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Neonazi-Feindbild: die Polizei

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Es lag lange Zeit außerhalb der Vorstellungskraft behördlicher VertreterInnen, dass Neonazis die beiden Streifenbeamten Michèle Kiesewetter und Martin Arnold ins Visier genommen hatten. Doch warum?

Lange Zeit war das Bild, das sich Rechtsextremisten von der Polizei machten, positiv geprägt. Die Polizei wurde als Ordnungsfaktor aus einer grundsätzlichen Affinität zum starken Staat zustimmend begrüßt. Doch längst sind Institutionen und Vertreter der inneren Sicherheit in der rechtsextremen Szene verhasst. Die Bundesrepublik Deutschland, dem ewiggestrigen Mief der Adenauer-Zeit entwachsen, wird in rechtsextremen Kreisen einhellig als Polizei- oder Überwachungsstaat diffamiert, den es zu bekämpfen gilt. Seit den frühen 1990er-Jahren existiert in der rechtsextremen Szene das "Feindbild Polizei" ("brd-Polizisten"). Polizisten sowie Richter und Staatsanwälte gelten als "Büttel des Systems" und "Handlanger der Besatzer".

Die Polizei übt mit der Durchsetzung von Demonstrationsverboten, Platzverweisen, mit dem Abbruch von Konzerten und Feiern hohen Druck auf die rechtsextreme Szene aus und wird als Gegner rechtsextremer Aktivitäten wahrgenommen. Rechtsextremisten erklären polizeiliche Maßnahmen gegen rechtsextrem motivierte Straf- und Gewalttaten als politische Verfolgung Andersdenkender und bezeichnen diese als Stasi-Methoden. Rechtsextremisten schrecken vor gewalttätigen Übergriffen auf Polizeibeamte bei Demonstrationen, Veranstaltungen und Zusammenrottungen nicht zurück.

Eine Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke hat 2014 (Drucksache 18/1104) ergeben, dass zwischen 2001 und 2013 fast 1000 Gewaltdelikte wie Widerstand gegen Beamte, Landfriedensbruch und Körperverletzung rechtsextremer Täter gegen die Polizei und weitere Sicherheitsbehörden registriert wurden. Der Hass auf das System schlägt sich in Gewalt gegen Polizeibeamte nieder. So waren auch wenige Wochen vor und nach dem Mord an Michèle Kiesewetter und dem Mordversuch an ihrem Kollegen Martin Arnold am 25. April 2007 Polizeibeamte den Angriffen von Neonazis ausgesetzt.

Am 5. März 2007 beschimpften rund 20 Neonazis eine 15-köpfige Gruppe ausländischer Jugendlicher vor der Disco Millennium in München. Sie riefen "Scheiß-Kanaken" sowie "Ausländer nach Auschwitz". Als die Situation eskalierte, gab sich ein Zivilpolizist zu erkennen. Daraufhin versuchte ein Neonazi, mit seiner Stahlrute auf den Polizisten einzuschlagen. Wenige Wochen später, in der Nacht zum 24. März 2007, trat ein 22-jähriger Neonazi aus einer mehrköpfigen Gruppe heraus in Köln einem 29-jährigen Polizisten mit einem Schuh ins Gesicht. Der Polizeibeamte wurde im Gesicht und im Mundbereich verletzt. Zuvor rief ein Mitglied der Gruppe lauthals "Sieg Heil – Heil Hitler" und zeigte den Hitlergruß.

In Wismar wurde im April desselben Jahres bei einer Anti-rechts-Demonstration ein antifaschistischer Demonstrant von einer Stahlkrampe am Kopf getroffen und verletzt. Auch ein Polizist wurde getroffen, der jedoch dank seines Helms unverletzt blieb. In dem Haus, aus dem geschossen wurde, dem "nationalen" Wohnprojekt "Wolfshöhle II", hielten sich 35 Rechtsextremisten auf.

Die Polizei stellte zehn mit Stacheldraht umwickelte Axtstiele sicher. Und bei der Überprüfung von rechtsextremen Jugendlichen am 18. August 2007 an einer Tankstelle im sachsen-anhaltinischen Halberstadt anlässlich des Todestags von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß wurden Polizisten mit Fußtritten und Flaschenwürfen attackiert. Und dies sind nur einige Beispiele rechtsextrem motivierter Gewalt gegen Polizeibeamte im Jahr des Polizistenmordes in Heilbronn.

