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Wohnen ohne dicke Kohle

Wohnen ohne dicke Kohle
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Wohnen muss nicht sündhaft teuer sein – wenn man es gemeinsam tut. Das Mietshäuser-Syndikat unterstützt selbst verwaltete Projekte, die auf Alternativen zum Eigentum setzen. Die meisten gibt es im Häuslesbauer-Land Baden-Württemberg. Aber jetzt droht Gefahr durch das Kleinanlegerschutzgesetz.

Nein, für Feng-Shui-Fanatiker mag er eher nichts sein, der lange, an den Seiten von Regalen, Korbsesseln, Spiegeln, Kommoden und Topfpflanzen gesäumte Flur dieser Zehner-WG. Dafür wirkt er umso lebendiger, was auch für die Wohnküche gilt, deren riesiger Holztisch und der Blick auf den großen Garten zum Verweilen einladen. "Ich liebe diese Küche", sagt Ingo Riethmüller, der in der WG ein Zimmer hat. Das teuerste, wie er sagt. 300 Euro warm im Monat, "auf dem freien Markt wäre es das Doppelte".

Seine WG gehört zum selbst verwalteten Wohnprojekt Schellingstraße in Tübingen, meist nur "Schelling" genannt. Hier wachen die Bewohner selbst darüber, dass die Mieten deutlich unter dem Mietspiegel bleiben, momentan pro Quadratmeter rund 7,20 Euro warm. Über 100 Menschen wohnen in 13 WGs in der ehemaligen französischen Kaserne, Studenten, Angestellte, Arbeiter, Freiberufler und Arbeitslose, Singles und Familien. Darüber hinaus gibt es im Untergeschoss eine Hausbar, einen Infoladen, einen Veranstaltungsraum, einen Proberaum für Bands, einen Umsonstladen für gebrauchte Kleider und die Food-Koop, eine Lebensmitteleinkaufsgemeinschaft.

Riethmüller wohnt seit 30 Jahren in der Schelling und ist damit der Dienstälteste. Seine achtjährige Tochter lebt auch hier, von Anfang an. Als er einzog, studierte der drahtige Pferdeschwanzträger Ethnologie und empirische Kulturwissenschaften, heute arbeitet er als freiberuflicher Kulturmanager, unter anderem für das Landestheater Tübingen. Ein Teil seines Berufs ist aber auch das Wohnprojekt, für das er viel ehrenamtliche Arbeit aufwendet, unter anderem in den Bereichen Verwaltung und Finanzen. Manche Bewohner nennen ihn deshalb die "Seele" des Projekts. Er selbst beschreibt seine Rolle prosaischer: "Ich trage meinen politischen Impetus rein, dass es hier keine private Sache ist, sondern eine gemeinschaftliche." Hier zu leben sei schon dadurch eine Art Widerstand, dass man sich gegen den gesellschaftlichen Mainstream stemme.

Erst besetzt, dann gekauft

Die Anfänge der Schelling liegen, wie bei vielen selbst verwalteten Wohnprojekten, in der Hausbesetzerszene der 1970er- und 80er-Jahre. Nachdem 1980 die französische Armee aus dem Kasernengelände ausgezogen war, wurde es von Studenten besetzt. Nach den Franzosen war der Bund zum Eigentümer des Gebäudes geworden, er verpachtete es an das Studentenwerk Tübingen, das es wiederum wie ein Studentenwohnheim behandelte. Dennoch entwickelte die Schelling bald eigene Strukturen und organisierte sich selbst. Als Ende 1999 bekannt wurde, dass der Bund das Gebäude verkaufen will, entschlossen sich die Bewohner, es selbst zu erwerben. 2004 war es so weit. Dass der Kauf praktisch ohne Eigenkapital gelingen konnte, ermöglichten wesentlich die Beratung und das Konzept des Mietshäuser-Syndikats.

