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Streit um Täter

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Hinter den Kulissen schwelt ein neuer Konflikt in Korntal. Es geht um die Täterseite der Opferhilfe Korntal, die seit Herbst im Netz steht. Sie störe die Aufarbeitung des Missbrauchs in den Kinderheimen der Evangelischen Brüdergemeinde, heißt es.

Die Opferhilfe Korntal trifft einen Nerv. Das bekommen Peter Meincke und seine MitstreiterInnen zu spüren, seit sie diese Einrichtung im Juli 2014 gegründet haben. Immer wieder hören die Korntaler Bürger, die sich die Unterstützung der Heimopfer zur Aufgabe gemacht haben, dass sie Zwietracht in dem kleinen Ort säen oder einen persönlichen Feldzug gegen die pietistische Glaubensgemeinschaft führen würden. Im Briefkasten der dortigen Musikschule hat Peter Meincke einen anonymen Brief mit Beschimpfungen gefunden. Den Musikschulchef und leidenschaftlichen Klavierspieler kann das nicht schrecken. "Ich führe keinen Privatkrieg gegen die Brüdergemeinde", sagt Meincke, "wir wollen als Korntaler Bürger zeigen, dass wir bei diesem Skandal nicht wegschauen, sondern die ehemaligen Heimkinder ernst nehmen."

Dazu gehört für ihn und seinen Mitstreiter Uli Scheuffele, auf der <link http: www.opferhilfe-korntal.de _blank>eigenen Homepage die Geschichte der Opfer darzustellen – und das ist immer auch eine Geschichte der Täter. "Wir nennen Tatort und Täter, um zu zeigen, dass die ehemaligen Heimkinder keine Lügenmärchen erzählen", sagt Uli Scheuffele, ehemaliger Zivildienstleistender bei der Evangelischen Brüdergemeinde und Unterstützer der Heimkinder. Manche von ihnen kennt er noch persönlich. Die Opferhilfe hat geholfen, das Schweigen zu brechen, jetzt will sie sich nicht den Mund verbieten lassen.

Die Täterseite der Korntaler Opferhilfe sorgt für Wirbel 

Die <link http: www.opferhilfe-korntal.de pages taeter.php _blank>umstrittene Täterseite listet derzeit 15 TäterInnen auf, vom Lehrer über den Stallburschen bis zur Erzieherin. Unter der Überschrift "Täter 7" ist etwa zu lesen: "War bei einem bundesweit tätigen Transportunternehmen tätig und wohnte in der Nähe des Hoffmannhauses. Er war häufiger Gast im Heim und nahm Buben mit nach Hause." Und "Täter 5" war "jahrzehntelang Lehrer an der heimeigenen Schule. Unter dem Vorwand der notwenden "Nachhilfestunden" nahm er Kinder mit nach Hause. ... Täter 5 fuhr damals einen blauen Audi Ro 80". Diese Steckbriefe basieren auf Erzählungen von ehemaligen Heimkindern aus den 50er- bis in die 80er-Jahre. Teilweise liegen auch Erklärungen an Eides statt vor, so ist auf der Seite der Opferhilfe zu lesen. Die Beschuldigten sind anonymisiert, gehört wurden sie nicht.

Pranger oder Aufklärung? Diese Frage sorgt jetzt für Diskussionsstoff. Eine Frau sieht sich als "Täter 10" beschuldigt, hat sich bei Peter Meincke beschwert und der Opferhilfe mit juristischen Schritten gedroht. Nun steht dort zu lesen: "Dieser Eintrag wurde gelöscht, da sich jemand gemeldet hat, der sich betroffen fühlte. Wir gehen davon aus, dass dieser Vorgang im Rahmen der Aufarbeitung geklärt wird."

Mit dieser schwierigen Aufgabe ist seit Anfang des Jahres Mechthild Wolff betraut. Die Professorin aus Landshut wurde von der Evangelischen Brüdergemeinde beauftragt und hat es geschafft, Vertreter der ehemaligen Heimkinder und der Korntaler Pietisten an einem Tisch zu versammeln. In der anschließenden Pressekonferenz am 13. Januar wurden große Pläne verkündet und eine grobe Richtung festgelegt. Seitdem ist die Frau, die einst in Berlin mit am Runden Tisch "Sexueller Kindesmissbrauch" saß, damit beschäftigt, die Pläne zu konkretisieren – und nebenbei Feuerchen auszutreten. "Die Täterseite sorgt für Unruhe und hält uns ab von der Aufarbeitung", sagt Wolff gegenüber Kontext, "wir machen nur noch Krisenmanagement." Die Rolle der Opferhilfe sei wichtig gewesen, um die Aufarbeitung voranzutreiben, nun müsse sie ihre "Rolle im neuen Play" finden. Will sie also die Opferhilfe und damit die Täterseite abschaffen? "Ich bin eine Vertreterin des Selbstvertretungsprinzips", sagt Wolff, "die Betroffenen müssen das selbst entscheiden."

