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Der grünbürgerliche Block

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Der Mieterverein Stuttgart vertritt 30 000 Mitglieder. Der Vorsitzende ist Rolf Gaßmann (63) – seit fast 30 Jahren. Überraschen kann ihn eigentlich nichts mehr, außer den Grünen, die reden wie der Haus- und Grundbesitzerverein.

Herr Gaßmann, in Stuttgart stehen 3600 Familien in der Notfallkartei, und zugleich stehen Tausende von Wohnungen leer. Das tut richtig weh.

Um es genau zu sagen: Es sind 11 400. Und das ist ein Skandal, gegen den wir als Mieterverein mit aller Kraft ankämpfen. Man muss sich vor Augen halten, dass viele Wohnungen mit erheblichen steuerlichen Subventionen gebaut wurden. Das heißt, dass die Allgemeinheit einen Anspruch auf bezahlbaren Wohnraum hat, vor allem dann, wenn wir, wie in Stuttgart, eine Wohnungsnot haben. Eigentum verpflichtet – so steht es im Grundgesetz.

Ausweislich eines internen Gemeinderatsprotokolls erkennt Oberbürgermeister Kuhn "keinen besonders hohen Wohnungsleerstand".

Das ist falsch. Man muss nur rechnen können. Auf 300 000 Wohnungen kommen in Stuttgart 11 400 Leerstände. Das sind fast vier Prozent, und damit ist es doppelt so viel, wie fluktuationsbedingt als normal angesehen wird. Stellen Sie sich vor, die Stadt würde nur die Hälfte der Leerstände abstellen, hätte sie ihr Ziel, in vier Jahren 6000 Wohnungen zu bauen, allein dadurch nahezu erreicht. Von den unbezahlbaren Mietpreisen in Neubauten wie Milaneo und Gerber will ich gar nicht reden. Hier bezahlen Sie als Mieter Quadratmeterpreisen zwischen 15 und 18 Euro kalt.

Fritz Kuhn sagt, er könne Leerstände nicht mit Strafen belegen, weil dafür die gesetzliche Grundlage fehle.

Das ist Quatsch. Das dazu nötige Gesetz, das den Städten ein Zweckentfremdungsverbot ermöglicht, gilt seit 1. Januar diesen Jahres. Beschlossen von der Mehrheit von Grünen und Sozialdemokraten im baden-württembergischen Landtag. Die Stadt behauptet jetzt, sie müsse darauf warten, bis die Landesregierung festgestellt habe, dass in Stuttgart ein eklatanter Wohnraummangel herrsche. Hier wird die Öffentlichkeit schlicht belogen. Das muss ich so hart sagen. Im Gesetz steht, dass die Kommune ermächtigt wird, exakt dies festzuhalten, weil das niemand besser kann als die Stadt selbst. Der Freibürger Oberbürgermeister Dieter Salomon, auch er ein Grüner, hat das längst umgesetzt. In Tübingen will es Boris Palmer einführen.

Aber sein Kollege Kuhn hat sich doch den bezahlbaren Wohnraum ganz oben auf die Fahne geschrieben. Zumindest im Wahlkampf.

Ich habe den Eindruck, dass der Oberbürgermeister zwar vorgibt, Wohnungspolitik als Chefsache zu betreiben, sich aber nicht wirklich in die Niederungen dieses Themas begeben will. In der Praxis wird Wohnungspolitik von seinem Finanzbürgermeister Michael Föll gemacht, und der hat im Jahr 2001 dafür gesorgt, dass das Zweckentfremdungsverbot in Stuttgart abgeschafft worden ist. Gegen den Widerstand des damaligen Wohnungsamtsleiters Manfred Gann im Übrigen. Zu dieser Zeit war Föll Vorsitzender der CDU-Fraktion und wie so viele ihrer Mitglieder Lobbyist bei Haus & Grund. Daran hat sich nichts geändert.

Dass der Haus- und Grundbesitzerverein Ihre jüngste Plakatkampagne ("Skandal: 11 400 Wohnungen wollen bewohnt werden") geißelt, dürfte Sie nicht überrascht haben. Mit der "Hetzkampagne" diffamierten Sie Hausbesitzer, schimpft sein Geschäftsführer Ulrich Wecker.

Das kenne ich von den Kämpfern für das Eigentum. Überrascht haben mich die Grünen im Stadtrat, die uns eine "unsägliche Kampagne" vorwerfen, mit der "Individuen an einen Pranger" gestellt würden. Was haben wir gemacht? Plakate an Litfaßsäulen geklebt, auf denen sieben Wohngebäude mit Fotos und Adressen zu sehen sind, als Symbole für den skandalösen Leerstand. Wir haben keine Eigentümer genannt, obwohl wir sie kennen. Unsäglich ist nicht derjenige, der auf den Leerstandsskandal hinweist, sondern unsäglich sind jene, die dafür verantwortlich sind beziehungsweise nichts dagegen unternehmen wollen.

