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Breymaier gegen Nahles

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Leni Breymaier ist bekannt für deutliche Ansagen. Die Verdi-Landesbezirksleiterin und stellvertretende SPD-Chefin in Baden-Württemberg stellt sich offensiv gegen ihre Parteifreundin Andrea Nahles. Der Entwurf des neuen Gesetzes zur Tarifeinheit weise "in die falsche Richtung", sagt die Gewerkschafterin: Darin seien "Eingriffe ins Streikrecht" versteckt und Zukunftsfragen blieben auf der Strecke.

In der langen Geschichte der schwierigen Beziehung zwischen Sozialdemokraten und Gewerkschaften, traditionell enge Verbündete, wird gerade ein neues Kapitel geschrieben. Führende Arbeitnehmervertreter lehnen jenen Gesetzentwurf ab, mit dem Arbeitsministerin Andrea Nahles auf die Arbeitsniederlegung unter Lokführer und Piloten reagiert hat und darauf, dass kleine Spartengewerkschaften mit vergleichsweise wenig Aufwand große Wirkung erzielen. "Die Große Koalition ist auf dem falschen Weg", sagt die Gewerkschaftlerin Leni Breymaier schnörkellos. Zwar hätten DGB und Arbeitgeberverbände, als das Bundesarbeitsgericht vor vier Jahren die Tarifeinheit aufhob, gemeinsam von der Bundesregierung eine gesetzliche Klärung verlangt. Wahr sei aber auch, dass beim DGB-Bundeskongress im vergangenen Mai die Forderung nach dem Prinzip "Ein Betrieb – eine Gewerkschaft" ausdrücklich mit einer Absage an alle Eingriffe ins Streikrecht verbunden wurde. Dem entspreche die Vorlage der Arbeitsministerin ganz und gar nicht.

Wer nach einschlägigen Stellen im Referentenentwurf sucht, muss zwischen den Zeilen lesen. "Natürlich steht da nicht drin, wir gehen ans Streikrecht", so die Landesbezirksleiterin. Aber laut Referentenentwurf soll bei kollidierenden Tarifverträgen der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit mehr Mitgliedern im Betrieb gelten. Die anderen würden dazu verpflichtet, entweder inhaltsgleich abzuschließen oder nachzuzeichnen. Das wiederum beraubt nach Einschätzung des Verdi-Bundesvorstands die Minderheitsgewerkschaft der Möglichkeit eigenständigen Verhandelns. "Und vor allem", erläutert die 54-Jährige, "kann sie nicht streiken, weil die Mehrheitsgewerkschaft ja schon Regelungen ausverhandelt hat und ein Streik dagegen nicht verhältnismäßig wäre."

Ein Gespräch mit der Genossin Nahles steht noch aus. Bereits nach Berlin übermittelt ist aber Breymaiers Merksatz "Wir wollen nicht per Gesetz die Lieblingsgewerkschaft der Bundesregierung werden". Mit der Ablehnung stellt sich Verdi auch gegen andere DGB-Gewerkschaften, wie die große und mächtige IG Metall, bei der die Arbeitsministerin selber vor gut zehn Jahren auf der Gehaltsliste stand. Ohnehin hat Breymaier den Verdacht, dass die großen Industriegewerkschaften den Blick der Bundesregierung auf die Arbeitswelt prägen. Wiewohl die Fachleute für den Umgang mit betrieblicher Konkurrenz doch in ihrer Dienstleistungsgewerkschaft sitzen: "Wir sind die mit viel Erfahrung, wir führen die Debatten auf Betriebsversammlungen, wir setzen uns damit auseinander, was das heißt, wenn sich ein Teil der Beschäftigten, wenn sich die Eliten ein größeres Stück vom Kuchen holen. Das sind die wirklichen Herausforderungen – und nicht das Erbsenzählen, wer wie viele Mitglieder hat."

Letzteres ist in den Augen der Kritiker unausweichlich, weil die Große Koalition den Betrieb zum Maßstab für die Bewertung der Kräfteverhältnisse gemacht hat. Die Erfahrung lehrt, dass Arbeitgeber immer versuchen, für sie vorteilhafte Verhältnisse zu organisieren und Ergebnisse auszuhandeln. "Auf diese Weise können Flächentarifverträge unterlaufen werden", warnt die gebürtige Ulmerin, "und eine Konsequenz wäre der permanente Wettbewerb unter Arbeitnehmervertretungen." Verdi sei da oft in einer Position der Stärke, aber das sei nicht zwangsläufig. Auch Verdi könne in eine Positionen der Schwäche geraten: "Etwa, wenn der Marburger Bund in einer einzigen Klinik die Mehrheit hat, dann kann in dieser Klinik der Flächentarifvertrag für den Rest ausgehebelt werden." Mit Tarifeinheit habe so etwas nichts mehr zu tun. Außerdem sei davon auszugehen, dass "das Gesetz bald vor dem Bundesverfassungsgericht landet".

