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Weltweite Schrägverteilung

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Wer ständig nur privaten Reichtum schützt, darf sich über öffentliche Armut und weltweites Elend nicht wundern, meint unser Autor. Und auch nicht über Flüchtlinge, die vor Not, Krieg und Unterdrückung fliehen. Engagierte Flüchtlingshilfe hält er für richtig und wichtig.

Es sind erschütternde Bilder, die gegenwärtig um den Erdball kreisen: Ailan, der kleine syrische Junge – tot am Strand des Mittelmeers, angeschwemmt wie ein Stück Treibholz. Säuglinge, die man durch Stacheldrahtverhaue schiebt. Weinende alte Menschen, die sich auf dem nackten Asphalt von Bahnhöfen und Flughäfen krümmen – in hohem Alter noch hinausgestoßen in eine ungewisse Zukunft. Menschenmassen zu Fuß auf Bahngleisen und Schnellstraßen, mit Kleinkindern auf dem Arm und den paar Habseligkeiten, die sie noch retten konnten.

Alle kommen sie aus Not und Verzweiflung, Verfolgung, Krieg und Unterdrückung – ohne Perspektive für ein sicheres, menschenwürdiges Leben. Man kann nur erahnen, was sie zuvor erlitten haben. Aus Jux und Tollerei oder Abenteuerlust kratzt niemand alles Hab und Gut zusammen und liefert sich mit seiner Familie kriminellen Schlepperbanden aus, um dann womöglich wie Ailan auf hoher See zu ertrinken!

Viele Menschen in unserem Land lässt das nicht kalt. Diese Schicksale gehen ihnen zu Herzen. Sie tun, was nun dringend geboten ist, und engagieren sich in der Flüchtlingshilfe. Die einen sorgen für eine Grundausstattung, helfen mit bei der Wohnungssuche und begleiten Flüchtlinge bei Behördengängen. Andere betreuen Kinder, Jugendliche und alte Leute. Ein Arzt im Ruhestand versorgt ehrenamtlich Flüchtlinge in einer Erstannahmestelle. Pensionierte LehrerInnen geben Deutschunterricht. Das sind nur ein paar leuchtende Beispiele bürgerschaftlichen Engagements. Sie rücken unser Land in ein helles, freundliches Licht.

Doch es gibt auch eine dunkle Seite. Fast jede Nacht brennen irgendwo im Lande Asylbewerberheime. Mich würde nicht wundern, wenn auch in der Bischofsstadt Rottenburg rechtsgewirkte Feuerteufel gezündelt hätten. Unverhohlen entfesseln die Neonazis Gewaltexzesse gegen Asylbewerber und gegen die Polizei, schreiben Hasstiraden im Internet und beschmieren öffentliche Einrichtungen mit ihrem schändlichen Emblem. Keine Frage: Die rechtsradikalen Hetzer wittern Morgenluft. Sie nutzen die Ängste vieler Menschen, um mit ihrer dumpfen, vaterländischen Ideologie anzudocken und Fremdenhass zu schüren. Wo die Neonazis offen in Erscheinung treten, müssen sie auf offenen Widerstand treffen.

Als Seelsorger stoße ich heute aber auch auf eine tief greifende Verunsicherung. Selbst in gutmeinenden Kreisen. Wird es denn auf dem Globus noch für alle reichen? Fachleute sind sich sicher: Bis zu zwölf Milliarden Menschen könnten auf diesem Planeten nicht nur überleben, sondern gut und gerne leben. Aber natürlich nicht, solange zum Beispiel einhundert Menschen so viel besitzen wie die Hälfte der Menschheit insgesamt und ein Fünftel der Menschen vier Fünftel aller Ressourcen verbraten. Würden alle so leben wollen wie wir, bräuchte man vier Erdbälle, aber wir haben nur den einen.

Mahatma Gandhi verdanken wir das weise Wort: "Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier." Daher gilt es durch eine Politik der Gerechtigkeit der Gier die Plattform zu entziehen. Es muss ein Ende haben mit der weltweiten Schrägverteilung. Wer ständig nur privaten Reichtum schützt, darf sich über öffentliche Armut und weltweites Elend nicht wundern. Die Gierhälse müssen erkennen, dass sie eigentlich arme Schweine sind. Sie glauben, das Glück käme ihnen in der Einbahnstraße ihrer Unersättlichkeit entgegen. Sie müssen erkennen: Nur Teilen macht "reich". Und nur, wenn wir teilen, ist genug für alle da.

 

Paul Schobel hat 38 Jahre lang in der Betriebsseelsorge der Diözese Rottenburg gearbeitet, von 1991 bis 2008 war er deren Leiter.


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6 Kommentare verfügbar

  • era
    am 18.09.2015
    Antworten
    Auch von mir ein ähnlicher Kommentar: Auch wenn der Lebensstil der meisten von uns unvereinbar mit einem nachhaltigen Leben auf unserem Planeten ist, bringt es gar nichts, die breite Masse schuldig zu sprechen.Wir kaufen billige Klamotten, weil es sie gibt. Weil viele von uns auch nicht genug…
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