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Zwischen Geld und Glauben

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Pharmaboss und Präsident des Kirchentags – wie passt das zusammen? Für Andreas Barner natürlich kein Problem, für Kritiker erklärbar. Er wolle der "Gute unter den Bösen" sein, heißt es dort. Und darüber ärgert sich der Boehringer-Manager.

Der Humor ist so dezent wie der schmale Herr im Anzug, der mit einem Managerkoffer auf Rädern ins Birkenkopf-Zimmer tritt, hier in der Stuttgarter Breitscheidstraße, der Zentrale des Deutschen Evangelischen Kirchentags 2015. "Soll ich etwas Kluges sagen, damit Sie das Aufnahmegerät testen können?", fragt Andreas Barner leise lächelnd. Der Kirchentagspräsident hat das Motto "Damit wir klug werden" verinnerlicht, ganz Chef dieses evangelischen Megaevents, zu dem in wenigen Wochen Zehntausende von Menschen in Stuttgart erwartet werden. Ein klein wenig Selbstironie soll sein dürfen, eine, die sich selbst nicht so wichtig zu nehmen scheint.

Nun ist es nicht so, dass der Mann sonst nichts zu tun hätte. Noch vor wenigen Stunden ist der 62-Jährige in seinem Büro in Ingelheim gesessen. Von dort aus regiert der Vorstandssprecher den Pharmakonzern Boehringer, ein Familienunternehmen mit Milliardenumsatz, Zehntausenden Angestellten weltweit und dem bekannt schlechten Image aller Pharmaunternehmen. Warum um Himmels willen muss ein so viel beschäftigter Mann noch Präsident des Kirchentags werden?

"Nicht um Himmels willen", sagt der Herr mit dem Silberhaar. Der Himmel habe damit wenig zu tun. Für ihn ist es nur ein konsequenter Schritt. Barner ist einer der wenigen Wirtschaftsmänner – darunter der Babynahrungshersteller Claus Hipp und der Schuhhändler Heinrich Deichmann –, die sich als Manager öffentlich zu ihrem Glauben bekennen. Immer habe er dafür plädiert, dass die Wirtschaft entsprechende Aufgaben wahrnehmen muss. "Das habe ich wörtlich genommen und gesagt, den Kirchentagspräsidenten, den mache ich", sagt Barner mit dieser bedächtigen Stimme. So redet einer, der weiß, dass seine Wünsche erfüllt werden, auch ohne dass er die Stimme erheben muss.

Der Gute unter den Bösen?

Konzentriert und aufmerksam sitzt er an dem schlichten Resopaltisch, der Zwirn so fein wie der Herr, das Haar sorgsam frisiert, die Gesten so zurückhaltend wie die Stimme, ein schmaler Mann mit der Ausdauer eines Marathonläufers. Ein kluger Mann wie Barner weiß, dass sich viele fragen, wie dieser Spagat zu schaffen ist: zwischen Wirtschaft und Kirche, zwischen Geld und Glaube. Zwei Hüte hat er nun auf, und Kritik gibt es an beiden. Da ist die Pharmaindustrie, die mit der Gesundheit der Menschen ihr Geld macht – und das mit nicht immer feinen Methoden. Das weiß man spätestens seit Wolfgang Schorlaus Bestseller "Die letzte Flucht". Da ist die evangelische Kirche, die nicht immer nach dem Gebot der Nächstenliebe handelt, wie die Missbrauchsvorwürfe gegen die Evangelische Brüdergemeinde in Korntal zeigten. Eine konfliktreiche Doppelbelastung also.

Zeitlich ist das für ihn kein Problem. Andreas Barner ist einer, der die protestantische Arbeitsmoral nicht nur verinnerlicht hat, sondern auch lebt. Morgens um sechs sitzt er schon mal an seinem Schreibtisch, weil da keiner anruft und er sich strikt verbietet, in seine Mails zu schauen. In diesen frühen Morgenstunden, wenn andere noch nicht einmal denken können, arbeitet er sein Pensum ab. Ein Arbeitstier vor dem Herrn sei er, hat die "Wirtschaftswoche" einmal geschrieben. Nun, zum Endspurt des Kirchentags, beginnen seine Morgen noch etwas früher, und die Abende dauern noch etwas länger. Aber die Nummer eins bei Boehringer scheint das nicht zu stören. "Wenn man morgens um halb vier aufsteht, um einen Berg zu bezwingen, ist man auch nicht im Stress", sagt der leidenschaftliche Bergsteiger. Barner tut, was er tut, gerne. Nicht um Himmels, sondern um seinetwillen.

Dazu gehört auch der Job in der Pharmaindustrie. Viele Jahre als Leiter der Forschungsabteilung, seit 2009 als Sprecher der Unternehmensleitung. "Der Glaube ist ein Wertekanon für das, was ich mache", sagt der Chef des Ingelheimer Medikamentenherstellers. "Er möchte der Gute unter den Bösen sein", sagt die Pharmakritikerin und Ärztin Christiane Fischer von der Dritte-Welt-Organisation Buko Kampagne. Über dieses zweifelhafte Lob hat sich Barner schon vor Jahren geärgert.

Zwei Welten, zwei Hüte

Aber was ist ethisch daran, mit Scheininnovationen das Gesundheitssystem auszuplündern? "Das war früher so, in den 80er-, 90er-Jahren," hält er dagegen. Welchen Wertekanon vertreten Firmen, die ihre Pharmavertreter ausschicken, damit sie Ärzte bestechen, um die Verkaufszahlen ihrer Pillen noch oben zu treiben?

