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Durststrecke vor Steinmeier

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"Damit wir klug werden", lautete die Losung des Kirchentags am vergangenen Wochenende. 2 500 Veranstaltungen sollten dazu beitragen, darunter auch viele der politischen Parteien. Dort zeigte sich aber nur: Manche sind gleicher als andere.

Vor Gott sind alle Menschen gleich, heißt es in der Bibel. Im Diesseits gilt das jedoch nur begrenzt, wie das Programm am Rande des Deutschen Evangelischen Kirchentags bezeugt, der am Sonntag zu Ende gegangen ist.

Neben den 2500 offiziellen Veranstaltungen gab es auch einige, die nicht im Programmheft standen. Dazu gehörten die Empfänge großer Organisationen und der politischen Parteien, exklusive Veranstaltungen, bei denen die Zahl der Teilnehmer begrenzt ist. Deshalb sind die Einladungen begehrt, sie steigern das Ego. Wer eingeladen wird, fühlt sich auf besondere Weise geschmeichelt. Nur: Wer wird dort klug?

Denn der Austausch zwischen den Besuchern, den die Veranstalter dieser Abende gerne in den Mittelpunkt stellen, findet kaum statt. Wenn man die Empfänge der politischen Parteien besucht, stellt sich bald die Frage: Wer profitiert hier von wem? Was versprechen sich die Parteien vom Kirchentag? Welche Erwartungen hat der Kirchentag von den Parteien? Sind es Kontaktbörsen, Umschlagplätze für Nachrichten und Gerüchte oder ist es gut für die Karriere, wenn man dort gesehen wird?

Sekt pur oder mit Orangensaft

Den Auftakt zu der Einladungsrunde macht die CDU, oder genauer: Der "Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU", eine Sonderorganisation der Unionsparteien, die alle evangelischen Mitglieder von CDU und CSU vertritt. Derzeit zählt der EAK über 203 000 Mitglieder. Bundesvorsitzende des evangelischen Arbeitskreises war Anfang der 1990er auch schon einmal eine gewisse Angela Merkel.

"Nach dem Eröffnungsgottesdienst um 20:30 Uhr Großer Empfang in der Stuttgarter Staatsgalerie", liest man auf der Einladung. Wer den Eingang nicht sofort findet, braucht sich nur an den vielen auffällig unauffälligen Männern mit dem Knopf im Ohr und den dicken Limousinen mit Blaulicht zu orientieren, die dort geparkt sind. Drinnen: Stimmungsvoll ausgeleuchtetes Foyer, Marmorboden, hohe Säulen und Sekt pur oder mit Orangensaft, von Hostessen serviert.

Die Gäste erscheinen teils im Abendkleid und dunklem Anzug, teils im Kirchentagsoutfit mit Sandalen und Kurzarm-Hemd. Wer sich kennt, klopft sich gegenseitig auf Schulter und fragt, wann man sich denn wo das letzte Mal gesehen habe. Wer niemanden kennt, klammert sich fremdelnd an den Bistrotischen fest und hofft, dass jemand vorbeiläuft, den man wenigstens schon einmal im Fernsehen gesehen hat.

Die im Programm angekündigten Referenten sind noch nicht eingetroffen. Der Beginn verzögert sich. Die CDU wünschte sich wie alle Parteien in ihrer Einladung einen "regen Meinungsaustausch" und "fruchtbare Gespräche". Sie dürfte zufrieden sein, dem strömenden Sekt sei Dank.

Niemand versteht Schäuble - was soll's?

Mit der Zeit steigt der Lärmpegel so stark, dass das Referat von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im allgemeinen Trubel untergeht. Kein Wunder, wenn die Veranstaltung in einer Halle stattfindet, die einen glatten Steinboden und eine Decke hat, die den Schall gnadenlos reflektiert und kein Vorhänge an den Wänden, die den Lärm dämpfen könnten. Schon in der Mitte des Saales ist der Minister nicht mehr zu verstehen.

So bilden sich im Saal kleine Gruppen, die heftig und immer engagierter und immer lauter ihre Themen miteinander diskutieren. Davon ist nach Schäuble auch der Präsident des Kirchentages betroffen, er bittet während seiner Rede mehrmals um Ruhe.

Bei den Grünen sieht es wenig besser aus. Um 22.30 Uhr bittet Volker Beck, der religionspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion unter dem Motto "Gemeinsam klüger werden" in das Szenerestaurant "Cube". Die komplett verglaste Location hoch oben im Kunstmuseum mitten in der Stuttgarter Innenstadt bietet besonders bei Nacht einen einmaligen Ausblick. Bevor man auch hier mit Sekt pur oder mit Orangensaft empfangen wird, muss man die Sicherheitskontrolle passieren. Nur wer registriert ist, bekommt einen Namensaufkleber ans Revers, der zum Eintritt berechtigt.

Die Veranstalter sollten wissen, dass wer nach einem ereignisreichen Tag um diese späte Uhrzeit zu einem Empfang lädt, nicht erwarten kann, dass die Gäste aufmerksam langen Reden folgen - zumal in einem völlig überfüllten Cube mit miserabler Lautsprecheranlage.

Die Gäste haben Durst, wollen sich amüsieren und die Aussicht genießen. Die ellenlangen Reden von Beck, Katrin Göring-Eckardt, Winfried Kretschmann und Fritz Kuhn stören da nur und gehen wie bei der CDU im allgemeinen Lärm unter.

Nicht enden wollende Begrüßungsorgien

Vielleicht war aber auch die nicht enden wollende Begrüßungsorgie schon viel zu ermüdend, die zu Beginn aller Empfänge erfolgt. Schade nur, dass der Großteil der namentlich genannten Funktionsträger bei der Begrüßung meist nicht anwesend ist. Natürlich sei man sicher, dass sie später noch kommen, ihr Büro habe schließlich zugesagt. Dann wird darauf hingewiesen, dass dieser Abend dazu dienen solle, mit den politischen Entscheidungsträgern in Kontakt zu kommen. Alle, die nicht begrüßt werden, merken spätestens jetzt, dass es andere gibt, die noch gleicher sind.

Am Donnerstagabend lädt die SPD in den Ballsaal eines Großhotels nach Stuttgart-Vaihingen. Die Tische eingedeckt, das Büfett an den Seiten und im Garten aufgebaut. Wer aber nach einem über 30 Grad heißen Tag auf ein kühles Bier hofft, wird enttäuscht. Die Kellner erklären, Getränke dürften erst nach dem Ende der Rede von Frank-Walter Steinmeier serviert werden. Das wäre zu ertragen, wenn der Bundesaußenminister der erste Redner gewesen wäre. Aber vorher kam die obligatorische Begrüßung, eine Rede des Landesvorsitzenden Nils Schmid, der Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig, des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, zudem von Fritz Kuhn und Erhard Eppler.

Auf den Tischen in der Mitte des Saals deutlich sichtbare Schilder "Reserviert". Damit blieben die unter sich, die sich sowieso ständig treffen und sehen. Alle anderen gruppieren sich drumherum an den übrigen Tischen oder stehen am Rand. Gelohnt hat sich das nicht, nach dem Redemarathon verlässt die Politprominenz geschlossen den Saal, um zur nächsten Veranstaltung aufzubrechen. Aber immerhin gab es dann ein kühles Bier.


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3 Kommentare verfügbar

  • D.S.
    am 11.06.2015
    Antworten
    gefunden auf der Seite der Theologen gegen S21:
    https://s21christensagennein.files.wordpress.com/2015/05/sc3bcnde_nur_herz_plakat-mp.jpg?w=322&h=250
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