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Feinde der Zivilisation

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Wenn ein kapitales System am finanziellen Abgrund steht, kommen auch Erzkonservative schon mal ins Grübeln. Hatte oder hat die Linke vielleicht doch recht? So weit gehen, außer Frank Schirrmacher in der FAS, deutsche Medien nicht. Die Feinde der Zivilisation werden dafür im gutbürgerlichen Züricher "Tages-Anzeiger" beschrieben. Ein Essay (Teil zwei).

Das kapitale System bringt selbst Erzkonservative ins Zweifeln. Foto: Jo Röttger
Es sind die Rezepte der Rechten, die in diese Krise geführt haben. Auch deshalb, weil sie darin erfolgreich waren, dass ihre Rezepte nicht mehr als widerlegbare Thesen galten. Sondern zu allgemeinen Wahrheiten wurden. Doch was passiert nun mit der Rechten?

Sie radikalisiert sich. Sie besäuft sich an ihrer eigenen Einfachheit. Ronald Reagan, das Idol der neuen Rechten, war ein Cowboy als Redner, aber als Politiker im Ernstfall Pragmatiker. Die Sowjetunion war "das Reich des Bösen", klar, aber er nahm Abrüstungsverhandlungen auf. "Der Staat ist nicht die Lösung, sondern das Problem", sicher, aber Reagan erhöhte elf Mal die Steuern.

Heute würde Reagan aus der republikanischen Partei gemobbt. Heute müssen Abgeordnete, um gewählt zu werden, einen Eid unterschreiben, nie, auf keinen Fall Steuern zu erhöhen. Und ihre Antworten auf komplexe Fragen sind unverhandelbar kurz: Budgetkürzungen? Wenn nicht bei der Armee – immer gut. Steuergeschenke? Immer gut. Defizit? Des Teufels. Sozialprogramme? Des Teufels. Renten, medizinische Versorgung? Des Teufels. Den eigenen Verhandlungsführer niedermachen? Kein Problem. Den Staat bankrott gehen lassen? "Dann geht trotzdem morgen die Sonne auf."

Es sind Positionen, mit denen keine Politik mehr zu machen ist, nur Revolution. In einer Karikatur sagte Obama: "Wir geben euch alles, was ihr wollt." Worauf die Republikaner sagen: "Das ist inakzeptabel."

Die Milliardärspartei

Das Verblüffende ist: Warum sind die Rechten in Europa und den USA so erfolgreich? Warum mit einem Programm, das weder funktioniert noch für den Mittelstand bei Licht besehen lukrativ ist?

Der Vorteil der Rechten ist zum Ersten ihre Energie: Schnelligkeit ist die Waffe derer, die lange nachgedacht haben. Aber auch die Waffe derer, die nie nachgedacht haben. Dann, mit Sicherheit, fasziniert der Ton der Härte: Er passt zur Zeit, die als hart erwartet wird. Und schließlich funktioniert der Pakettrick, wie ihn Paul Krugman beschrieb: "Die Rechte redet von Schulgebeten, von Waffenbesitz, Schwulenehe, Wohlfahrtsempfängern, die Mercedes fahren, sie redet von Stolz, dem einfachen Mann, der verbrecherischen Elite und amerikanischen Werten – und wenn sie an der Macht ist, beschließt sie Steuererleichterungen für Reiche."

Tatsächlich senkte George W. Bush an der Macht die Steuern für Reiche und Unternehmen derart, dass ein solider Budgetüberschuss in ein tiefes Minus kippte: Man rechnet mit zwei Billionen Dollar Ausfällen in den letzten zehn Jahren.

Weltkonzerne zahlen oft gar keine Steuern; und von den Superreichen nur die Hälfte den Spitzensteuersatz. Und der ist niedriger als je zuvor. Dabei hat niemand in den drei Jahrzehnten der rechten Politik so profitiert wie die Superreichen: Vor 25 Jahren besaß das reichste Prozent der Amerikaner 33 Prozent des Landes. Heute sind es 40. Noch krasser ist die Situation beim Einkommen: Es verdoppelte sich von 12 auf 25 Prozent des Kuchens.

Die durchschnittliche Mittelstandsfamilie hingegen sackte leicht unter das Niveau von 1980. Für sie waren es drei verlorene Jahrzehnte.

Die Politiker der Rechten reden von Freiheit und vom kleinen Mann, aber sie betreiben das, was Joseph Stiglitz trocken "Sozialismus für Reiche" nannte. Das Resultat ihrer Politik ist unter dem Strich die Oligarchie. Kein Zufall, werden die Parteien, etwa der Tea-Party-Flügel in den USA oder auch die SVP in der Schweiz, von Milliardären geführt.

Was tun?

"Ich vertraue auf die Vernunft. Wir alle sind verantwortungsvolle Leute", sagte Präsident Obama mehrmals vor wichtigen Auseinandersetzungen in seiner Amtszeit. Er sagte es vor der Bankenregulierung. Und vor den jetzigen Defizitverhandlungen. Er irrte sich immer.

Denn es ist ein Fehler der Linken und Liberalen, die heutigen rechten Parteien aus langer Gewohnheit heraus für Politiker zu halten. Es sind nicht mehr die guten alten Konservativen, die sie gegründet haben. Ihr Metier sind nicht Kompromisse, sondern Wahlkämpfe.

