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Ausgebumst, die Bahn kommt!

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Mauereidechsen lieben Bahnböschungen. Auch in Untertürkheim. Dort sind sie dem Bahnprojekt Stuttgart 21 im Weg. Weil die Tiere aber in ihrer Partnerwahl eher unkritisch sind, stellt sich nun die Frage: Sind die Echsen dort reinrassig und schützenswert?

Mauereidechsen sind 20 Zentimeter lang, grün bis grau, sie leben in Frankreich, Italien, Griechenland, Spanien, der Türkei und in Deutschland. Dort in Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Baden-Württemberg. Ungefähr 80 Populationen gibt es derzeit bundesweit, sie mögen Sonne, warmen Sand und schattige Mauern. Die Mauereidechse war Tier des Jahres 2011, und englische Forscher wollen kürzlich herausgefunden habe, dass Eidechsen fast genauso intelligent sind wie Säugetiere. Sinngemäß.

Klingt alles prima. Damit ist es aber auch schon vorbei mit dem Rosarot im Echsenland. Denn die Mauereidechse, in diesem Fall die baden-württembergische, ist ein besonders schwerer Fall von interkontinentalem Sexualverhalten. Außerdem sind viele davon Einwanderer. Illegale. All das unterminiert deren Schutzstatus, denn eigentlich steht die Mauereidechse unter Naturschutz.

Was sich ganz nett anhört, ist in Wirklichkeit rechtlich gesehen ein schwarzes Loch. Zumindest in Baden-Württemberg. Und ein Hoffnungsschimmer am Horizont für die Deutsche Bahn, die für Stuttgart 21 gerne einen Bauabschnitt in Untertürkheim planfestgestellt hätte, auf dem sich Tausende Mauereidechsen häuslich eingerichtet haben. Bahnanlagen sind der Mauereidechse liebstes Zuhause und Umsiedlungen aus Artenschutzgründen aufwendig und teuer.

Außerdem oft wenig von Erfolg gekrönt. Erst kürzlich hat die Bahn für einen sechsstelligen Betrag für die kommenden 30 Jahre ein Ersatzhabitat in Steinheim an der Murr gepachtet und dort 106 Eidechsen angesiedelt. Geschützte Zauneidechsen, keine Mauereidechsen. Mittlerweile sind fast alle tot. Nur zwei seien noch übrig, sagt der BUND und sprach von einem "Skandal" respektive einem "Flop". Die Bahn dagegen will rund 50 lebende Tiere gefunden haben - hochgerechnet mittels einer Formel, die versteckte Echsen und solche, die gerade unterwegs sind mit einbezieht. Sie hielt in einer Pressemitteilung dagegen: "Die öffentliche Darstellung, die Zauneidechsen seien zu Tode gekommen", basiere "auf haltlosen Unterstellungen". Die Echse, ein Politikum. Und nicht nur in Sachen Überlebensquote.

Joscha Beninde ist Mauereidechsen-Expertevon der Uni Trier. Die Uni Trier ist ein Begriff, wenn es um Mauereidechsen geht. Deren Forscher setzen sich – wie übrigens fast alle ausgewiesenen Echsenexperten in Deutschland – für Biodiversität ein. Für viele unterschiedliche ursprüngliche Arten, anstatt nur einer vermischten.

Joscha Beninde promoviert aktuell, Schwerpunkt Umweltrecht, Schwerpunkt Mauereidechsen, weil das Recht rund um den Schutz dieser Tiere noch nicht klar geregelt sei, sagt er. Für seine Doktorarbeit hat er 800 davon in vier Städten gefangen und gengetestet. Mit dem Fahrrad, einer Angel, einer Baumwollschnur samt Wattebällchen für die Speichelprobe, monatelang. Als Experte hat er deshalb im vergangenen Jahr von einem Planungsbüro im Auftrag der Deutschen Bahn die Order bekommen, an 251 Tieren auf dem Bauabschnitt in Untertürkheim Gentests durchzuführen, um deren Reinrassigkeit und Ursprung zu bestimmen.

Wobei Reinrassigkeit kein Wort ist, das Beninde verwendet. Er sagt "genetische Linien", weil man da nicht so sehr in naziges Fahrwasser gerät. Es gibt nicht mehr viele rein deutsche Ursprungsechsen, die bewiesenermaßen "heimisch" sind in ihrem Lebensraum und nicht eingewandert. Allochthon sagt der Profi, ein inflationär gebrauchtes Wort, seitdem die Gentechnik gezeigt hat, dass die Bestimmung der Herkunft per Auge bestenfalls als rudimentär zuverlässig angesehen werden kann. Und die wenigen übrigen Echsen haben sich im Laufe der Jahrzehnte mit sogenannten eingeschleppten Tieren verpartnert. Ein schlimmes Gewurschtel, das wiederum die Vertreter der Biodiversität im Eidechsensektor auf den Plan gerufen hat. Und die Bahn. 

Die Ergebnisse der Bahnstudie sind streng geheim

Die Ergebnisse der Bahnstudie sind geheim. Man sei "in diesem Zusammenhang vor Gesprächen mit den beteiligten Behörden", sagt das Kommunikationsbüro des Bahnprojekt Stuttgart-Ulm. Die Gentests seien eine Auftragsarbeit gewesen, sagt Beninde, und er damit zur Verschwiegenheit verpflichtet. Aber eigentlich ist deren Ergebnis klar.

Rund 80 Mauereidechsen-Populationen gibt es in Deutschland. Davon sind die meisten nicht einheimisch und dazu noch Hybride, 2008 in einer groß angelegten Stichprobenstudie beschrieben von Ulrich Schulte. Schulte war sozusagen der Vorgänger von Beninde am Trierer Institut und innerhalb der Mauereidechsen-Forschungs-Community eine große Nummer. Acht eingeschleppte Linien hat er festgestellt: aus den Südalpen beispielsweise, aus Ostfrankreich, Venetien, vom Balkan.

