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Niere oder Tod

Niere oder Tod
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Mehr als 8000 Menschen warten in Deutschland auf eine Niere. Der schwer kranke Journalist Willi Germund (60) wollte nicht warten. Er hat sich eine gekauft. Von einem jungen Afrikaner und sich das Organ in Mexiko transplantieren lassen. Sein am Wochenende erscheinendes Buch "Niere gegen Geld" ist schockierend.

Willi bei Markus Lanz, neben Jürgen von der Lippe und Til Schweiger. Wie ist er da bloß reingeraten, mit seinen Hochwasserhosen, den viel zu kurzen Socken und der blauen Brille? Willi mag solche Bühnen eigentlich nicht, er ist eher Sand in der Seife. Aber so ist es halt, wenn man ein Buch geschrieben hat, das ein mächtiger Aufreger werden kann, und der Verlag findet, dass lautstark die Reklametrommel gerührt werden muss. Das Buch heißt "Niere gegen Geld" und verdeutlicht im Untertitel, worum es geht: "Wie ich mir auf dem internationalen Markt ein Organ kaufte."

Willi Germund, der Kriegs-und-Krisen-Reporter, ist mein Freund. Ich kenne ihn seit fast 30 Jahren. Er ist kein pflegeleichter Typ.

Der Talkmeister Lanz sagt, was man im ZDF sagen muss. Dass das doch ein moralisch-ethisches Problem sei, so etwas auf dem Schwarzmarkt zu tun, statt sich auf die Warteliste setzen zu lassen. Der Klinikdirektor der Berliner Charité, Johann Pratschke, spricht von einem "knallharten kriminellen Geschäft" und verweist auf das deutsche Transplantationsgesetz, das Organhandel mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft. Die Organspende sei ein "heroischer Akt", fährt der Mediziner fort, "der durch den Organhandel pervertiert wird". Anschließend stellen die beiden Showgrößen von der Lippe und Schweiger ihr neues Buch beziehungsweise ihren neuen Film vor.

Der Reporter kann nicht sein ohne Schreiben

Germund bleibt ganz cool. Ja, er habe eine gekauft, sagt er und begründet warum. Er erzählt, wie ihm beschieden worden ist, dass seine Nieren in zwei Jahren ihre Funktion aufgeben. Danach habe er drei Optionen gehabt: das "Lotteriespiel" auf der Warteliste, die fortwährende Dialyse und den Schwarzmarkt. Er habe sich für Letzteres entschieden, weil er leben und arbeiten wolle. Mit, im Durchschnitt, fünf Jahre warten, mit drei Mal pro Woche Blutwäsche könne er das nicht. Das wäre das Ende für ihn, dessen Leben die Arbeit ist. Er kann nicht sein ohne Schreiben.

Als journalistischer Jungspund ist er 1980, gerade mal 26 Jahre alt, in Managua gelandet. Ein Jahr nach dem Sturz des Diktators Somoza war der Kriegsdienstverweigerer mit dem Rucksack aus Köln angekommen, ein Nobody, aber voller Sympathie für die linken Sandinisten. In Nicaragua war Revolution, und Willi fand tatsächlich Zeitungen, die sich für seine Geschichten interessierten. Unter anderem die "Stuttgarter Zeitung", deren damaliger Auslandschef Joachim Worthmann ihm tapfer die Stange hielt, obwohl er in Germund einen "Sandalisto" vermutete, der ihm den Sozialismus ins Blatt drücken wollte.

Das war wahrscheinlich so falsch nicht, aber der Umgang mit den abgebrühten Kollegen von CNN, BBC und einer adligen FAZ-Reporterin, die sich im Interconti von Managua das Haar mit Mineralwasser benetzte, hat Willi kühler gemacht. Wer ihn dort besuchte, konnte ihn schon mit der Havanna erleben, den Großreporter mimend, die teuren Jeeps des Präsidenten Ortega verspottend, was vor allem aus der deutschen Provinz angereiste Kolleginnen vergrätzte. Für sie war und blieb er das "Ekel von Managua".

Das stimmt natürlich nicht. Höchstens zur Hälfte. Willi konnte auch zum Hummer für einen Dollar einladen und Freunden beim Straßenbau helfen. In Italien haben wir zusammen Wege befestigt, wobei sein Lieblingsplatz die Schubkarre war, in der er Victoryzeichen machen konnte. Also sprechen wir lieber von einer déformation professionelle, die unausweichlich ist in diesem Job. Man würde doch verrückt, verehrte man Daniel Ortega heute noch so wie in seinen Anfangszeiten. Des Präsidenten Revolution ist heute der Panamakanal, den er durch Nicaragua sprengen will.

Ob Südafrika, Ruanda oder Afghanistan – immer an der Front

Da heißt es Abschied nehmen, weiter ziehen, nach Südafrika, wo Nelson Mandela aus der Haft entlassen wurde, das Ende der Apartheid und der Anfang einer Demokratie anstanden. Willi war von 1990 an dabei, erlebte die blutigen Kämpfe am Kap der Guten Hoffnung, aber auch den Völkermord in Ruanda, und bewachte den Tennisplatz des ARD-Korrespondenten in Johannesburg. 1996 wechselte er nach Neu-Delhi, von wo aus er zu seinen Einsätzen nach Afghanistan, Pakistan und in den Irak flog. Als Frontberichterstatter, als der er sich immer verstanden hat. Er musste dort sein, wo es passierte, nicht am Fernseher oder Computer, dem er glauben konnte oder auch nicht.