Beim <link http: www.syndikat.org de _blank>Mietshäuser-Syndikat, gegründet 1992 in der Hausbesetzerhochburg Freiburg, handelt es sich um einen bundesweiten Verbund selbst verwalteter Hausprojekte, mit den Ziel, Immobilien dauerhaft dem Markt und der Spekulation zu entziehen und dadurch bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und zu erhalten. Das rechtliche Konstrukt wirkt auf den ersten Blick ziemlich kompliziert: Alle Bewohner eines Wohnprojekts sind in einem Hausverein organisiert und zahlen ihre Mieten an eine Haus-GmbH, deren Gesellschafter der Hausverein und die Syndikats-GmbH als Dachorganisation sind. Gesellschafter der Syndikats-GmbH wiederum ist ein Verein, in dem alle im Syndikat organisierten Hausvereine Mitglieder sind.

In einer solchen Haus-GmbH entscheidet der Hausverein über fast alle Belange alleine, die Syndikats-GmbH als zweite Gesellschafterin tritt nur dann in Erscheinung, falls der Hausverein das Haus verkaufen will. Dann legt sie ihr Veto ein und sorgt dafür, dass die Immobilie Gemeineigentum bleibt. Eine Reprivatisierung ist, anders als bei Genossenschaften, so gut wie unmöglich.

Weil im Syndikatsmodell der Hausverein Eigentümer der Immobilie ist, sind alle Bewohner Mieter und Vermieter zugleich. Wer auszieht, scheidet auch aus dem Verein aus, hat also keinerlei Eigentumsansprüche. Dadurch fällt nicht allein das Ausziehen leichter, es besteht auch keinerlei Anreiz, aus dem Eigentum Gewinn zu schlagen. Riethmüller ist überzeugt: "Bezahlbaren Wohnraum hat man auf Dauer nur, wenn man das Eigentumsprinzip aufgibt."

Erwerb ohne Eigenkapital

Zunächst muss aber erst einmal eine Immobilie für die gemeinschaftliche Nutzung erworben werden. "Das läuft wie bei anderen Projekten auch", erzählt Axel Burkhardt von der Regionalen Koordinationsstelle Mietshäuser-Syndikat Tübingen: "Ein Anteil Eigenkapital, den Rest finanziert die Bank als Kredit." Doch wie finanzieren Menschen, die eher wenig Geld haben, einen Eigenanteil von 20 bis 30 Prozent bei Projekten, wo Erwerb und Instandsetzung Hunderttausende Euro kosten können – oder sogar 2,5 Millionen wie bei der Schellingstraße? Die Lösung sind Direktkredite, die von den Hausprojekten ohne den Umweg über Banken eingeworben werden: Kleinkredite mit sehr kurzer Mindestlaufzeit und frei wählbaren Zinsen, gewährt von Verwandten, Freunden oder einfach Leuten, die sozialen Projekten nahestehen. Aus Sicht der Banken handelt es sich dabei um Eigenkapital.

Die Höhe der Direktkredite bleibt über die Jahre etwa gleich, und durch die Mieteinnahmen wird der Bankkredit nach und nach abgezahlt. Ein Konzept, das offenbar bestens funktioniert. Bislang ist nur eines unter dem Dach des Mietshäuser-Syndikats gescheitert. In jenem Fall habe man laut Burkhardt einem Architekten zu sehr vertraut, "die Kosten lagen dann um das 2,5-Fache höher als erwartet".

Auf solidarische Weise sollen auch solche Risiken abgefedert werden: Um neue Hausprojekte zu unterstützen, gibt es einen vom Syndikat verwalteten Solidarfonds, in den alle Syndikatsprojekte einen kleinen monatlichen Betrag einzahlen, mindestens 10 Cent je Quadratmeter Nutzfläche. Doch Geld sei bei solchen Wohnprojekten meist gar nicht das Problem, sagt Burkhardt, "das Problem sind für viele die sozialen Strukturen". Mehr zusammen zu entscheiden, andere näher an sich herankommen zu lassen, das sei nicht für jeden die richtige Lebensform.

