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Risikoreiches Pforzheim

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Fußgänger verunglücken im Straßenverkehr relativ selten. Erfreulich: Mit am sichersten unterwegs sind sie in baden-württembergischen Großstädten, wie eine VCD-Studie ergab. Mit einer Ausnahme: Die Schmuckstadt Pforzheim ist das gefährlichste Pflaster im Südwesten.

Mehr als jeder vierte Weg wird hierzulande zu Fuß zurückgelegt. Wie sicher Fußgänger dabei in deutschen Großstädten unterwegs sind, untersucht der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) seit Längerem im Fünf-Jahres-Turnus. Der aktuelle "VCD Städtecheck 2014 – Verkehrssicherheit für Fußgänger und Fußgängerinnen" kommt grundsätzlich zu einem erfreulichen Ergebnis: Die langsamsten Verkehrsteilnehmer sind relativ sicher unterwegs. So kamen innerorts in den letzten fünf Jahren durchschnittlich 12 Prozent aller im Straßenverkehr Verunglückten zu Fuß zu Schaden. Die schlechte Nachricht: In 41 der 80 untersuchten Großstädte haben die Verunglücktenzahlen in den letzten fünf Jahren tendenziell zugenommen. Die jeweiligen Städte erhielten auf der "VCD-Städtecheck-Karte" eine rote Ampel.

Schuld an den Unfällen sind oft die anderen Verkehrsteilnehmer. "Fußgänger verunglücken zu über 80 Prozent beim Queren der Straße, und das nicht, weil sie sich fehlverhalten, sondern oft aufgrund falscher Abbiegemanöver oder überhöhter Geschwindigkeit von Autofahrern", nennt Anja Hänel, VCD-Referentin für Verkehrssicherheit, die Hauptunfallursachen. Die Geschwindigkeit zu senken und die Sichtbarkeit von Fußgängern zu erhöhen seien deshalb zentrale Handlungsfelder, um das Gehen sicherer zu machen.

Fehlende Knautschzonen erhöhen Todesrisiko

Vereinzelt zeigten Städte bereits, wie mit wenig Aufwand, zum Beispiel durch Farbmarkierungen, Straßenräume so umgestaltet werden können, dass sie sicherer werden. "Falschparken ist kein Kavaliersdelikt ist, sondern kann für Kinder zur tödlichen Falle werden, weil Kinder hinter den Autos nicht gesehen werden", betont Hänel auch. Die Lösung liege hier nicht in Einzelmaßnahmen, sondern in einem guten Mix aus Baumaßnahmen, Öffentlichkeitsarbeit und regelmäßigen Kontrollen.

Mehr Sicherheit ist gerade bei Fußgängern lebensnotwendig. Denn wenn es zum Unfall kommt, sind die Folgen für die schwächsten Verkehrsteilnehmer meist gravierend: Die Gefahr, bei einem Unfall schwer oder sogar tödlich verletzt zu werden, ist unverhältnismäßig hoch. Mehr als ein Drittel aller im innerörtlichen Straßenverkehr Getöteten waren in den letzten fünf Jahren Fußgänger. "Im Jahr 2013 lag der Anteil sogar bei 40 Prozent", warnen die VCD-Autoren.

Sicher per pedes ist man im bundesweiten Vergleich in südwestdeutschen Großstädten unterwegs. "Im Mittel kommen nur 10,4 Prozent aller im Straßenverkehr Verunglückten, die zu Fuß unterwegs sind, in hiesigen Kommunen zu Schaden", erklärt Matthias Lieb, VCD-Landesvorsitzender in Baden-Württemberg. Allerdings zeigen sich im landesweiten Städtevergleich bemerkenswerte Unterschiede: Das gefährlichste Pflaster für Fußgänger ist die Stadt Pforzheim, als sicheres Fußgängerparadies kann die Freiburg durchgehen.

Kein schmückendes Ergebnis für die Schmuckstadt

In der Gold- und Schmuckstadt an der Enz lag der Anteil aller im Straßenverkehr verunglückten Fußgänger mit durchschnittlich 13,6 Prozent annähernd doppelt so hoch wie in Freiburg, wo im Mittel 7,8 Prozent verunglückten. Zudem liegt Pforzheim als einzige der untersuchten Südwestmetropolen über dem Bundesdurchschnitt. Über den landesweiten Mittelwert von 10,4 Prozent Fußgängeropfern lagen Reutlingen (11,5 Prozent), Heilbronn (11,5 Prozent) und Mannheim (10,6 Prozent). Während in Heidelberg (9,2 Prozent), Karlsruhe (9,3 Prozent), Ulm (9,9 Prozent) und Stuttgart (10,1 Prozent) die Fußgänger sicherer unterwegs waren. Als einzige Stadt im Land ergatterte die sichere Breisgaumetropole Freiburg auch eine grüne Ampel auf der VCD-Karte, weil die Unfallzahlen dort zuletzt sanken.