Die Opferhilfe spricht sich mit den Heimkindern ab

Betroffen ist Detlev Zander, der derzeit gemeinsam mit Mechthild Wolff und dem weltlichen Vertreter der Brüdergemeinde, Klaus Andersen, die Sondierungsgespräche führt. Das ehemalige Heimkind im Korntaler Hoffmannhaus kann mit der Unterstützung aus der Korntaler Bürgerschaft gut leben. "Wir von der Interessengemeinschaft der Korntal-Opfer haben der Opferhilfe viel zu verdanken." Und seine Mitkämpferin Martina Poferl verteidigt die Öffentlichkeitsarbeit der Unterstützer vehement: "Die Täter sind doch anonymisiert. Ich bin dagegen, diese Seite abzuschalten." Zumal die Opferhilfe sich in ihren Aktivitäten mit den Heimkindern abspricht.

Betroffen als Institution ist auch die Evangelische Brüdergemeinde, gegen die sich die Vorwürfe richten. "Stört die Täterseite der Opferhilfe den gerade anlaufenden Aufarbeitungsprozess?", wollte Kontext von deren Pressesprecher wissen, "wie kann der Konflikt gelöst werden?" Zur Antwort kam eher Allgemeines als Erhellendes: "Das Feld für eine transparente Aufarbeitung ist also in sehr guter Vorbereitung", schrieb Manuel Liesenfeld. Und weiter: "Auch die Opferhilfe Korntal kann hier ihren Beitrag leisten, indem sie ihre Informationen den Gremien zur Verfügung stellt." Auf die umstrittene Täterseite geht die Stellungnahme nicht ein.

Viele der ehemaligen Heimkinder des Korntaler Flattich- und Hoffmannheims sind schon alt. Manche von ihnen, die erst in späten Jahren von quälenden Erinnerungen überfallen wurden, merken, wie ihre Kraft schwindet. Immer wenn sie über ihre Erfahrungen berichten, müssen sie auch gegen die Hilflosigkeit des gedemütigten Heimkinds ankämpfen. Die Bürgerinnen und Bürger der Opferhilfe Korntal gehörten zu denen, die ihnen nicht nur zugehört, sondern auch Gehör verschafft haben. Der Fall Detlev Zander, der mit seiner Klage gegen die Brüdergemeinde die Vorfälle in den Kinderheimen öffentlich gemacht hat, ist längst kein Einzelfall mehr. Mit der Zahl der Opfer wächst auch die Zahl der Täter. Und die kommen aus den Reihen der Evangelischen Brüdergemeinde oder waren in ihren Heimen beschäftigt. Soll über Tatorte und Täter nun nicht mehr öffentlich gesprochen werden?

Für Mechthild Wolff eine "schwierige Gemengelage". "Aber brauchen wir wirklich noch einen Skandal und noch einen?", fragt die studierte Pädagogin, Theologin und Kinderpsychiaterin und verspricht: "Die Täter werden im Laufe der Aufarbeitung geoutet." Peter Meincke und seine Mitstreiter sehen sich weiter in einer Wächterrolle, die ehemaligen Heimkinder freuen sich über jede Unterstützung, und die Brüdergemeinde schweigt. Wie oft bei Mechthild Wolff das Telefon klingelt, verrät sie nicht. Die Professorin wusste, dass sie einen schwierigen Job übernimmt. Nun ist sie einmal mehr gefordert.


Wie die Demütigungen und die Missbrauchserfahrungen in den Heimen der Evangelischen Brüdergemeinde die Kinder geprägt haben, ist auch ein Thema im "Nachtcafé" am 13. 3. 2015. Als einer der Gäste wird Detlef Zander unter dem Titel "Verfolgt von der Vergangenheit" bei Michael Steinbrecher über seine traumatischen Heimerlebnisse berichten.


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1 Kommentar verfügbar

  • Alexis Alexander
    am 25.02.2015
    Antworten
    Was ist das für eine Aussage....."die Täterseite sorgt für Unruhe und hält uns ab von der Aufarbeitung"???????? Die Opfer sollen wieder mundtot gemacht werden und die Täter geschützt werden hat man den Eindruck.....es scheinen ja noch Täter oder Mitwisser zu leben, die sich vehement gegen eine…
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