe eines linken Lebens, das sich immer darum drehte, die Gesellschaft zu verbessern.

Frigga Haug ist Soziologin, Philosophin, Revolutiönärin eine der Erstgeborenen des Widerstands im Nachkriegsdeutschland. Mit ihrem Mann ist sie im Ober- und Dachgeschoss eines Hauses in Esslingen daheim, ein Steinwurf zur Burg, bester Blick über die Wipfel und Dächer der Stadt. "Noch besser sieht man vom Dachgeschoss aus", sagt Wolfgang Haug und führt galant die Treppe hinauf zur noch besseren Aussicht, vorbei an diversen Karl-Marx-Porträts, in Rot, in Bunt und wieder hinunter ins Wohnzimmer voller Bücher, jede Menge Bücher. Es ist ein normales Haus mit einem kleinen Auto davor, auf dessen Kofferraum dick und gelb ein Aufkleber gegen Stuttgart 21 klebt. Ein Zaun, ein Vorgarten, die Nachbarin mit Wäschekorb im Treppenhaus. Irgendwie normal, weiß der Himmel, was man erwartet hat zu Besuch bei einem links-intellektuellen Paar, das seit Jahrzehnten die kritische Theorie bewahrt und den Nachlass des Marxismus hütet, archiviert und bearbeitet. 

Frigga Haug hat die Geschichte mitgeprägt

Sie sieht fast ein bisschen weise aus, wie sie dasitzt in ihrem Ledersessel und Sätze sagt wie: "Der Kapitalismus hat die ganze Welt an die Wand gefahren." Und: "Frauen sind noch keine Menschen. Erst wenn Frauen auch unter diese Definition fallen, sind sie gleichberechtigt." Sie scheint eine Aura zu besitzen, die nur solche umgibt, die im Laufe ihres Lebens sehr viel Wissen angesammelt haben. Profan betrachtet mag es aber auch an ihrem Haar liegen. Wallend, weiß-grau fällt es lang den Rücken hinunter und muss eine Generation, die nicht mit Bebel und Zetkin, sondern mit der "Herr der Ringe"-Trilogie im Kino aufgewachsen ist, unweigerlich an Gandalf den Magier erinnern.

Prof. Dr. Frigga Haug ist Feministin und Marxistin. Zeit ihres Lebens hat sie versucht, diese beiden Positionen miteinander zu verweben, Gesellschaftstheorien und -praxis so umzustricken, dass sie vom Frausein gleichermaßen durchdrungen sind wie vom Sozialismus. Im Marxismus-Feminismus, so steht es auf ihrer Homepage, geht es perspektivisch darum, "die Entpatriarchalisierung der Geschlechterverhältnisse mit dem sozialistischen Umbau der Produktionsverhältnisse zu verschmelzen, also gleichsam um eine Revolutionierung der Revolution, die dazu ansetzt, alle Dimensionen und Aspekte des Sozialen zu verändern". Frigga Haug ist klein und kompakt, dabei scheint sie nur aus Denken zu bestehen. Aus einem ständig komplizierte Universen abstrahierenden Geist, der normalen Menschen nach fünf Minuten Muskelkater im Hirn bescheren würde. "Das ist eines meiner großen Probleme", sagt sie, "ich muss immer in Komplexen reden", und lächelt milde.

1937 geboren in Mühlheim an der Ruhr, ist sie im Zweiten Weltkrieg aufgewachsen. Der Vater war begeisterter Soldat, fiel in Stalingrad, die Mutter war Nationalsozialistin und eine von zwei Frauen, mit denen Frigga Haug erst sehr spät in ihrem Leben Frieden schließen konnte. 

Bei nahezu allem, was seit den 50er-Jahren zum Widerstand gehörte, war Frigga Haug dabei: 1958 blockierte sie mit der Bewegung gegen atomare Bewaffnung der Bundeswehr den Berliner Kurfürstendamm. Sie hat gegen den Algerienkrieg demonstriert, ist als eine von sieben Frauen dem SDS beigetreten, "weil man als Frau alleine nichts tun konnte". 1959 gründeten sie und ihr Mann in West-Berlin den Argument Verlag und brachten "Das Argument" heraus, eine Zeitschrift intellektueller Kritik, Sprachrohr der Berliner Linken und in den Sechzigerjahren die führende Theoriezeitschrift der Studentenbewegung. Auflage: 24 000 auf ihrem Höhepunkt. Die Zeitung gibt es heute noch. Auflage: rund 1000.

Mit Kind keine gemeinsamen Urlaube mehr

In den Sechzigerjahren wurde sie schwanger. Woran sie sich aus dieser Zeit noch erinnert: Dass ihr Mann gleich nach Geburt des Kindes, und obwohl fortschrittlich und offen für Frauenthemen gleichermaßen, klagte, nun nur noch alleine Skilaufen gehen zu können. Weil die Skisaison außerhalb der Schulferien läge. Die zweite Erinnerung: Ihr Mann habe gearbeitet, sie selbst sei eine immer verbittertere Hausfrau geworden. "Die Mutter in mir konnte ich nicht einmal verdammen, weil sie in einer Frau angelegt ist und ausbricht, wenn man ein Kind bekommt", sagt sie. Sie schüttelt den Kopf, wie fassungslos über sich selbst. "Wie wichtig doch so eine Windel sein kann."

