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Islam, Bedrohung, Terror

Islam, Bedrohung, Terror
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Terror allerorten? Ob zuletzt in Bremen oder Dresden, ständig werden wir vor Anschlägen gewarnt. Dass damit auch Politik betrieben wird, ist offenkundig. Die Kommunikationspsychologen Nicole Haußecker und Wolfgang Frindte verlangen vor allem mediale Verantwortung.

Herr Frindte, Frau Haußecker, Sie haben sowohl zu "inszeniertem Terror" und zum "Feindbild Islam" geforscht. Zuletzt haben wir in Bremen ein riesiges Polizeiaufgebot erlebt, und am nächsten Tag fand ungehindert ein Bundesligaspiel statt.

Haußecker: Offensichtlich wurde auch in Bremen die Gefahr durch gewaltbereite Islamisten wieder sehr schnell medial verbreitet, ohne konkrete Hinweise auf Quellen zu geben und kontextuelle Einordnungen vorzunehmen. Hinzu kamen Visualisierungen, vor allem in TV-Aufnahmen, die zahlreiche, schwer bewaffnete Polizisten zeigten. Aus medienpsychologischer Perspektive haben solche bedrohlich wirkenden Bilder bei mangelnder Faktendarstellung und Vernachlässigung von Hintergründen Emotionalisierungspotenzial. Das heißt, sie erzeugen eher Ängste beim Rezipienten, als über die bestehende Sachlage zu informieren. Das bestätigt unsere bisherigen Analysen.

Vor Bremen war Dresden. Im Januar hat die dortige Polizei eine Pegida-Demonstration abgesagt. Begründung: ein angedrohter islamistischer Anschlag.

Frindte: Damit kein Missverständnis aufkommt: Ein Risiko besteht zweifellos. Viele Terrorwarnungen werden jedoch dramatisiert und vorschnell in den Medien wiedergegeben. In Dresden wurden keine Belege für eine konkrete Gefahrenlage präsentiert.

Haußecker: Vorschnelle Schuldzuweisungen und Verantwortungszuschreibungen zum islamistischen Terror konnten wir in unseren Fernsehanalysen schon mehrfach nachweisen. Wenn sie sich dann nicht bestätigen, wird das im weiteren Verlauf der Berichterstattung eher beiläufig präsentiert. Die ersten Eindrücke haben sich dann eingeprägt. Das nennt man in der Psychologie auch Primacy Effect. Einmal geschaffene Urteile beziehungsweise Vorurteile sind nicht mehr so leicht aus der Welt zu bekommen.

Frindte: Bei Terrordrohungen und -warnungen ist daher unbedingt eine differenzierte und sorgfältige Darstellung notwendig.

Haußecker: Die Empirie spricht eine ganz andere Sprache. Im Jahr 2013 sind von 152 Terroranschlägen in Europa mehr als 60 Prozent von separatistischen Terrorgruppen in Frankreich, Spanien und Griechenland verübt worden. Sie hatten mit dem Islam nicht das Geringste zu tun. Außerdem ergab unsere Analyse der Nachrichten von ARD, ZDF, RTL und Sat 1 über eineinhalb Jahre hinweg, dass öfters als jeden zweiten Tag in irgendeiner Form über Terror oder Terrorismus berichtet worden ist. Und auch hier stellt sich die Frage der gesellschaftlichen Relevanz: Nicht nur werden Islam und Terror unverhältnismäßig oft im gleichen Atemzug genannt; auch gibt es deutlich größere gesellschaftliche Probleme als den Terror in Europa.

Eine Bekannte berichtete mir jüngst, sie bekäme sofort Angst vor einem Bombenattentat, wenn sie in der Berliner U-Bahn eine Muslima mit Kopftuch sehe.

Frindte: Dieser Zusammenhang ist naheliegend, und wir haben auch empirische Belege dafür, dass die Terrorismusberichterstattung einen sehr starken Islambezug herstellt, über viele Jahre hinweg. Aufgrund einer solchen konsonanten Berichterstattung entstehen beim Rezipienten schließlich die Verknüpfungen: Islam, Bedrohung, Terror die sich immer mehr festigen und entsprechend aktiviert werden, wenn man beispielsweise eine Muslima sieht. Größtenteils stammt das Wissen der deutschen Bevölkerung über Terrorismus aus den Medien.

Unterscheiden Sie zwischen öffentlich-rechtlichem und privaten Fernsehen?

Haußecker: Interessanterweise zeigen unsere Befunde aus zwei Panelstudien im Zeitraum von 2007 bis 2009 beziehungsweise 2010 bis 2012, dass gerade die Menschen, die viel Privatfernsehen konsumieren, stärkere Ängste haben und auch mehr Vorurteile gegenüber Muslimen äußern als die anderen.