Mauereidechsen kamen offenbar schon mit den weinanbauenden Römer nach Deutschland. Später mit der Bahn, dann in Obstlastern. Vor allem aber mit Reisenden und Hobbyzüchtern. Aussetzen ist verboten, aber so eine Mauereidechse flutsch einem schon mal aus Versehen durch die Finger. Einmal sei es ihm untergekommen, erzählt Joscha Beninde, dass ein ehemaliger Eidechsenbesitzer behauptete, Efeu sei von außen durchs Fenster ins Terrarium gewachsen. Die Echsen seien über den Efeu getürmt und hätten dann eine eigene Population begründet.

In Baden-Württemberg ist die "ostfranzösische Linie" heimisch, die größte einheimische Population gibt es laut der AG Feldherpetologie und Artenschutz der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde bei Offenburg mit rund 7000 Tieren. Und noch eine Stelle ist bekannt. Untertürkheim gehört aber nicht dazu. In und um Stuttgart gibt es laut der Feldherpetologen-AG überhaupt kein natürliches Mauereidechsen-Vorkommen. Die Stuttgarter Tiere stammen allesamt von zwölf Mauereidechsen ab, die im Jahr 1874 ein gewisser Dr. Jäger in Wildberg an der Nagold ausgesetzt hat.

Und seitdem kopulieren deren Nachfahren querfeldein mit anderen ehemaligen Terrarien-Echsen, Ankömmlingen aus Güterwaggons und Echsen-Damen aus Orangenkisten. Fazit: Der Genpool der ohnehin seltenen heimischen Echsen verschwindet in all dem Chaos. "In einer Freiburger Population konnte unter 52 Individuen nur noch ein einziges Tier gefunden werden, das den heimischen mitochondrialen Haplotyp trug", schreibt Experte Schulte in einer Studie, mit der er für Artreinhaltung eintritt.

Mitochondriale Gensequenzen, das sind die DNA-Abschnitte, die am längsten unverändert bleiben. Mit ihren lässt sich eine Linie zurückverfolgen bis in die letzte Eiszeit. Aber seitdem ist eine Menge passiert, und aus Einwanderungsechsen haben sich mit der Zeit eigene geschlossene Populationen gebildet. Und genau da, sagt Joscha Beninde, fange das Problem an. Sind die nicht auch irgendwie schützenswert? "Da ist sich noch nicht mal die Wissenschaft richtig einig." Er selbst sagt zwar nichts zu seinen Studienergebnissen, plädiert aber immerhin generell für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Schutz und Nichtschutz all dieser wild gemixten Tiere.

Sein Vorgänger Schulte war da weniger kulant. In einem Handlungsvorschlag zur Mauereidechsenfrage schreibt er glasklar: Nicht heimische Misch-Mauereidechsen – und "insbesondere an häufig besiedelten Bahnbereichen" fände die Vermischung statt – sollten keine Schutzmaßnamen erfahren. "Es sollte, im Gegenteil, sogar eine Unterlassung von Pflegemaßnahmen für diese Vorkommen in Betracht gezogen werden. Ein Abfangen von Individuen ist unserer Meinung nach aufgrund des ungewissen Erfolgs sowie des sehr hohen erforderlichen Aufwands in der Regel nicht sinnvoll." Das hieße: Tod den Untertürkheimern. Und das auch noch zum Wohle des Naturschutzes.

Tod oder Leben?

Die Schutzbemühungen in Südwestdeutschland gelten nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie in erster Linie der Podarcis muralis brongniardii, der einheimische Echse, teilt das Bundesamt für Naturschutz mit. Für eingeschleppte Echsen oder Nachfahren von eingewanderten, die Sex mit heimischen hatten, greift der "Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 92/43/EWG". Der wiederum empfiehlt, diese Tiere nicht der FFH-Richtlinie zu unterstellen. Wie das genau gehandhabt würde sei allerdings Ländersache, sagt der Bund.

Das Ministerium für Ländlichen Raum quält sich denn ein wenig mit der Frage nach einer landeseigenen Regelung und teilt letztlich mit: "Uns sind keine Fälle von hybriden Mauereidechsen im Land bekannt außer dem Fall in Untertürkheim, für den nach geltendem Bundesrecht alleine das Eisenbahn-Bundesamt zuständig ist."

Die Pressestelle des Eisenbahn-Bundesamts (EBA), zuständig für Genehmigungsverfahren rund um Stuttgart 21, gibt glücklicherweise Entwarnung: "Nach den hier vorliegenden Erkenntnissen unterfallen alle Mauereidechsen in Untertürkheim dem strengen Schutzregime des Artenschutzes nach dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG)." Außerdem habe das EBA die Studie über die Genanalyse der Untertürkheim-Echsen nicht angefordert. Die habe die Bahn einfach so beigelegt.

Die Misch-Echsen in Untertürkheim haben demnach nichts zu befürchten. So oder so aber hat es sich für die Tiere in Untertürkheim ausgebumst. Denn wer im Weg aber geschützt ist, bekommt ein Ersatzhabitat. Bleibt also nur zu hoffen, dass der Bahn nicht auch noch diese potenten Kerlchen wegsterben.


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1 Kommentar verfügbar

  • Wolfgang Claar
    am 19.08.2015
    Antworten
    Derzeit sind zwischen Ober-und Untertürkheim massiv Echsenfänger am Werk. Das bedeutet: Die allermeisten Echsen werden getötet.
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