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Zu viel Kirche beim Kirchentag

Zu viel Kirche beim Kirchentag
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Zehntausende Christen treffen sich demnächst zum Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) in Stuttgart. Der versteht sich als Graswurzelbewegung und als Gegenüber zur Amtskirche. Aber ist das wirklich so? Über Anspruch und Wirklichkeit eines christlichen Mega-Events.

An der Spitze des Kirchentags amtiert ein Präsidium, das momentan aus 26 Personen besteht. Dazu kommen noch Vertreter der gastgebenden Landeskirche, die den jeweils nächsten Kirchentag ausrichtet, in diesem Fall aus der Württembergischen Landeskirche. Dieses Gremium bestimmt über Zeit, Ort und Thema des jeweiligen Kirchentags und beruft die Mitglieder der Vorbereitungsgruppen, die sogenannten Projektleitungen. Mit der Auswahl entsprechender Personen werden die Programminhalte im Wesentlichen vorherbestimmt.

Dieses Präsidium ist keineswegs eine Graswurzelbewegung und repräsentiert auch nicht den Querschnitt der deutschen Bevölkerung: Elf davon sind Bischöfe oder Kirchenfunktionäre und Wissenschaftler, die bei Kirchen oder kirchlichen Einrichtungen angestellt sind und von dort ihr Einkommen beziehen. Die andere große Gruppe stellen Spitzenpolitiker, amtierende und ehemalige Bundes- und Landesminister, Senatoren oder Staatssekretäre und Ministerialdirektoren. Darunter finden sich Namen wie der von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, der des rheinland-pfälzischen Justizministers Gerhard Robbers, die ehemalige Hamburger Senatorin Karin von Welck, die frühere Bundesfamilienministerin Christine Bergmann und die baden-württembergische Kultusstaatssekretärin Marion von Wartenberg oder die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag Katrin Göring-Eckardt.

Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander

Themen, die bei Kirchentagen angesprochen werden, haben einen großen Einfluss auf die bundesdeutsche politische Diskussion. Deshalb wird hinter den Kulissen heftig geschachert, um Vertreter des jeweils eigenen politischen Lagers als Referenten auf den Kirchentagspodien unterzubringen.

Zusammen mit dem Präsidium bilden 25 Vertreter der Landesausschüsse, die den Kirchentag in ihrer Landeskirche vorbereiten, zehn Vertreter kirchlicher Werke und Verbände, sowie die 12 Vorsitzenden der Ständigen Ausschüsse und Arbeitsgemeinschaften die Präsidialversammlung. Wenigstens die Hälfte der Mitglieder aller Gremien sollen Menschen sein, die nicht hauptberuflich in der Kirche tätig sind. So steht es in einer Selbstverpflichtung, die der Kirchentag abgegeben hat. Davon ist die Laienorganisation aber weit entfernt.

Die Vertreter der Landesausschüsse sind ausschließlich hauptamtliche Pfarrer oder Kirchenmitarbeiter, ebenso die Vertreter kirchlicher Werke und Verbände. Alle stehen auf der Gehaltsliste kirchlicher Einrichtungen. Auch von dem Dutzend Vertreter der Ständigen Ausschüsse und Arbeitsgemeinschaften sind mehr als die Hälfte, nämlich sieben Personen, kirchliche Mitarbeiter. Die 50-Prozent-Quote wird nur erreicht bei der Gruppe Ehrenamtlicher, die die vorhergehenden Kirchentage vorbereitet, gestaltet und organisiert haben, und bei den 15 "aus besonderen Gründen berufenen Persönlichkeiten".

Finanzielle Unterstützung aus Steuermitteln in Millionenhöhe

Der Öffentlichkeit könnte die Zusammensetzung der Kirchentagsgremien egal sein. Aber es ist keine innerkirchliche Angelegenheit, denn damit wird die finanzielle Unterstützung aus Steuermitteln in Millionenhöhe gerechtfertigt. Mit diesen Millionen wird der Evangelische Kirchentag genauso subventioniert wie der Katholikentag. Zahler sind die jeweils die gastgebende Stadt, das Bundesland und die Bundesregierung.

Seit Längerem gibt es eine Diskussion über diese Form der Finanzierung. Jetzt hat zum ersten Mal eine Kommune entschieden, diese jahrelange Praxis zu beenden. Betroffen ist davon zunächst der 101. Deutsche Katholikentag im Jahr 2018 in Münster. Verweigert wird der Barzuschuss in Höhe von 1,2 Millionen Euro, den das Zentralkomitee der deutschen Katholiken als Unterstützung beantragt hatte. Beschlossen hat dies Ende März 2015 der Stadtrat der nordrhein-westfälischen Stadt mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linkspartei, mit Hinweis auf die eigene verschuldete Situation.

