KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Wunde im Stadtzentrum

Wunde im Stadtzentrum
|

Datum:

Die Geschichte des Kleinen Schlossplatzes liest sich wie eine Kette von Fehlentscheidungen. Bis heute charakterisiert sie die Stuttgarter Stadtplanung. Eine Tagung im Rathaus dazu ruft auf, sich einzumischen.

Die Geschichte des Kunstmuseums beginnt mit einer Panne: Eigentlich hätte der Bau schon zur Wiederwahl des Oberbürgermeisters Wolfgang Schuster im Herbst 2004 fertig sein sollen. Doch ein technischer Defekt führte dazu, dass die Sammlung der vormaligen Galerie der Stadt Stuttgart erst im März 2005 in den Kubus am Schlossplatz einziehen konnte. So verschiebt sich nun auch das Jubiläum – auf den März 2015. Es war nicht die erste Panne in der Geschichte dieses Orts mitten im Zentrum der City.

Alles begann 1963 mit dem Abriss des Kronprinzenpalais, das den Krieg ausgebrannt, aber sonst leidlich gut überstanden hatte. Ganz vorn unter den Befürwortern: Oberbürgermeister Arnulf Klett. "Wertvoller als die beschädigte Fassade der Ruine des Kronprinzenpalais", schrieb er bereits 1951 an den Architekten Paul Bonatz, "ist der lebendige Mensch unserer Zeit und unserer Stadt." Der lebendige Mensch saß im Automobil. Eine "Querspange" sollte die beiden Hauptverkehrsachsen, die Theodor-Heuss-Straße und die Konrad-Adenauer-Straße verbinden: mitten hindurch zwischen dem Alten und Neuen Schloss, über den Schlossplatz.

Das entsprach der Philosophie der Zeit. 1959, vier Jahre vor dem Abriss, war das Buch "Die autogerechte Stadt" von Hans Bernhard Reichow erschienen. 1962 wurde am Charlottenplatz mit dem Bau eines dreigeschossigen, kreuzungsfreien Verkehrsbauwerks begonnen. Die Devise lautete: "Entflechtung der Verkehrsarten." Damit war gemeint: Straßenbahnen und Fußgänger unter die Erde, um für den Autoverkehr oben Platz zu schaffen. Schon seit nationalsozialistischer Zeit war ein Cityring geplant. Allerdings hatten die Nazis die Idee nicht erfunden: Schon 1933 hatte die Charta von Athen unter Federführung des Stararchitekten Le Corbusier die Trennung der Funktionen des Wohnens und Arbeitens mit großen Verkehrs-"Schlagadern" gefordert. Das Besondere an Stuttgart war allenfalls der Eifer, mit dem diese Planungen in der Enge des Talkessels durchgezogen wurden. Bis ins Mark sollte die Stadt autogerecht sein. Dem stand das Kronprinzenpalais im Weg.

Völlig verfehlte Betonbaukunst

Unmittelbar nach dem Abriss in den Sechzigern kamen den Planern indes erste Zweifel. Sie verzichteten zwar nicht auf die Querverbindung, suchten diese jedoch weitgehend in den Untergrund zu verbannen. "1966 bis 1969", urteilt zehn Jahre später der Architekturkritiker Karl Wilhelm Schmitt, "entstand ein Werk der Betonbaukunst mitten in Stuttgart, das sich bei seiner Fertigstellung bereits als völlig verfehlt erwies: der Kleine Schlossplatz." Davor auf der Königstraße verkehrten damals noch Autos und Straßenbahnen, was sich gleich danach ändern sollte: Die Straßenbahnen wurden tief in der Erde vergraben. Die Königstraße wurde unter anfänglichem Protest der Geschäfte, die später davon profitierten, zur Fußgängerzone umgestaltet. Der Eingang zur Unterwelt, unterhalb der Betonplatte, wo wie ein verschämtes Schuldeingeständnis noch ein Fensterbogen des Kronprinzenpalais stehen geblieben war, hatte seine Funktion verloren.

Auch oben auf dem Deckel lief nicht alles wie geplant. Während sich am Ticketschalter der Straßenbahn oft lange Schlangen bildeten, verirrten sich nur wenige in die Läden im hinteren Teil. Max Bächer, einer der Architekten des Bauwerks, organisierte gut besuchte Veranstaltungen. So unternahm Otto Herbert Hajek, der umtriebige Künstler, der so etwas bereits 1966 in Esslingen vorexerziert hatte, eine "Platzbemalung". Nur war es nicht unbedingt die Hautevolee der Kunstsammler und Kulturbürger, die solches goutierte: Es kamen vor allem die damals langhaarigen Jugendlichen, die der Stadt und den Händlern ohnehin ein Dorn im Auge waren. Auf den Kleinen Schlossplatz ging man, um einen Krümel Schwarzen Afghanen zu erstehen. Oder auf den Flohmarkt, der den Händlern angeblich die Kunden wegnahm. Als der dann jedoch auf den Karlsplatz verlegt wurde, wo er bis heute wöchentlich stattfindet, blieb der Kleine Schlossplatz erst recht leer.

So war bereits zehn Jahre nach Fertigstellung Konsens, dass die Betonplatte eine Fehlplanung war. 1982 wurde der erste Architekturwettbewerb ausgeschrieben, der das ändern sollte. Die Galerie der Stadt Stuttgart, bisher ohne Dauerpräsentation im Rundgang der ersten Etage des Kunstgebäudes versteckt, sollte ein eigenes Museum erhalten. Dies scheiterte letztlich nicht nur an Meinungsverschiedenheiten, sondern vor allem am Geld. Die Streitigkeiten waren nicht aus der Welt geschafft, als 17 Jahre später endlich die Entscheidung für den Entwurf der Architekten Hascher und Jehle fiel. Nur eine geniale Lösung zur Finanzierung meinte der damalige Oberbürgermeister Wolfgang Schuster gefunden zu haben.