"Menschen, die ganz stark die Kontrolle über ihr Privatleben haben wollen oder die gewohnt sind, dass andere für sie organisieren, für die ist das eher nichts", findet auch Riethmüller. Die Vorteile überwiegen für ihn deutlich: "In einem Projekt wie der Schelling wohnen keine Leute, die viel Geld haben, aber dadurch, dass man viele Dinge zusammen macht und nutzt, hat man einen Lebensstandard, den man sonst allein nicht hätte." Es komme auch vor, dass Leute, die hier wohnen, die Karriere etwas weiter hintanstellen, "weil man hier mit anderen vieles teilen kann. Du kannst dich ein Stück dem Ausbeutungsprozess entziehen."

Schwieriges Pflaster: Stuttgart

Immer mehr Menschen scheinen eine solche Wohnform attraktiv zu finden, zumindest legt dies die steigende Zahl der Mietsyndikats-Projekte nahe. Aktuell gibt es bundesweit 90 Projekte mit Syndikats-Beteiligung, 26 allein in Baden-Württemberg, davon wiederum 13 in Freiburg und vier in Tübingen. Rund 2000 Menschen leben in diesen Projekten, die sehr unterschiedlich aussehen können. So gibt es in Tübingen neben den Groß-WGs der Schelling auch das Vier-Häuser-Projekt mit kleineren Wohnungen, die eher für Familien geeignet sind. Zunehmend werden von Initiativen nicht nur bestehende Häuser gekauft, sondern auch neue gebaut.

Als schwieriges Pflaster gilt dabei Stuttgart. Hier konnte bislang mit dem <link http: www.linkeszentrumstuttgart.org _blank>Linken Zentrum Lilo Hermann in Heslach nur ein einziges Syndikats-Projekt realisiert werden. "In Stuttgart ist auf dem Immobilienmarkt alles zu teuer", sagt Riethmüller, außerdem sei hier praktisch kein Objekt länger als drei Monate auf dem Markt. Zwei große Hindernisse für alternative Projekte.

Im Falle des Linken Zentrums bestand die seltene Situation, dass das Haus zwei Jahre auf dem Markt war und als nahezu unverkäuflich galt. Mithilfe des Syndikats konnte eine Initiative das Haus 2010 kaufen, nach zwei Jahren Renovierung folgte im September 2012 die Eröffnung. Was dieses Projekt von vielen anderen unterscheidet: "Es ist kein reines Wohnprojekt, sondern ein politisches Zentrum, das den Leuten, die politisch aktiv sind, die Möglichkeit gibt, hier auch zu wohnen", sagt Paul von Pokrzywnicki, einer der Initiatoren.

In den beiden unteren Etagen befinden sich unter anderem ein Café, ein Infoladen, ein Veranstaltungssaal und das "Politbüro" – ein Gemeinschaftsbüro für verschiedene Initiativen und Gruppen. Die beiden Etagen darüber bestehen aus WGs für insgesamt sieben Leute.

Darüber hinaus gibt es in der Region Stuttgart auch einige ganz oder teilweise selbst verwaltete Wohnprojekte ohne Anbindung an das Mietshäuser-Syndikat, die sich oft aus Hausbesetzungen entwickelt haben. In Tübingen etwa das Epplehaus und die Münzgasse 13, in Stuttgart die Fabrik Heslach und das Wohnprojekt Hallschlag. Die Fabrik in der Heslacher Mörikestraße ist mit 29 Jahren das älteste bestehende Projekt in Stuttgart. 30 Menschen wohnen in der einstigen Kreidler-Fabrik in sieben Wohnungen, von reinen WGs über Familienwohnungen mit oder ohne Untermieter bis hin zu einer Single-Wohnung.

Die Diplom-Pädagogin Irina Bohn lebt seit elf Jahren hier, mittlerweile mit Partner und Kindern. "Das Projekt ermöglicht uns, als Familie mit drei Kindern in der Innenstadt wohnen zu bleiben", sagt Bohn, "sonst würden wir wohl aufgrund der horrenden ortsüblichen Vergleichsmiete in die Peripherie gedrängt werden." Eigentümerin des Hauses ist heute eine gegründete Stiftung, in deren Kuratorium ehemalige Bewohner und Freunde des Projekts sitzen. Auch wenn keine Anbindung an das Mietshäuser-Syndikat besteht, finden sich in der Satzung analoge Prinzipien: Das Haus darf nicht wieder privatisiert werden.