Diese Entscheidung aus Münster trifft die Kirchentage empfindlich. Denn deren Finanzierung basiert bisher auf drei Säulen. Da sind zum einen die Teilnehmerbeiträge, die Zuschüsse kirchlicher Stellen und die der öffentlichen Hand. Der Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Dr. Stefan Vesper, ahnte bereits im Dezember 2014, dass sich das Thema zuspitzt und sich evangelische und katholische Kirche verstärkt mit der Frage der finanziellen Unterstützung aus öffentlichen Haushalten auseinandersetzen müssen. Vesper begründet die Forderung nach Steuermitteln in den "Salzkörnern", einer Publikation des Zentralkomitees der deutschen Katholiken: Die evangelischen und katholischen Kirchentage seien die größten kontinuierlich stattfindenden mehrtägigen gesellschaftspolitische Foren Deutschlands. "Keine andere gesellschaftliche Gruppe investiert so nachhaltig in den zivilgesellschaftlichen Dialog wie die evangelischen und katholischen Christen mit ihren beiden Großveranstaltungen."

Er schreibt weiter, die große Präsenz von Vertretern zahlreicher zivilgesellschaftlicher Gruppen sei ein Beleg für die Akzeptanz dieses Angebots weit über die Grenzen der Kirche hinaus und damit ein bedeutender Beitrag zum gesamtgesellschaftlichen Diskurs in unserem Land. Er verweist dabei, ähnlich wie die evangelische Seite, auf das in Deutschland geltende Subsidiaritätsprinzip, "das im Grundgesetz als ein elementares Strukturmerkmal unserer Sozialordnung festgeschrieben sei", demzufolge die öffentliche Hand solche Leistungen zu finanzieren habe.

Mit seinem Verweis auf eine angeblich große Präsenz von Vertretern zivilgesellschaftlicher Gruppen begibt sich der Generalsekretär auf gefährliches Glatteis, wenn er dies als Begründung für die Forderung nach finanzieller Unterstützung durch den Staat anführt. Tatsächlich bestehen die Kirchentagsgremien aus Vertretern einer großbürgerlichen Mittelschicht. Sie prägen die Programminhalte.

Keine Gewerkschafter, dafür Unternehmensvertreter

In den Leitungsgremien des DEKT fehlen beispielsweise Arbeitslose, die ihre Probleme und Lebenserfahrung einbringen könnten, völlig. Es gibt auch keine Menschen aus der immer größer werdenden Gruppe geringfügig Beschäftigter oder solchen ohne regelmäßiges Einkommen. Im Kirchentagspräsidium gibt es zwar prominente Unternehmensvertreter, aber keinen einzigen Gewerkschafter. So einen findet man nicht einmal unter den rund 110 Mitgliedern der Präsidialversammlung. So zeigt sich das gestörte Verhältnis der Kirche zur Arbeitnehmerschaft auch beim Kirchentag.

Das Fehlen von Gewerkschaftern wirkt sich auf das Kirchentagsprogramm aus. Wer in der elektronischen Programmdatenbank zu den rund 2500 verschiedenen Veranstaltungen beim Stuttgarter Kirchentag nach Podien oder Referaten zu Themen wie Arbeitslosigkeit, "Schlecker-Frauen", Mindestlohn, Tarifverträge oder prekäre Arbeitsverhältnisse sucht, bekommt jedes Mal die Meldung: "Es konnten leider keine Veranstaltungen zu den angegebenen Suchkriterien gefunden werden." Wenn man allerdings das Stichwort "Kündigung" eingibt, erzielt man plötzlich viele Treffer. Aber die Ernüchterung kommt schnell, denn sobald man weiterklickt, landet man nicht in der Arbeitswelt, sondern bei "Verkündigung".

 

Uli Röhm ist Mitglied der Präsidialversammlung des DEKT und war in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau Präses eines Dekanats.


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9 Kommentare verfügbar

  • Angela Krug
    am 13.05.2015
    Antworten
    Lieber Uli Röhm,
    nun sitzen wir seit einer Reihe von Jahren gemeinsam in der Präsidialversammlung des Deutschen Evangelischen Kirchentag und diese Kritik, die Du da äußerst an der mangelnden Einbindung von Menschen, die nicht im kirchlichen Sold stehen, ist bislang völlig an mir vorbei gegangen.…
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