Frindte: Hinzu kommt noch die überdimensionierte Berichterstattung über Anti-Terror-Maßnahmen, die 63 Prozent ausmachte. Die Darstellung der Ursachen hat nur ein Bruchteil dessen eingenommen. Das verstärkt die Bedrohungsgefühle, und die werden dann Muslimen zugeschrieben.

Vollzieht sich hier etwas, was der US-Politikwissenschaftler Samuel Huntington als "Kampf der Kulturen" beschreibt? Oder ist auch dieser, um in Ihrer Wortwahl zu bleiben, mehr oder minder "inszeniert"?

Haußecker: Unserer Forschung zufolge stellt es sich so dar, dass häufig von Konflikten zwischen der "westlichen" und der "islamischen" Welt gesprochen wird. Häufig aber sind Muslime selbst Opfer islamistisch motivierter terroristischer Attacken, was deutlich macht, dass die Konfliktlinien auch innerhalb dieser gesellschaftlichen Strukturen verlaufen. Die Ursachen dieser Konflikte sind dabei vor allem politischer, sozialer und ökonomischer Natur. Religiöse Differenzen sind dabei zwar Teil dieser Konflikte, aber nicht deren Kern. Auch hier zeigen unsere Analysen von ARD, ZDF, RTL, Sat 1, dass in 48 Prozent der Terrorismusberichterstattung primär religiös-fundamentalistische Ursachen präsentiert werden. Wenn es zu einer Ursachenanalyse denn überhaupt kommt.

Frindte: "Der Westen" und "der Islam" bilden in vermeintlichen Bedrohungssituationen die kategorialen Grundlagen, um die eigene Gemeinschaft und die "der anderen" in stereotyper Weise zu beurteilen. Die Darstellung eines Konflikts zweier antagonistischer Lager – "der Westen" und "der Islam" – ist vor allem in Deutschland äußerst beunruhigend: Personen, die Muslime generell ablehnen, befürworten auch eher verstärkte militärische Einsätze und verschärfte Sicherheits- sowie Überwachungsmaßnahmen im sogenannten Kampf gegen den Terrorismus. Ihre Ablehnung von Muslimen begründen diese Personen mit den Terrorgefahren, die von den Muslimen und den muslimischen Lebenswelten in Deutschland ausgehen würden.

Was würden Sie raten, zu tun? Was würden Sie ändern, hätten Sie die Macht hierzu?

Frindte: Der französische Philosoph Jean Baudrillard sagte einmal: "Es gibt keine gute Weise des Mediengebrauchs, die Medien sind Teil des Ereignisses, sie sind Teil des Terrors, und sie wirken im einen oder im anderen Sinne." Zweifellos treibt Baudrillard mit dieser Aussage die Medienkritik auf die Spitze. Den Massenmedien kann einerseits kaum die Schuld oder Verantwortung für die zum Teil überzogenen Terrorwarnungen der letzten Jahre zugeschrieben werden. Auf der anderen Seite schaffen sie aber die Voraussetzungen, dass lokale terroristische Ereignisse globale Wirkungen erzielen und ein globales Publikum finden. Moderner Terrorismus ist also auf die Funktion der Verbreitungsmedien angewiesen und spekuliert auf deren Wirkungen. Der Umgang mit diesen Gefahren wird allerdings nicht leichter, wenn die Terrorgefahren und Terrorrisiken in medial inszenierter Weise dramatisiert werden.

Haußecker: Bei aller Unterschiedlichkeit der Sender- oder Pressephilosophien müssen sich Journalisten in der Verantwortung sehen und fragen, welche Effekte sie erzielen. Die Gefahr ist, dass wir all jenen mit großem Misstrauen begegnen, die nicht in unser Raster des deutschen Stereotyps hineinpassen. Dieses Wissen sollten Journalisten ihrer Arbeit immer zugrunde legen. Das wäre dann auch die Mahnung, die wir den Medienmachern ins Stammbuch schreiben möchten.

 

Prof. Wolfgang Frindte ist Leiter der Abteilung Kommunikationspsychologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Dr. Nicole Haußecker forscht dort insbesondere über Krisen-, Kriegs-, Terrorismus- und Extremismusberichterstattung.

Ihr Buch: "<link http: www.springer.com medien book>Inszenierter Terrorismus. Mediale Konstruktionen und individuelle Interpretationen".


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4 Kommentare verfügbar

  • Kornelia
    am 06.03.2015
    Antworten
    Mein zweiter Eindruck ist: der Mensch wird in Europa auf Auseinandersetzung den 'vorbereitet'. Gewalt, Eskalation, Ent-solidarisierung, Action-Boulevardisierung, Ent-Fremdung zwischen Bürger und deren 'Angestellten' etc: die beste und bestialische, da 'von hinten herum', Art die Menschen auf Krawall…
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