Für Insider erkennbar ist die Tübinger Straße 65. Eigentümer ist Dinkelacker. Wissen Sie, warum die Bierbrauer das Haus leer stehen lassen? 

Es ist nicht unsere Aufgabe, hier nachzufragen. Das muss die Stadt tun. Generell sind die Gründe immer die gleichen: Entweder, man lässt ein Haus verfallen, um schneller die Abrissgenehmigung zu bekommen, oder man will es in eine höherwertige Immobilie verwandeln, wenn der letzte Mieter draußen ist. Und dann gibt es noch den sogenannten Wohlstandsleerstand, für den Eigentümer verantwortlich sind, die es einfach nicht nötig haben, zu vermieten oder zu verkaufen.

Gibt es eigentlich viele Hausbesitzer unter den Grünen?

Ich weiß nicht, wie viele es sind. Ich weiß nur, dass mir Silvia Fischer von der Stadtratsfraktion gesagt hat, sie lasse sich in ihrem Eigentum nicht einschränken. Nun nehme ich nicht an, dass sie in ihrem Haus einen Leerstand hat, sondern gehe davon aus, dass das der neue Begriff von Freiheit bei den Grünen ist. Unsere Aktion erscheint ihnen offenbar als Teufelswerkzeug eines Überwachungsstaats.

Eher als Angriff auf die Freiheit der Besitzenden.

Es hat mich schon verwundert, dass die Stuttgarter Grünen die Diktion des Haus- und Grundbesitzervereins übernehmen. Ich kann mir das nur so erklären, dass sie nach Wählern schielen, die sich dort heimisch fühlen. Sie wollen die Eigentümerlobby nicht verprellen. Das könnte allerdings schiefgehen, weil ein Großteil ihrer Wähler Mieter sind, unter dem Mangel leiden und davon profitieren würden, wenn mehr bezahlbarer Wohnraum geschaffen würde. 

"Gegen Wohnungsleerstand hilft nur reden!", sagen die Ratsgrünen.

Das ist vollkommener Unsinn. Da hilft kein reden, da hilft nur handeln. Wenn Fritz Kuhn Tempo 40 an Steigungsstrecken verhängt, wird bei Verstößen auch nicht geredet. Dann wird bezahlt. Als das Zweckentfremdungsverbot in Stuttgart noch galt, also bis 2001, waren 500 Wohnungen pro Jahr mehr auf dem Markt.

Kuhn hätte gerne mit Ihnen, plus Haus & Grund, einen Aufruf gegen den Wohnungsleerstand gemacht, in dem Eigentümer ermuntert werden, mehr Wohnungen zu vermieten. Sie haben abgelehnt.

Wer ein Haus zehn Jahre lang leer stehen lässt, ist nicht allein durch Appelle zum Vermieten zu bewegen. Da braucht es auch die Androhung von Bußgeldern. Ich habe Fritz Kuhn klar gesagt: Wenn das alles ist, machen wir nicht mit. Natürlich kann er diesen Appell zusammen mit den Grundsteuerbescheiden im Januar verschicken, aber er wird erfolglos sein. 

Ihre Partei, die SPD, will den freundlichen Appell zur Freiwilligkeit auch unterstützen.

Nichts dagegen. Unter den Hausbesitzern haben wir oft ältere oder sehr alte Menschen, die mit der Vermietung überfordert sind, sich vor angeblichen Mietnomaden fürchten, die es faktisch kaum gibt. Dann soll die Stadt doch konkrete Hilfsangebote machen, Mietgarantien übernehmen und Wohnungssuchende vermitteln, die auf unseren langen Wartelisten stehen. Aber das ändert nichts daran, dass es ohne Zwang nicht geht. Und hier wackelt die SPD nicht. Sie hat als erste Fraktion schon vor einem Jahr und jetzt erneut, zusammen mit Linken und SÖS, beantragt, das Zweckentfremdungsverbot in Stuttgart einzuführen. Das Verbot ist bislang am bürgerlichen Lager von CDU, Freien Wählern, FDP und den Grünen gescheitert.


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19 Kommentare verfügbar

  • Fred Heine
    am 12.12.2014
    Antworten
    EmmPeh, 11.12.2014 00:59
    Zu: Fred Heine, 08.12.2014 17:06

    Zitat: "O jeh, ein neoliberaler Markt-Prediger aus der Steinzeit. In diesen beiden Punkten stecken so viele falsche Behauptungen und Kurzschlüsse, dass man sich auf das Hase-und-Igel-Spiel einließe, wollte man diese innerhalb derselben…
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