Bei Boehringer heißen die Vertreter Ärztebesucher und außerdem: "Heute haben wir einen Ehrenkodex, an den sich die meisten in der Branche halten." Und schließlich sei in der langen Zeit der Planwirtschaft in der DDR kein einziges Medikament neu entwickelt, kein einziger neuer Wirkstoff auf den Markt gebracht worden. "Ich glaube, dass unser Ruf mittlerweile viel schlechter ist, als wir es verdienen." Das ist wohl auch eine Frage des Glaubens.

Er hat seine Verteidigungsrede schon so oft gehalten, bei Diskussionen mit Buko-Ärzten und mit Vertretern des pharmakritischen, unabhängigen "arznei-telegramms". Sie wirken wie ein ausgetretener Pfad in einem feindlichen Dschungel. Und doch verstummen die Vorwürfe nicht. Dabei will Barner, der Christ und leidenschaftliche Forscher, mit neuen Medikamenten möglichst vielen Menschen helfen. Und der zurückhaltende Mann kommt ins Schwärmen, erzählt, wie ein HIV-Präparat die Infektionsrate bei der Geburt von Babys halbieren konnte. Berichtet, nunmehr etwas emotionaler ("Dann hör ich auch auf, aber das liegt mir am Herzen"), wie eines Morgens ein an ihn adressierter Brief auf seinem Schreibtisch lag. Darin schilderte eine Frau, wie sie an einem Lungenkarzinom erkrankte, wie sie immer schwerer atmen und kaum mehr ihre Treppe meistern konnte. Sie wollte sich persönlich beim Chef für das Medikament aus dem Hause Boehringer bedanken, das ihr das Atmen erleichtert und trotz Krankheit einen Alltag ermöglicht hat. Und Grüße an die Forschungsabteilung. Das alles hört Barner lieber als die nicht verstummenden Vorwürfe.

Aufgewachsen ist Andreas Barner in Freiburg, in einem gläubigen Elternhaus und mit sechs Geschwistern. Zunächst hat er Mathematik studiert, sich mit der Wahrscheinlichkeitstheorie und dem Tumorwachstum beschäftigt und danach beschlossen, noch Medizin studieren. In beiden Fächern hat Barner promoviert. Glauben und Wissen, das schließt sich für ihn nicht aus. Sein Glaube ist ein offener, liberaler, und zu Hause bei Frau und Tochter in Ingelheim ist sowieso Ökumene angesagt. Seine Frau ist Katholikin. Bei Barners wird Ökumene nicht nur diskutiert, sondern auch gelebt.

Kekse – Fair Trade natürlich

Klar, dass einer wie er, der den ehemaligen Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber ("durchdringt den Glauben intellektuell") und Margot Käßmann ("eine kluge Frau") schätzt, ein modernes Glaubensverständnis hat. "Glaube darf nicht dogmatisch und fundamentalistisch verstanden werden", sagt Barner, der nun den Hut des Kirchentagspräsidenten aufhat, "Nachdenken ist eine wichtige Basis, um den Glauben auch wirklich leben zu können. Mit der Nächstenliebe als wichtigem Element."

Dass das Leid der ehemaligen Korntaler Heimkinder und die Missbrauchsvorwürfe gegen die Evangelische Brüdergemeinde nun auch auf dem Kirchentag thematisiert werden, hält er für wichtig. "Es ist in hohem Maße schockierend, wenn man liest, was die ehemaligen Heimkinder berichten", sagt Barner, "die Kinder wurden nicht so behandelt, wie man das insbesondere als Christ erwartet." Respektvoll zuhören gehört zu seinem Wertkanon. Das war nicht die Stärke der Evangelischen Brüdergemeinde, die sich lange gegen einer Aufarbeitung ihrer Heimvergangenheit sperrte. Vorsichtig tastet sich Barner durch vermintes Gelände, das Feld der Auseinandersetzung von liberalen und fundamentalistischen Strömungen in seiner Kirche. "Ich bin froh, dass die Brüdergemeinde sich offenbar entschlossen hat, den Prozess sorgsam aufzuarbeiten", sagt er. Vom Tauziehen im Hintergrund weiß der Kirchentagspräsident nichts.

Irgendwo in der Zentrale des Kirchentags meldet sich ein Handy in sanften Harfentönen. Andreas Barner nimmt sich einen der Kekse, "Fair Trade, natürlich", hat die freundliche Kirchentagssekretärin erklärt. An den Wänden hängen Fotos verschiedener Kirchentage.

Die beleuchtete Brücke in Köln etwa, die einen Fisch darstellen soll. Bilder vom Abschlussgottesdienst 1999 in Stuttgart. "Ich saß irgendwo da", sagt Barner und deutet nach ganz vorne. Was nimmt man einem wie ihm übel? "Dass ich wenig Zeit habe", sagt er, "und wahrscheinlich, dass ich in der pharmazeutischen Industrie tätig bin." Alles Glaubenssache.


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2 Kommentare verfügbar

  • Ulrich Frank
    am 19.05.2015
    Antworten
    Andreas Barner ist, wie einem aktuellen taz-Artikel* zu entnehmen ist, darüber hinaus auch Vorsitzender des Hochschulrats der Universität Mainz. Diese akademische Bildungsstätte ist derzeit im Gespräch weil die Universitätsleitung, wohl auch im Sinne Herrn Barners, trickreich und gegen die…
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