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Man nennt das Meinungsfreiheit

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"Eine Karikatur ist eine Karikatur, und sie karikiert, deshalb heißt sie so." Weise Worte von Winfried Kretschmann zu den Zeichnern Greser & Lenz, die in einem baden-württembergischen Schulbuch aufgetaucht sind – mit einem knurrenden Hofhund namens Erdogan. Der türkische Ministerpräsident war empört, Kontext-Karikaturist Kostas Koufogiorgos ordnet ein.

Mit einer Karikatur kann man scharf schießen. Sie überzeichnet, übertreibt, polarisiert, aber fast immer steckt ein Splitter Wahrheit in ihr, der wehtun kann. Meist dem, der getroffen wurde oder der sich zumindest getroffen fühlt. Wie schmerzhaft das sein kann, zeigen die heftigen Reaktionen, die dann und wann durch den angespitzten Griffel eines Karikaturisten ausgelöst werden. 

Die meisten erinnern sich an den schon sprichwörtlichen Karikaturenstreit, bei dem vor Jahren die Ehre des Propheten Mohammed verteidigt werden sollte, indem ein tobender, Fahnen verbrennender und zum Boykott aufrufender Mob durch die Straßen tobte. Das erleben wir derzeit nicht, aber seit vergangener Woche haben wir wieder einen Karikaturenstreit, der für diplomatische Verwicklungen sorgt. Diesmal fühlt sich zwar nicht der Prophet persönlich angegriffen, immerhin aber der türkische Präsident Erdogan, der sich in einer Zeichnung als Nebenfigur in Gestalt eines zähnefletschenden Kettenhunds karikiert wiederfand.

Er verhilft nun einer bereits 2011 in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" veröffentlichten und nun in einem baden-württembergischen Schulbuch nachgedruckten Karikatur zu spätem Ruhm und ruft das türkische Außenministerium auf den Plan. Dieses will in der Zeichnung "Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" in Deutschland gespiegelt sehen, außerdem die Verunglimpfung des Präsidenten. Genug, um die diplomatische Abwehr in Position zu bringen. Da wird der deutsche Botschafter in Ankara einbestellt und über die entsprechenden Presseorgane Erdogans Unmut über das deutsche Bildungswerk zum Ausdruck gebracht.

Auch wenn eine politische Karikatur nur selten diplomatische Verwicklungen dieser Art verursacht, so hat sie doch die Kraft, Denkanstöße zu geben. Nicht umsonst findet man sie in der Zeitung nicht auf einer der hinteren Seiten mit den illustrierten Witzen, sondern auf der Meinungsseite des Politikressorts, denn sie analysiert einen politischen oder gesellschaftlichen Sachverhalt in gleicher Weise wie der geschriebene Kommentar. Im Gegensatz zu diesem springt die Karikatur jedoch sofort ins Auge, indem sie Satire, Bildsprache und Kommentar kombiniert. Idealerweise eröffnet sie den Einstieg in einen beigestellten, vertiefenden Kommentar zum gleichen Thema. 

Es gibt für mich dreierlei Macharten von Karikaturen: Zum einen jene, die mit journalistischen Argumenten schießen, scharf und präzise, dabei aber weder geschmacklos noch populistisch sind. Zweitens die unbestritten lustig dargestellten Sachverhalte, die dafür aber meist wenig hintergründig und gänzlich ohne Biss daherkommen. Und schließlich die absichtlich populistischen, respektlosen oder auch aggressiven Karikaturen, die auch am ehesten mal unter die Gürtellinie rutschen. So, als sei das Werk nicht auf dem Grafiktablett, sondern auf dem Stammtisch entstanden. Die feine Satire verkommt da leicht zum Boulevard. Man kann einer dieser Kategorien für sich den Vorzug geben oder andere verabscheuen. Man kann über Karikaturen diskutieren oder trefflich streiten, echauffieren muss man sich nicht. Karikatur darf alles. Man nennt das Meinungsfreiheit.

Auch mir als Karikaturisten gefällt nicht jede Karikatur. Meist dann nicht, wenn sie mit Stereotypen überfrachtet ist und jedes noch so abgedroschene Klischee bedient. Die blutsaugende Merkel, wahlweise mit Hitlerbärtchen, Hakenkreuzbinde oder Wehrmachtshelm ausgestattet, die seit einigen Jahren nicht ausschließlich, aber vor allem durch den griechischen Karikaturenwald rauscht, gehört dazu. Genauso wenig halte ich vom Deutschen, der mit seinem guten Geld die allesamt korrupten Griechen finanziert und als Ausgleich zumindest die Überschreibung der Akropolis oder ein paar Inseln fordert. Aus der einen und der anderen Richtung trifft sich hier Populismus vom Feinsten.