Den VCD-Vorsitzenden Lieb verwundern die Ergebnisse nicht. "In Pforzheim dominiert der Autoverkehr mit 58 Prozent, während in Freiburg und Heidelberg nur ein Drittel aller Wege mit dem Pkw, dafür zwei Drittel mit Bus, Bahn, Rad oder zu Fuß zurückgelegt werden", erläutert der Verkehrsexperte. "Der Anteil des Autoverkehrs ist in der Tat relativ hoch", bestätigt Joachim Dürr vom Ordnungsamt der Stadt Pforzheim auf Kontext-Nachfrage. Einen Grund dafür sieht der Abteilungsleiter in der örtlichen Topografie. Wegen der Tallage der Stadt mit den Flüssen Enz, Nagold und Würm müsse sich der Verkehr über wenige Brücken wälzen, was zu extrem hohem Verkehrsaufkommen an den zuführenden Knotenpunkten und Straßen führe. "Auch kreuzen sich in Pforzheim drei Bundesstraßen, und die seit langer Zeit eingeforderte Westtangente zur Entlastung steht immer noch nicht zur Verfügung", so Dürr.

Pforzheim gelobt, Gefahrenstellen zu beseitigen

Das Ergebnis des VCD-Städtechecks soll nicht folgenlos bleiben, verspricht Dürr, dass die Verantwortlichen neuralgische Stellen nochmals überprüfen wollen. Einen Schub verspricht sich der Verkehrsplaner durch den neuen Innenstadtring, der in diesen Tagen fertiggestellt ist. Über ihn soll der Durchgangsverkehr um die Innenstadt herumfließen, um dort die Aufenthaltsqualität und die Verkehrssicherheit für Fußgänger und Radfahrer zu optimieren. Verbessern lässt sich dann auch die Sicherheitssituation in der Zerrennerstraße, einer der Haupteinkaufsstraßen der Goldstadt, durch die täglich über 30 000 Kraftfahrzeuge rollen. "Für Fußgänger ist es schwierig, die Straße zu überqueren, nicht zuletzt wegen der breiten Fahrbahnen. Im Verhältnis dazu sind die Gehwege recht schmal, Radwege sind überhaupt nicht vorhanden", schildert Dürr. Im November beginnen die Arbeiten, die Straße zum fußgängerfreundlichen Stadtboulevard umzugestalten.

Für den VCD liegt der Schlüssel für mehr Sicherheit von Fußgängern in den Rathäusern vor Ort, in Händen der Kommunalpolitiker und Verkehrsplaner. Ein Stadtverkehrskonzept, das letztlich den Autoverkehr verringert und den "Umweltverbund" aus Radverkehr, Bussen und Bahnen sowie Fußgängerverkehr fördert, erhöhe die Verkehrssicherheit – und nebenbei auch die Lebensqualität in den Städten, so Lieb. Deshalb unterstützt der VCD etwa auch das Ziel der Stadt Stuttgart, den Autoverkehr um 20 Prozent zu reduzieren. Zwar hätten auch andere Städte wie Pforzheim ähnliche Konzepte in ihren Verkehrsentwicklungsplänen stehen. Doch Papier sei geduldig: Es gelte, diese auch ernsthaft umzusetzen, mahnt Lieb.

Im Internet preist die Stadt Pforzheim bereits den geplanten Stadtboulevard Zerrenerstraße. "Wer als Autofahrer direkt in die Innenstadt möchte, kommt auch weiterhin dorthin. Der Parkring führt Suchende gezielt zu Parkmöglichkeiten", heißt es an erster Stelle, welche Vorteile die Umgestaltung bietet.


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3 Kommentare verfügbar

  • Oli
    am 09.10.2014
    Antworten
    Ich verzichte seit Jahren bewußt auf ein Auto um mich nicht weiter mitschuldig zu machen an der Zerstörung unserer Umwelt (Ölförderung, Feinstaub, CO²), am Töten von Menschen durch Öl-Verteilungskriege (Irak, Kuwait, etc.) oder Unfälle und an der extrem geldgierigen und rückständigen Haltung der…
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Ausgabe 163 / Fünf Kilometer Todesmarsch / Maria Sigg-Huber / vor 14 Stunden 4 Minuten
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