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Die Kirche und die sexuelle Vielfalt

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Im Juni wird in Stuttgart die nächste "Demo für alle" über die Bühne gehen. Wieder machen von sich selbst überzeugte Christen und einige CDU-Mitglieder mobil gegen die Akzeptanz sexueller Vielfalt, als sei das achte Gebot außer Kraft gesetzt. Zu viele Würdenträger ducken sich weg. Nur der badische Landesbischof findet rechtzeitig vor dem Kirchentag die richtigen Worte.

Bundespräsident Joachim Gauck hat kürzlich in Berlin mehr Bereitschaft eingefordert, "andere Lebensformen zu akzeptieren". Der baden-württembergische Kultusminister Andreas Stoch (SPD) stellte sich in Ulm der Diskussion mit einer Schulklasse und kritisierte scharf, dass ein so wichtiges Thema wie die Behandlung sexueller Vielfalt im Unterricht in die Skandalecke geschoben werde.

Der badische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh fand auf einer Tagung in Freiburg – und nicht nur dort – Worte, die seine bischöflichen Kollegen Frank Otfried July und Gebhard Fürst längst hätten verwenden müssen: "Wenn heute über das Thema 'sexuelle Vielfalt' gesprochen wird, geht es um Heterosexualität und Homosexualität, um Transsexualität und Intersexualität, also um Menschen, die sich selbst nicht in einer dichotomischen Unterscheidung von Mann und Frau wiedererkennen, sei es, dass bei ihnen Geschlechtsmerkmale von Mann und Frau ausgeprägt sind, sei es, dass sie sich in ihrem Körper nicht wohlfühlen." Und weiter: "Kirche diskriminiert nicht, sagt nicht, welche Form von Sexualität per se gut oder schlecht ist, sondern sie ist da, hört zu, macht Mut, stärkt, sie eröffnet einen Raum des Vertrauens."

Seit gut eineinhalb Jahren wird die Auseinandersetzung immer neu aufgekocht, zunächst um den Bildungsplan samt der gesteuerten Online-Petition, jetzt um den Aktionsplan des Sozialministeriums zur Förderung der Gleichstellung Homosexueller. Kirchenfürsten, aber auch CDU-Politiker und -innen hätten es in der Hand gehabt, mit den richtigen Worten zur richtigen Zeit jene Wahrhaftigkeit zu leben, die sonntags immer gepredigt wird. Er freue sich, bekannte Fürst stattdessen in seiner Neujahrsansprache 2015, "dass Eltern und Lehrerschaft gemeinsam eine unter dem Stichwort 'sexuelle Vielfalt' firmierende Art der Pädagogik abwenden konnten". Wider besseres Wissen – mangelnde Information kommt als Grund kaum in Frage –, denn eine solche Pädagogik etablieren, das wollte das Kultusministerium nie. Mehr noch: Die kirchlichen Vertreter im Beirat, der das umfangreiche Reformwerk begleitet, hatten keinerlei Einspruch gegen die ursprünglichen Formulierungen erhoben. Erst als der Ärger hochkochte, positionierten sich viele, wie Fürst – allerdings nicht auf der richtigen Seite.

Und sein protestantischer Kollege Frank Otfried July schwiemelte sich erst recht durchs Thema: Er sei dafür, "dass das biblische Menschenbild mit gesehen und die Frage der sexuellen Vielfalt in diesem Rahmen diskutiert wird". Und weiter: "Wir waren als Kirche nicht unzufrieden, dass es die Frage der sexuellen Vielfalt im Schulunterricht gibt, wir waren nur unzufrieden mit der Entstehung des Bildungsplans und mit der Vorbereitung". Und der nächste Satz in diesem Hörfunkinterview fällt auf seinen Urheber zurück: "Wir glauben, dass das ein sensibler Bereich ist, der eben auch sensibler behandelt werden muss." Wurde er aber nicht. Statt zu differenzieren und die unstrittigen handwerklichen Fehler zu kritisieren, machten sich beide Bischöfe gemein mit den Scharfmachern. "Widerstand ist Pflicht", heißt es in dem Aufruf für den 21. Juni. Denn nur "auf der Straße können wir die totale ideologische Beeinflussung unserer Kinder und unserer Gesellschaft noch stoppen".