Sie wurde Feministin, als man ihr wegen des Kindes eine Stelle an der Universität verweigerte, erzählt sie. Damals habe sie angefangen Marx zu lesen, Engels, Bebel, Zetkin, saß im Aktionsrat zur Befreiung der Frauen, war als Sozialistin in der Arbeiterbewegung und zog später mit Frauengruppen durch die Schulen, um den Mädchen beizubringen, "dass sie bloß nicht alle Frisöse werden sollen."

Ende der Siebzigerjahre initiierte sie mit Wolfgang Haug die VolksUni Berlin, ein Lernfest, ein Mal im Jahr, zu dem Kirchen, Homosexuelle, Migranten und Gewerkschafter gemeinsam Ideen und neue Gesellschaftsentwürfe diskutierten. Zur ersten Veranstaltung, sagt Frigga Haug, habe sie sogar Spätzle gekocht.

Anfang der Achtzigerjahre gründete sie für "Das Argument" eine eigene Frauenredaktion, die bis heute – bei vier Heften pro Jahr – ein Themenheft macht, um einen Überblick über den Stand der feministischen Debatten zu geben. Die Redaktion verlor über die Jahre immer mehr ihrer Autorinnen an Karrieren, Familien und die Zeit. "Es gab einen Bruch in meinem Arbeiten, als ich feststellte, dass die nächste Generation gar nichts mehr wissen wollte. Was wir bekämpft haben, ist fort, klassische Hausfrauen wie früher gibt es ja nicht mehr", sagt sie. "Na ja, außer in Schwaben." Ein Lächeln. Aber eher kein amüsiertes.

1996 entstand unter Wolfgang Haug das <link http: inkrit.de neuinkrit index.php de hkwm _blank external-link>"Berliner Institut für kritische Theorie", einst Lehrstuhl an der Freien Uni Berlin, heute Denkerwerkstatt. Frigga Haug ist die erste Vorsitzende. Das Inkrit, so wird das Institut genannt, ist Herausgeber des "Historisch-Kritischen Wörterbuch des Marxismus", eines Lexikons, das Worte mit marxistischem Blick archiviert. Auch dort hat Haug eine Frauensektion initiiert, die am Wörterbuch mitschreibt: Band 1: Abtreibung bis Hexe, Band 2: Hierarchie/Antihierarchie bis Köchin, Band 3: Kollektiv bis Liebe.

Mutter und Tochter waren ihr lange fremd

Ihr Leben lang hat sie sich für Frauen eingesetzt. Nur zu den beiden Frauen, die ihr selbst am nächsten stehen, hat Frigga Haug erst in jüngerer Zeit einen guten Weg gefunden. Die Mutter, Zeit ihres Lebens überzeugte Nationalsozialistin, saß noch in hohem Alter zu Vorträgen ihrer Tochter in der ersten Reihe, selbst im Ausland. "So sehr seien wir nicht entfernt voneinander. Auch im Nationalsozialismus habe ja viel Sozialismus gesteckt", zitiert Tochter Frigga die Mutter.

Die andere Frau war die eigene Tochter, Else Laudan, heute Anfang 50. Wenn Frigga Haug ihr Leben erzählt, scheint es immer, als habe sie sich nie damit anfreunden können, doch die traditionellste aller Frauenrollen eingenommen zu haben. Die Tochter, in früheren Zeiten oft anderweitig untergebracht, weil die Mutter zu beschäftigt war, habe sich lange verloren, erzählt Haug. Heute arbeitet sie ebenfalls für den Argument Verlag und leitet die Sektion der Frauenkrimis, die <link http: www.argument.de belle_index_frame.html _blank external-link>"Ariadne"-Krimireihe. Frigga Haugs neuestes Buch "Der im Gehen erkundete Weg" hat sie lektoriert. "Vor Kurzem sagte meine Tochter zu mir: Erst jetzt weiß ich, dass ich nicht mehr gegen dich kämpfen muss, dass du auf meiner Seite bist", erzählt Frigga Haug. Die Mutter schrieb ihr eine Danksagung ins Buch: "Dank gilt...vor allem meiner Lektorin und Tochter Else Laudan, die mehrere Wochen ihres arbeitsvollen Lebens sich ganz der Verbesserung dieses Buches widmete und dabei eine großartige marxistische Feministin wurde."

Da sitzt sie also, diese kluge, alte Dame, und das Sonnenlicht malt silberne Linien auf das lange Haar. Kaum vorstellbar, dass diese Frau, die so viel Zeit in abstrakten Sphären der Welt verbringt, auch einkaufen geht. "Aber natürlich gehe ich einkaufen!", sagt Frigga Haug amüsiert. "Zum Bäcker, zum Markt", und überall, wo sie hinkommt, fragt sie die Leute, was sie von ihrer Vier-in-Einem-Perspektive halten. Die meisten fänden sie gut, sagt Haug und erzählt, wie sie einmal in der S-Bahn einen ganzen Waggon Schlecker-Frauen getroffen habe und wie begeistert sie alle waren von dieser Idee, die Frigga Haug eigentlich der Linken ins Parteiprogramm schreiben wollte. Aber der Partei war ihr viergeteiltes Leben wohl doch zu utopisch.

Diese Utopie scheint das Produkt, ja die Summe dieses Lebens. "Wenn ich ganz viele Menschen habe, die mitmachen, die dieses Konzept gut finden und es tragen und leben", sagt Frigga Haug, "dann ist der Weg zu einer gerechteren Gesellschaft nicht mehr ganz so mühsam."


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:



Ausgabe 681 / Sechs Jahre Leerstand / Uwe Bachmann / vor 18 Stunden 35 Minuten
Da hilft nur Enteignung



Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!