Und die Alternative? Breymaier: "Weiter kämpfen, wir müssen uns politisch mit Sparten- und Elitengewerkschaften auseinandersetzen, wir müssen den Diskurs im Betrieb führen, wir müssen ihn öffentlich führen und auch bei uns intern, und dazu brauchen wir keinen Gesetzgeber." Weiter kämpfen als Lebensmotto, seit sie mit 16 in die Gewerkschaft eingetreten ist. Für Geschlechtergerechtigkeit, zum Beispiel. Irgendwann, erzählen Weggefährten, komme sie in jeder Diskussion auf die gute, alte Zuverdienerinnen-Ehe zu sprechen. Dann zitiert sie den erst 1977 abgeschafften Paragrafen 1356 des Bürgerlichen Gesetzbuchs: "Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist." Ein Beispiel von vielen dafür, dass der Fortschritt eine Schnecke ist, aber eben auch ein Fortschritt.

Manchmal, wenn der Frust übermächtig zu werden droht, schaut Leni Breymaier Werbefilme aus ihrer Kindheit. Aufatmend, weil sich doch so einiges geändert hat. Das dürften gerade Frauen selber nicht kleinreden. Und Gewerkschaften müssten offensiv mit eigenem Erfolg und vor allem den berechtigten Forderungen umgehen. "Wir sehen in den vergangenen Jahren ein wachsendes Verständnis für unsere Positionen, wenn wir Energie darauf verwenden, schon vor Beginn einer Tarifrunde für sie zu werben", berichtet sie nicht ohne Seitenhieb auf die GDL, die sich aus ihrer Sicht nicht sehr darum bemüht hat. Wer wirbt und erklärt, weiß die Gewerkschafterin, bereitet den Boden für ein gewisses Verständnis, wenn es bei den Tarifverhandlungen stockt: "Dass das nicht ewig trägt, ist uns klar, denn wenn Leute Urlaub nehmen müssen, wenn Leute wegen des Streiks beeinträchtigt sind in der Gestaltung ihres normalen Alltags, dann bricht das irgendwann ein." 

Wie das grundsätzliche Verständnis für die Bedeutung von Tarifverträgen oder Streikrecht. Die bekennende Feministin und Richterin am Staatsgerichtshof, dem baden-württembergischen Verfassungsgericht, geht regelmäßig in Schulen. Eben erst war sie in einem Gymnasium, "eine ganze Klasse durfte Gewerkschafterin gucken". Da rede sie "wie eine Exotin aus einer anderen Welt, weil alle durchdrungen sind von den neoliberalen Glaubenssätzen, die wir seit 25 Jahren intravenös verabreicht bekommen haben". Die Schüler und Schülerinnen hätten von anderen Positionen keinerlei Vorstellung.

Gegen diese Haltung anzugehen, findet Breymaier richtig schwierig. Mit Einzelheiten gewerkschaftlichen Lebens oder gewerkschaftlicher Strukturen brauche sie denen gar nicht zu kommen. Zumal nach ihrer Erfahrung Menschen oft erst zum Engagement bereit sind, wenn die Erwerbsarbeit einen wichtigen Teil ihres Lebens ausmacht. Die Gewerkschaften ihrerseits sieht sie in der Pflicht, Probleme früh zu erkennen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse in durchsetzbare Forderungen zu gießen. Das Motto: "Wo wir es schaffen, aus vermeintlich individuellen Fragen kollektive Konflikte zu machen, sind wir erfolgreich."

Ein Megathema in diesem Zusammenhang ist ausdrücklich nicht die Tarifeinheit, sondern die Digitalisierung – wegen der ganz anderen Größenordnungen. "In meinem Traum", bekennt Breymaier, "gelingt es uns klarzumachen, dass Digitalisierung nicht nur aus der Konsumentenperspektive betrachtet werden darf, sondern dass es unsere Aufgabe ist, die Beschäftigtenperspektive in den Mittelpunkt zu rücken." Also müssten die Erträge aus den Produktivitätssprüngen und damit die verbleibende bezahlte Arbeitszeit – "Da geht es nicht um 35 Stunden, sondern um deutlich weniger" – auf so viele Menschen wie möglich verteilt werden. Und wenn nicht? Sie sei keine Pessimistin, aber wenn der durch die Digitalisierung der Arbeit erwirtschaftete Reichtum nicht ordentlich verteilt wird, "dann bekommen wir massenhaft gering bezahlte Arbeit, und das führt zu Massenarmut in einem so reichen Land: Das kann und darf nicht sein".


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12 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 06.12.2015
    Antworten
    Besitzen Andrea Nahles und Leni Breymaier Kenntnisse, die sie befähigen, ihr Anforderungsprofil zu
    erfüllen? – gleich vorweg die Quintessenz NEIN!!

    Wie denn das? Bleiben wir beim angesprochenen Thema 'Tarifeinheit', Gewerkschaft und die SPD, nach
    wie vor als 'gewerkschaftsnah' bezeichnet -…
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