Seit 2001 sitzt der Rastlose in Bangkok. Klar, dass er einer der ersten war, der über den verheerenden Tsunami 2004 berichtete. Mitten aus den verwüsteten Küstenlandstrichen. Wie er diese Bilder aus dem Kopf kriegt? Darüber hat er nie gesprochen. Genau so wenig darüber, dass er schon als 19-Jähriger gegen Lymphknotenkrebs behandelt wurde, die Milz entfernt bekam und danach beschloss, das Leben als Abenteuer zu begreifen. Noch schweigsamer wurde er in den letzten Jahren, als die Nieren zu sterben anfingen. Als Freiberufler in dem harten Mediengeschäft krank sein – das hätte ihn, bei der Sparwut der Verlage, killen können.

Um so erstaunlicher ist sein Buch. Gut, mutig war der Kerl schon immer, wenn es um seine Geschichten über andere ging. Aber die eigene Geschichte so offen und ehrlich zu erzählen, das hat eine neue Qualität. Die weltweiten Recherchen nach einer Niere, in China, den USA, in Indien, Pakistan, Vietnam, Thailand – das könnte man als Handwerk bezeichnen, das der erfahrene Reporter draufhat. Wir lernen, dass zwischen 60 000 und 100 000 Nieren jenseits der offiziellen Kanäle verpflanzt werden, etwa so viele wie auf dem legalen Weg. Zu Preisen bis zu 250 000 Euro. Aber: So nah dran kann das nur einer schildern, der selbst nach einem Strohhalm sucht.

Raymond verspricht ihm eine richtig gute Niere

Er findet ihn in Afrika, in einem 28-Jährigen, den er Raymond nennt. Vermittelt über einen Agenten, wird der Ort der Transplantation festgelegt. Mexiko, ein Krankenhaus nahe an der Grenze zu den USA. Kosten rund 30 000 Euro, ein Gutteil davon erhält der Spender. Willi, dünn geworden, zwischen Kopfschmerzen und Erschöpfung schwankend, legt schon mal den Friedhof fest, auf dem er, für den Fall des Scheiterns, bestattet werden will.

Mit Raymond, der ihm eine richtig gute Niere verspricht, sitzt er nach den Voruntersuchungen am Hotelpool. Fröhlich erzählt ihm der junge Schwarze, dass er mit dem Geld ein kleines Unternehmen aufbauen will. Die Operation verläuft erfolgreich. Raymond soll es gut gehen, berichtet Willi bei Lanz, nur das Geschäft laufe noch nicht. Er hat mit ihm telefoniert. 

Zuletzt haben wir uns im deutschen Süden getroffen. Es ist ein heißer Sommertag, hier zwischen Wald und Wiesen, am Rande eines Naturschutzgebiets. Willi hat jetzt drei Nieren, zwei kümmern vor sich hin. Er ist, den Umständen entsprechend, ordentlich beieinander. Er spottet wieder, fragt mich wieder, wie in der gemeinsamen Zeit bei der Fußballweltmeisterschaft 1986 in Mexiko: "Schreibst du immer noch wie ein Palästinenser – jede Minute ein Anschlag?"

Der Freund spricht von dem Buch und den Bedenken, die er hat. In seinem langen Berufsleben hat er selbst viele Geschichten über Organhandel geschrieben – und ihn gegeißelt. Er weiß, was ihm künftig alles vorgeworfen werden wird. Moralisch ist der Nierenkauf verwerflich. Juristisch gegen das Gesetz. Politisch desaströs, weil Nachahmer ermuntert und legale Spender noch weniger werden können. Gesellschaftlich brutal, weil wieder mal der Egoismus siegt, Reich über Arm, Geld über Gesundheit entscheidet. 

Alles richtig – und alles relativ, wenn es um das eigene Leben geht. Er bewundere jeden Menschen, sagt Willi, der sich über Jahre die Hoffnung bewahre. Dazu habe er nicht die Kraft gehabt. Je näher es ans Sterben gegangen sei, desto mehr habe sich die Moral entfernt.

 

Das Buch "Niere gegen Geld" ist ab Samstag, 31. Januar, im Buchhandel erhältlich. Es erscheint im Rowohlt Taschenbuch Verlag zum Preis von 9,99 Euro und unter der Fragestellung: "Wie weit würden Sie gehen, um Ihr Leben zu retten?" Am Donnerstag, 29. Januar, veröffentlicht das Magazin "Stern" ein Exklusiv-Interview mit Willi Germund. Laut Verlagsangaben werden "Stuttgarter Zeitung", "Berliner Zeitung" und "Badische Zeitung" mit Vorabdrucken aufwarten. Für sie arbeitet der 60-Jährige regelmäßig.


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22 Kommentare verfügbar

  • Sebastian Pampuch
    am 15.03.2015
    Antworten
    Interessant am Artikel ist, dass er mit Sandinistas, Südafrika usw. die Kämpfe in den ehemaligen Kolonien des Westens thematisiert und Germund als zumindest anfänglichen westlichen Sympathisanten dieser widerständischen Bewegungen beschreibt. Das daraus resultierende Dilemma in Germunds späterem…
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