Obama, ein ernsthaft praktizierender Christ, glaubte das Gegenteil. Und scheitert deshalb politisch. Die Rechten nahmen der Reihe nach die Arbeitslosenunterstützung, das Konjunkturprogramm und schließlich den ganzen Staat als Geisel. Obama gab jedes Mal nach, kürzte Programme für die Armen und verschonte die Steuerprivilegien der Reichen. Zum Dank beschimpften die Republikaner den Präsidenten als Sozialisten oder islamischen Agenten. Auch die gemäßigten Liberaldemokraten in England, die mit den Tories koalierten, erlebten Ähnliches. Sie wurden von der konservativen Sparagenda überrollt. Auch Obama wurde von seinem Gott verlassen, als er seinen Gegnern die Hand reichte.

Was also tun? Zunächst ist nur klar: Man kann von dieser Sorte Rechten weder als Linker, noch als Liberaler Kompromisse erwarten. Auch kein Nachlassen. Die neue Rechte wird aus der Krise gestärkt hervorgehen: Sie wird gewählt und befeuert von der Angst und dem Hass der Verlierer, die ihre Politik schafft. Es bleibt kein Weg, die neurechte Wir-oder-ihr-Position zu vermeiden. Es wird ein langer, harter, zäher, frucht- und freudloser Kampf.

Das was sich tun lässt, ist den Kopf dabei nicht zu verlieren. Genau hinzusehen und das allgemeine Gerede nicht einfach zu kopieren. Wie nie zuvor regiert die Ökonomie die Welt und ihre Entscheidungen. Und trotzdem besteht sie fast nur aus Jargon. Wenn verhandelt wird, dann fast nur in Schlagworten, die als Universalrezepte verstanden werden. Meist fällt, irgendwie verlängert, der Jahrhundertsatz, den einst Margret Thatcher erfand: "There is no alternative!"

Das ist Lüge: Ökonomie ist keine Wissenschaft, sie ist eine Kunst. Wer hinsieht, weiß: Es gibt keine Situation ohne Alternativen. Und mit Alternativen beginnt jede Politik. Es ist Zeit, die selbst verschuldete ökonomische Unmündigkeit hinter sich zu lassen.

Und drittens dürfen Linke und Liberale nicht mehr eine Krise so verschwenden wie die Bankenkrise. Kein Land hat es geschafft, seine Finanzindustrie in den Griff zu bekommen. Und aus ihr das langweilige, solide Geschäft zu machen, dass es über Jahrzehnte hinweg war.

Gefahr für die Wirtschaft

Es ist Zeit, wieder an den Schöpfer der westlichen Mittelklasse zu denken, den großen amerikanischen Präsidenten Franklin Delano Roosevelt. Er hatte in der finstersten Krise den Mut, die Gesellschaft neu zu denken. Und danach zu handeln. Roosevelt startete gigantische Arbeitsbeschaffungsprogramme, zerschlug Monopole, spaltete Geschäfts- von Investmentbanken und setzte den Spitzensteuersatz auf fast 80 Prozent herauf. Das Resultat war das Zerbröseln der bisher dominierenden Gelddynastien und ihrer Konzerne. Stattdessen entstand eine breite, langweilige, über Jahrzehnte stabile Mittelklasse. Diese schuf nach 1945 den größten Wirtschaftboom der Geschichte.

Dabei riskierte Roosevelt reiche, mächtige Gegner. Am Ende seiner ersten Amtszeit sagte er über die Spitzen von Banking und Business: "Sie hatten sich daran gewöhnt, die Regierung der Vereinigten Staaten als simple Zweigstelle ihrer Geschäfte zu sehen. Aber heute wissen wir, dass eine Regierung des organisierten Kapitals so gefährlich ist wie eine Regierung des organisierten Verbrechens. Nie zuvor waren diese Leute so entschlossen gegen einen Präsidentschaftskandidaten wie jetzt. Sie sind sich einig in ihrem Hass gegen mich – und ich heiße ihren Hass willkommen."

Und – last, not least – sollte man die alten Konservativen ein wenig stärken. Schon um zu zeigen, dass es einst eine kluge, respektable Rechte gab. Es war ein Republikaner, Oliver Wendell Holmes, der sagte: "Ich zahle gern meine Steuern. Mit ihnen kaufe ich mir Zivilisation."

Es lohnt sich, gegen die neue Rechte anzutreten: Sie sind keine konservative Partei, sondern eine revolutionäre. Sie sind eine Gefahr für die Wirtschaft. Sie sind Totengräber der Mittelklasse. Und Verbündete einer neuen Oligarchie des Geldes. Sie sind die Feinde der Zivilisation.

 

<link internal-link>Lesen Sie hier Teil eins

 

Constantin Seibt ist Redaktor beim Züricher "Tages-Anzeiger". Der 1966 in Frankfurt am Main geborene Reporter wurde nach der Veröffentlichung seines Buch "Der Swissair-Prozess" als Schweizer Journalist des Jahres 2007 ausgezeichnet. Sein bemerkenswerter Text erschien bis dato nur in der Schweiz. (Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Autors.)


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1 Kommentar verfügbar

  • Kontextual
    am 29.08.2011
    Antworten
    Sehr geehrte Damen und Herren,

    dieser Beitrag wird dem kontextualen Selbstverständnis dieser Wochenzeitung nicht gerecht. Es genügt nicht, Monokausalitäten zu beleuchten, um die "Feinde der Zivilisation" im Lager der vermeintlich u.s.-amerikanischen Rechten auszumachen. Diese ist derart…
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