Es sei angemerkt, dass ich auch von leitenden Redakteuren berichten kann, die von ihren Karikaturisten verlangen, die populistische Linie der Zeitung zu unterfüttern. Aus diesem Grund habe ich mir in meiner nunmehr über 20-jährigen Laufbahn auch schon die Freiheit genommen, eine Zeitung zu verlassen. Bei einer anderen Gelegenheit rief ein griechischer Kollege in Zeiten der Zypernrettung die "Stallorder" an alle Karikaturisten aus, Merkel gleichzeitig in allen Zeitungen als Attila darzustellen und damit die größtmögliche Verachtung auszudrücken. Ich habe es nicht gemacht. Der Kollege hat mich nie wieder angerufen. Ich kann damit leben.

So wie mir nicht jede Karikatur und Arbeitsweise gefällt, so gefällt naturgemäß auch nicht jedermann jede meiner Arbeiten. Man kann in unterschiedlichsten Kreisen anecken und gern wird man in eine – oft völlig gegensätzliche – Schublade gesteckt.

So wurde ich schon als Nazi beschimpft, weil ich in einer Karikatur eine linksgerichtete Partei kritisiert habe. Umgekehrt bin ich wahlweise ein Kommunist oder eine rote Socke, wenn ich rechtsextreme Kreise aufs Korn nehme. Für beide Seiten bin ich mindestens ein käuflicher Journalist und Teil einer Verschwörungstheorie. Ich rufe in beide Richtungen: "Treffer, versenkt!"

Menschen, die sich durch eine Karikatur beleidigt fühlen, sind häufig fanatisch oder fundamentalistisch oder in irgendeiner Art und Weise komplexbeladen – und fast immer humorlos. In jedem Fall nehmen sie sich sehr wichtig. Wo man Herrn Erdogan einordnen will, möge jeder selbst entscheiden. Vielleicht nur ein Rat an alle, die vorhaben, sich in Zukunft von einer Karikatur beleidigt zu fühlen – ich denke da an Sultane, Diktatoren, Fanatiker und sonstige Spinner: Eine zu heftige Reaktion auf Satire jeder Art ist eine hervorragende und kostenlose Werbung für den Karikaturisten oder Kabarettisten, die ihn nur dazu ermutigen wird, weiterhin in das gleiche Horn zu blasen.

Im Übrigen werden mutmaßliche Respektlosigkeiten und Beleidigungen nicht immer vom Karikaturisten, sondern zuweilen auch vom Betrachter ausgelöst. Als ich einmal von einem Schüler, der eine meiner Karikaturen zu interpretieren hatte, gefragt wurde, was denn der Nazi in meiner Karikatur zu bedeuten hätte, war ich zunächst ratlos – bis ich auf den bräunlichen Anzug meiner Figur hingewiesen wurde, die doch symbolhaft auf den Nationalsozialismus hinweisen müsse.

Dazu kann ich nur sagen: Braun ist eine recht hübsche Farbe, und nicht jeder, der braune Kleidung trägt, trägt eine rechte politische Gesinnung zur Schau. Mit anderen Worten, es war einfach Zufall, und der sollte nicht Auslöser eines Karikaturenstreits sein.

Dies sei all jenen Schülern ein mahnendes Beispiel, die in der Verlegenheit sind, meine Arbeiten interpretieren zu müssen. Sie sind nämlich auch in Schulbüchern des Landes Baden-Württemberg zu finden.

 

Kostas Koufogiorgos (42) lebt seit 2007 in Stuttgart. Der gebürtige Grieche zeichnet für mehrere Zeitungen, aber auch für die Schulbuchverlage Klett, Cornelsen und Westermann.


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5 Kommentare verfügbar

  • omwo
    am 12.01.2015
    Antworten
    Wo fängt der Artikel 1 unseres Grundgesetzes an, und wo hört die Meinungs-/Pressefreiheit auf? Sind nicht vielleicht doch irgendwo Grenzen zu ziehen? Die "Meinungsfreiheit" ist bekanntlich leider auch ein gerne genutzte Phrase von Menschen mit extremistischer Gesinnung.

    Ansonsten Danke für…
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