Die oberen Etagen der Königsbau-Passagen – eine Totgeburt

Die Einnahmen, die den Bau des Kunstmuseums finanzierten, stammten aus dem Verkauf von Aktien der NWS, die erst 1999 durch Fusion der Technischen Werke der Stadt Stuttgart (TWS) mit der Energieversorgung Schwaben (EVS) entstanden war, an die EnBW. Und aus dem Verkauf städtischer Grundstücke. Hascher und Jehle bauten nämlich nicht nur das Kunstmuseum, sondern auch auf dem Gelände hinter dem Königsbau für das Hamburger Nobel-Einrichtungshaus Stilwerk: Es entstand eine vierstöckige Shoppingmall, deren dritte und vierte Etage von Anfang an Probleme bereiteten.

In den oberen Etagen der Mall am Schlossplatz, mittlerweile Königsbau-Passagen genannt, standen nach drei Jahren die Geschäfte leer. Stilwerk gab auf und übergab die Mall an den Marktführer ECE, der sich allerdings im Herbst 2014 mit der Eröffnung des Milaneo, des nunmehr größten Einkaufszentrums in Baden-Württemberg, aus den Königsbau-Passagen zurückzog. In ihren oberen Etagen bleiben diese ein totgeborenes Kind.

Der Entwurf von Hascher und Jehle für das Kunstmuseum sah vor, die ehemalige Tunnelröhre zu nutzen und an die Kante zum Schlossplatz signalhaft einen gläsernen Würfel zu setzen – ähnlich wie in Hamburg, wo Oswald Mathias Ungers den Altbau der Kunsthalle über eine ehemalige Tiefgarage mit dem Kubus der Galerie der Moderne verbunden hatte. Tageslicht gibt es kaum. Ein Oberlichtband auf dem verbleibenden Kleinen Schlossplatz war bald beschädigt und wird nun nach erneut kontroversen Debatten geschlossen. Ein großer architektonischer Wurf sieht anders aus.

Aber auch aus anderen Gründen war der Bau seinerzeit heftig umstritten. Es ging um die Frage, ob das Museum große offene Räume oder viele Wände zur Hängung von Bildern benötigte. Der Direktor der Städtischen Galerie, Johann-Karl Schmidt, hielt das Konzept der Architekten für einen "Haufen Scheiße", wie er im Abspann eines Films von drei Studenten der Merz-Akademie bekennt.

 

"Die Kalte Platte" lautet der Titel dieses exzellenten Films, der die Geschichte des Kleinen Schlossplatzes von allen Seiten beleuchtet. Wieder einmal hatte die Subkultur das ungeliebte Stück städtischen Betons erobert: oben die Kultkneipe Pauls Boutique, unten die Hall of Fame, auch Gaskammer genannt, wo sich Sprayer und Rollerskater austoben durften, ohne Passanten zu belästigen oder durch Graffiti Eigentum zu "beschädigen". Die drei Studenten trauerten dieser Subkultur nach und ließen viele kritische Stimmen zu Wort kommen.

Den Galeriedirektor kostete die unbedachte Äußerung im Abspann des Films seinen Job. Aber er rächte sich, indem er zwei bedeutende Privatsammlungen, die ans Stuttgarter Kunstmuseum hätten kommen können, an andere Häuser vermittelte: Die Kollektion von Otto und Etta Stangl ging ans Franz Marc Museum in Kochel am See. Für das Kunstmuseum besonders bitter war, dass die Sammlung von Alfred Gunzenhauser mit 278 Werken von Otto Dix nach Chemnitz abwanderte.

Tagung "Stuttgart für alle" im Rathaus

Nach wie vor werden in Stuttgart Altbauten abgerissen, Straßen weiter ausgebaut und wichtige stadtplanerische Entscheidungen Investoren überlassen. Damit sich dies ändert und die Planungen nicht immer von oben nach unten durchgepaukt werden, laden die Architekten für K 21, das Aktionsbündnis gegen Stuttgarter 21 und die Gemeinderatsfraktion SÖS/Linke/Plus am 30. und 31. Januar zu einer Tagung ein.

Mit dabei: Hannes Rockenbauch (SÖS), Peter Conradi, die Bezirksvorsteherin Mitte, Veronika Kienzle, und der Stadtplaner Uwe Stuckenbrock. In sieben Workshops geht es um Bürgerbeteiligung, Mobilität, Wohnungsnot und die Privatisierung des öffentlichen Raums. In einem Dokumentarfilmkabinett ist auch "Die Kalte Platte" zu sehen.

 

Die Tagung "Stuttgart für alle. Wohin entwickelt sich unsere Stadt?" findet am 30. Januar 2015 ab 18 Uhr und am Samstag, 31. Januar ab 10 Uhr im Stuttgarter Rathaus statt. Das genaue Programm findet sich <link http: www.architektinnen-fuer-k21.de fileadmin user_upload flyer_staedtebausymposium_jan15.pdf _blank>unter diesem Link.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


13 Kommentare verfügbar

  • thomas w.
    am 28.01.2015
    Antworten
    Die selbsterklärten Ur-Stuttgarter hier - falls sie mehr sein sollten als das Produkt einer schlechten Astro-Turf-Agentur - bestätigen leider, daß der enge Horizont des Talkessels oft auch ein geistiger ist. Und daß Reisen anscheinend nicht immer bildet.

    Was an Stuttgart seit 1950 ff.…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!