Auch in diesem Jahr gab es schon mehrfach rechtsextreme Übergriffe auf Polizeibeamte. Ein Schwerpunkt dieser Attacken ist die Großstadt Dortmund am östlichen Rand der Metropolregion Rhein-Ruhr in Nordrhein-Westfalen. In der Silvesternacht etwa wurde die Polizei bei einem Einsatz im Dortmunder Stadtteil Dorstfeld von Neonazis gezielt mit Feuerwerkskörpern beworfen. Sieben Tage später, am Abend des 7. Januar, störten Neonazis eine öffentliche Bürgerinformation der Stadt Dortmund für eine Flüchtlingsunterkunft im Stadtbezirk Eving, und einer der Neonazis schlug vor der evangelischen Segenskirche einen Polizisten nieder. Am Abend des 16. Januar wurden vier Polizisten in Dortmund am Rande einer Mahnwache der Neonazi-Partei Die Rechte, einer NPD-Abspaltung, von Neonazis mit Reizspray angegriffen und verletzt. 

Fünf tote Polizisten durch Neonazis

Neben Michèle Kiesewetter, die nach jetzigem Ermittlungsstand das Opfer von Neonazis wurde, erschossen Rechtsradikale seit 1997 vier weitere Polizeibeamte.  Am 23. Februar 1997 streckte der Berliner Neonazi Kay Diesner in Schleswig-Holstein den Polizeiobermeister Stefan Grage nieder. Dessen Kollege Stefan K. wurde schwer am Bein und im Gesicht verletzt. Diesner befand sich auf der Flucht, nachdem er vier Tage zuvor in Berlin-Marzahn den Buchhändler Klaus B. angeschossen hatte. Die Polizeibeamten Thomas Goretzky, Yvonne Hachtkemper und Matthias Larisch von Woitowitz wurden am 14. Juni 2000 in Dortmund und in Waltrop von dem Neonazi Michael Berger erschossen. Die Polizistin Nicole H. wurde von Berger schwer verletzt. Der Polizistenhasser richtete sich selbst. Nach der Terrortat verteilten Mitglieder der Neonazi-"Kameradschaft Dortmund" Aufkleber mit dem Text "Berger war ein Freund von uns. 3:1 für Deutschland".

Auch in Liedtexten rechtsextremer Bands wird häufig zur Gewalt bis hin zur Tötung von Polizeibeamten aufgerufen. In Refrains wird oftmals die von englischen Subkulturen übernommene Parole "ACAB" (All cops are bastards) eingesetzt. Der braune Liedermacher Lars Hildebrandt, "Künstlername" Raunijar, trällerte 2011 auf seiner Demo-CD das Hetzlied "Bullenschwein is burning". Im Lied "Kein Vergeben, kein Vergessen" (2002) der seit Ende der Neunzigerjahre grölenden Neonazi-Band "Weisse Wölfe" heißt es: "Du wirst bluten, Bulle! Wo bist Du. Bullenschwein? Ich will Deine Augen sehn, Bulle! Deine Augen! Und dann schick ich Dich zur Hölle! Hö, Bullenschwein! Jetzt hast Du zum ersten mal Angst, aber das ist nicht wichtig. Wir sind die Jäger, wir töten die Schwachen, damit die Starken überleben! Du kannst die neue Welt nicht aufhalten! Eure stinkende Gesellschaft wird Typen wie uns nie loswerden. Wir müssen euch töten! Wir sind die Zukunft!" Längst sind Polizisten zum neonazistischen Feindbild geworden.

Bei den Ermittlungen zum Tod der Polizistin Michèle Kiesewetter und den Schüssen auf ihren Kollegen Martin Arnold gingen die Fahnder lange Zeit nicht von einem Terrorakt gegen Staatsorgane aus, weil ein Bekennerschreiben fehlte. Die mörderische Tat weise zu viele Elemente einer allgemeinen kriminellen Tat auf, so die Ermittler. Vor dem Hintergrund rechtsextremer Übergriffe auf die Polizei und der neonazistischen Begleitmusik wirkt dieses Verhalten befremdlich.


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1 Kommentar verfügbar

  • Barolo
    am 06.05.2015
    Antworten
    Hallo Herr Maegerle, die Fakten im Artikel bzgl. Morden an Polizisten waren mir neu.
    Eine zunehmende Gewalt gegen Polizisten lese ich in der Presse.
    Wenn ich aber das Verhalten der BFE Schlägertrupps auch gegen friedliche Bürger (S21) extrapoliere, dann fragt man sich doch nach Ursache und…
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