Karl-Christian Hausmann, eben erst wiedergewählter Vize der CDU-Bezirksgruppe Stuttgart-Ost, sieht gar "die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit und die Religionsfreiheit" in Gefahr. Warum, will er nicht erklären. Auf der "Demo für alle" im März auf den Schillerplatz inszenierte der 61-jährige (Wahlspruch: "Ich bin in der CDU wegen dem C") sich zudem als Aktionskünstler, warf Papierberge in eine Mülltonne, um den Umgang der Landesregierung mit den 192 000 Unterschriften für die Online-Petition gegen den Bildungsplan zu illustrieren. Dass überhaupt nur die Hälfte der Unterzeichner aus dem Südwesten kam, fiel genauso unter den Tisch wie der Umstand, dass Stoch den Kritikern mit einer Abschwächung einschlägiger Passagen und der Verschiebung des ganzen Reformwerks entgegengekommen war.

Auch zum neuen Steckenpferd der "Demo für alle"-Anhänger, dem Aktionsplan, wird nicht informiert. Weder über den tatsächlichen Sachstand noch darüber, dass der weit überwiegende Teil der unter Federführung des Sozialministeriums diskutierten Maßnahmen nicht einmal in der Nähe der Entscheidungsreife sind. Stattdessen kommt neuerlich die Keule zum Einsatz. Die Koordinatorin des Dachverbands der selbsternannten Retter der Abendlandes, Hedwig von Beverfoerde, spricht von einem "hoch ideologischen Umerziehungsprogramm für alle Bürger Baden-Württembergs". Ein Ordnungsruf aus den Landeskirchen oder der CDU bleibt aus, sich doch von solchen Äußerungen zu distanzieren. Selbst der Schulterschluss mit der AfD ist mit einem Mal erlaubt. Bernd Kölmel, deren Landessprecher, hat als Ziel des Aktionsplans "die Etablierung und dauerhafte Finanzierung eines Netzwerkes von Gender-Gedankenpolizisten" erkannt, "die in Zukunft in alle sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse hineinwirken sollen, um deren Lebensentwurf staatlich zu propagieren".

Noch ein CDU-Mitglied ist besonders aktiv: Christoph Scharnweber, aus dessen Heilbronner Kreisverband kein Geringerer als Landeschef Thomas Strobl kommt. Der will den Hünen nicht kennen, und der Idee, ihm das achte Gebot ("Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten") nahezubringen, kann er nichts abgewinnen. Scharnweber agitiert seit Monaten eifrig, natürlich auch gegen die grün-rote Landesregierung, die er am Ende sieht und die jetzt "im Eilverfahren" noch ihre Lobbygruppen bedienen müsse. Zugleich leitet er den örtlichen Evangelischen Arbeitskreis der Partei, der sich satzungsgemäß bemühen will, "einen Raum für Gespräche über Grundsätzliches und Aktuelles anzubieten, um Gelegenheit für geistigen Austausch zu eröffnen, der im Alltag oft zu kurz kommt". Die Landesvorsitzende des EAK wiederum, die Leonberger Landtagsabgeordnete Sabine Kurtz, hält sich vorsorglich bedeckt. Für das Projekt des Evangelischen Rundfunkdiensts Baden, "Abgeordnetenbibel", hat sie sich eine Stelle im Lukas-Evangelium ausgesucht, die sie zu folgender Ansicht bringt: "Das Wichtigste im Leben sind die menschlichen Beziehungen, sich auf die Werte zu besinnen, auf Gottes Wort und alles danach auszurichten."

Ausgerechnet beim Stuttgarter Kirchentag könnten sich die Eiferer aller Art dem Thema "sexuelle Vielfalt" neu nähern. Denn noch vor der offiziellen Eröffnung wird auf einer Podiumsdiskussion auf dem Karlsplatz unter dem Titel "Ausgegrenzt und Totgeschwiegen" der Verfolgung gleichgeschlechtlich Liebender gedacht. "Manchmal ereignen sich Dinge im Leben, die man nicht für möglich gehalten hätte", schreibt Markus Bechtold, Redakteur des Internetportals der Evangelischen Kirchen (evangelisch.de), "vor 21 Jahren, als ich mein Coming-out hatte, hätte ich nicht gedacht, dass der Deutsche Evangelische Kirchentag einmal mit einer Gedenkveranstaltung für Homosexuelle beginnen würde." In seinem Vorbericht schlug er, anders als zu viele andere in seiner Kirchen, den Bogen zur Diskussion um die "sexuelle Vielfalt" und die Online-Petition der Widersacher.