Akute Bedrohung: Das Kleinanlegerschutzgesetz

So sehr sich die Wohnprojekte vom gesellschaftlichen Mainstream abgrenzen, von wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen bleiben sie nicht unbeeinflusst. "Wir sind Profiteure der Finanzkrise", bekennt Syndikats-Regionalkoordinator Burkhardt. Denn nach dem Höhepunkt der Krise in den Jahren 2008 und 2009 hätten viele Menschen ihre Bankkonten leer geräumt und das Geld entweder zu stärker sozial orientierten Banken wie der GLS Bank oder in Form von Direktkrediten zu Syndikats-Projekten getragen.

Ausgerechnet die unkomplizierte Finanzierungsart über Direktkredite ist allerdings in Gefahr – durch das von der Bundesregierung geplante Kleinanlegerschutzgesetz, eine Folge der Pleite der Windkraftfirma Prokon, bei der rund 75 000 Anleger ihr Geld verloren. Zum Schutz der Kleinanleger sind im geplanten Gesetz eine Reihe von Auflagen vorgesehen, die für jedes Hausprojekt hohe Kosten verursachen würden. Etwa die Pflicht zur Veröffentlichung eines sogenannten Verkaufsprospekts, der detailliert über Gewinne, Verluste, Finanzlage, Vermögenswerte und Ähnliches informiert und gemeinsam mit einer Anwaltskanzlei erstellt werden muss.

Die Kosten eines solchen Prospekts schätzt der Freiburger Stefan Rost, Gründungsmitglied des Mietshäuser-Syndikats, auf rund 50 000 Euro pro Jahr. Die Folge: Die Mieten der Wohnprojekte müssten stark steigen, würden oft wohl über dem Mietspiegel liegen. Laut Riethmüller wäre das Gesetz nicht nur für Syndikats-Projekte verheerend: "Wenn die Bundesregierung das so durchzieht, macht sie einen Großteil des alternativen Sektors platt, ob Ökoläden, Biohöfe, freie Schulen, Kulturzentren." Sie alle sind auf Direktkredite angewiesen.

Wie das fertige Gesetz endgültig aussehen wird, ist noch unklar. Um Änderungen im ursprünglichen Entwurf zu erreichen, hat das Mietshäuser-Syndikat bereits im Oktober das <link http: www.syndikat.org de wirsindnichtprokon _blank>Aktionsbündnis "Wirsindnichtprokon" gegründet und <link https: www.openpetition.de petition online fuer-sinnvolle-ausnahmen-vom-vermoegensanlagengesetz-vermanlg _blank>eine Petition gestartet. Auf die Kritik auch von anderen Seiten hat die Bundesregierung bereits mit einigen Ausnahmeregelungen reagiert, jedoch reichen diese nach Ansicht der Syndikats-Vertreter längst nicht aus. Beispielsweise entgehen nun der Prospektpflicht Projekte bis zu einer Obergrenze von einer Million. Aber was ist heute schon eine Million? Viele Projekte lägen schon jetzt darüber, klagt Riethmüller und verweist auf ein weiteres Kuriosum: Flyer oder Plakate sollen zur Werbung für Direktkredite nicht mehr erlaubt sein, stattdessen müsste in Wirtschaftszeitungen inseriert werden, wo die antikapitalistische Leserschaft mit Sicherheit nicht zu Hause ist.

 

Am 16. März fand vor dem Finanzausschuss des Bundestags eine Expertenanhörung zum Kleinanlegerschutzgesetz statt, bei der auch eine Sachverständige des Mietshäuser-Syndikats geladen war. Die Aufzeichnung kann <link http: dbtg.tv cvid _blank>unter diesem Link angeschaut werden.


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2 Kommentare verfügbar

  • Tranquilo
    am 01.04.2015
    Antworten
    Darum gibt es:

    https://www.openpetition.de/petition/online/fuer-sinnvolle-ausnahmen-vom-vermoegensanlagengesetz-vermanlg
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