Es tue not, dass "der Kirchentag eine regionale Wirkung entfaltet". Denn rund um den Austragungsort "ist auch der Pietismus zu Hause", schreibt Bechtold, "besonders dort glauben einzelne Protestanten, dass Homosexualität Sünde sei und sich mit Gebeten therapieren lasse", was aber ein "seelsorgerischer Irrweg" sei, "dessen psychologische Zeche immer der einzelne Betroffene zahlen muss". Einschlägige Internet-Kommentare ließen nicht lange auf sich warten. "Eltern, die ihre Kinder vor pädagogischer Übersexualisierung schützen wollen, zu diskreditieren ist schon Propaganda", ereiferte sich eine Mutter. "Kein Diskriminierungsverbot von Cornelius-Bundschuh kann Sünde aufheben. Diskriminierung, Ausgrenzung, Verfolgung mögen für sich genommen nicht gut sein und gehören grundsätzlich verboten", schreibt ein Herr Maier, "gleichwohl bleibt Homosexualität Sünde."

Genau solche zentralen Punkte will die badische Landeskirche jetzt herausarbeiten. Schon in der Bildungsplandiskussion waren die Verantwortlichen an einer eigenen Linie interessiert. "Die kirchliche Auseinandersetzung mit den Leitprinzipien fokussiert nicht auf die sexuelle Vielfalt", heißt es in der Stellungnahme fürs Kultusministerium.

Cornelius-Bundschuh, verheirateter Vater dreier Kinder, drückt sich nicht um klare Worte: "Die Debatte um die Vielfalt der sexuellen Orientierung wird zuweilen in der Kirche und in Teilen der Öffentlichkeit mit einer Heftigkeit geführt, die die andere Meinung als grundsätzlich inakzeptabel darstellt. Häufig ist dadurch eine differenzierte Betrachtung der Situation erschwert." Noch problematischer erscheint ihm "für die kirchliche Perspektive, dass die betroffenen Menschen und ihre Lebenslagen aus dem Blick geraten und in einer Weise instrumentalisiert werden, die ihre Würde beschädigt".

Unterstützung für seine liberale, offene Haltung findet er ausgerechnet dort, wo andere ganz anderes herauslesen: in der Heiligen Schrift. Der Landesbischof argumentiert mit Paulus, der mit seinen sexualethischen Äußerungen "jedes gewaltförmige und mit Macht durchgesetzte Verhalten im Bereich der Sexualität ablehnt, weil es den oder die andere entwürdigt und darin den Leib Christi schädigt".

Im Taufbekenntnis in Galater 3, 26-28 ("Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Jesus Christus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt eins in Christus Jesus.") sieht er den Weg in einer Wirklichkeit, "in der wir von den Zuschreibungen frei werden, die uns unsere Herkunft, unser sozialer Stand oder unsere biologische 'Ausstattung' aufzwingen". Weder nationale oder ethnische Zugehörigkeit noch soziale Situation oder biologisches Geschlecht seien entscheidend für das Leben von Christinnen und Christen, sondern die Gemeinschaft mit Christus.

Warum dieses Haltung nicht offensiver vertreten wird? Der Wegbereiter der neuen Tonlage scheut die klare Antwort nicht: "Die Frage der Gleichstellung bekommt in den Kirchen ein besonderes Gewicht, weil unterschiedliche sexualethische Positionen für manche sehr eng mit Bekenntnisfragen verknüpft sind. Manchmal ist es aber auch umgekehrt: Der Umgang mit Fragen der sexuellen Orientierung und Identität wird instrumentalisiert, um innerhalb der Kirche wieder auf den rechten Weg zu rufen." Am Fronleichnam predigt der Landesbischof bei einem ökumenischen Gottesdienst mit Gebhard Fürst. Eine großartige Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen, über die Versäumnisse der Kirchen im Umgang mit Homosexuellen, über die tatsächlichen Pläne der Landesregierung und übers achte Gebot.


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7 Kommentare verfügbar

  • Ernst Hallmackeneder
    am 22.05.2015
    Antworten
    Werter Herr Dr. Gscheidle,

    Ihrem löblichen Kommentar kann ich natürlich wieder vollumfänglich zustimmen, erlaube mir aber noch ein paar Anmerkungen:
    - hoffe inbrünstig, daß unser hoher katholischer Bischof Fürst da wirklich hart bleibt, die Heilige Schrift steht hinter ihm.
    - nicht ohne Grund…
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