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Stolz auf nix

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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Das oberschwäbische Aulendorf war jahrelang die Kommune mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung in Baden-Württemberg. Dank Millionen vom Land und eisernem Sparen ist das Sorgenkind jetzt aus dem Gröbsten heraus. Die meisten Bürger sind zufrieden. Nun sorgt eine Altlast für neuen Zwist.

Ein Gülleloch also. Ein Gülleloch muss als Vergleich für Aulendorf herhalten. Oben die Kruste, die immer dicker wird, unten die stinkende Masse. So sei das damals gewesen unter den CDU-Bürgermeistern. "Wenn man da drin gerührt hätte, dann wäre das ganz nach oben gegangen. Dann wäre auch der Landrat am Arsch gewesen", sagt Florian Angele, gebürtiger Aulendorfer. Aulendorf sei vor die Hunde gegangen und keiner habe reagiert, auch nicht die Kommunalaufsicht.

Wenn der 36-Jährige vom "Gülleloch" spricht, dann klingt das irgendwie nach "Gilleloach", breitestes Oberschwäbisch eben. Angele ist stellvertretender Zunftmeister der Narrenzunft und damit ungefähr die Nummer drei im Ort nach dem Bürgermeister und dem Zunftmeister.

"Pleitestadt", "Schuldensumpf", "Schwäbisch Griechenland" – die 10 000-Einwohner-Stadt sorgte in den vergangenen Jahren für Schlagzeilen auch in den überregionalen Blättern. Der Ort im oberschwäbischen Nirgendwo, ziemlich genau in der Mitte zwischen Ulm und dem Bodensee, ist landesweit das Sinnbild für kommunale Misswirtschaft geworden. In den Stuttgarter Ministerien wurde das Wort "Aulendorf" bisher wahlweise von einem amüsiert-gequälten Lächeln oder einem Seufzen begleitet. Doch plötzlich scheint alles anders.

Die Zeiten des Aulendorfer "Gilleloachs" sind offenbar vorbei. Die Kommune mit der ehemals höchsten Pro-Kopf-Verschuldung im Südwesten hat aufgeräumt: Das statistische Landesamt sieht sie nur noch auf Platz vier in Sachen Schulden. Das Land hat mit Millionen geholfen. Doch vor allem die Aulendorfer selbst tragen die Last der kommunalen Entlastung. Manche mehr, manche weniger stoisch.

Die Stadt war bis 2008 tief in die roten Zahlen geraten. Damals hatte sie ein Defizit von 63 Millionen Euro – für jeden Aulendorfer umgerechnet rund 6400 Euro Schulden. In der Zwischenzeit haben Bürgermeister und Stadtverwaltung gespart, das Land gab dazu noch rund 25 Millionen Euro – Ende vergangenen Jahres lag Aulendorf noch bei rund 32,6 Millionen Euro Schulden.

Das Innenministerium in Stuttgart, der Gemeindetag und das zuständige Landratsamt in Ravensburg sehen Aulendorf auf dem richtigen Weg: "Die Stadt hat keine Risiken mehr. Das ist jetzt eine ganz normale Stadt", sagt Klaus Hartmann, stellvertretender Leiter des Kommunalamtes. Bürgermeister Matthias Burth (parteilos) sagt: "Wir haben es erreicht, auf eigenen Beinen stehen zu können." Fast alle Altlasten sind abgearbeitet. Nur die Sache mit den Wasseranschlüssen, die sorgt für neuen Ärger.

In der Innenstadt sucht der Besucher vergeblich nach Spuren von vergangenem Luxus, nach Spuren vom Schuldensumpf. Die Hauptstraße sieht aus wie die typische Hauptstraße einer 10 000-Einwohner-Kommune in Oberschwaben: ein paar Geschäfte in gepflegten Häusern, vor einem Bäckerei-Café sind an einem Mittwochmorgen fast alle Tische belegt. "Das Geld ist nicht für uns in den Sand gesetzt worden", sagt Petra Briemle, 60 Jahre alt, Hausfrau. "Wir haben ja keine vergoldeten Gehsteige, keine öffentliche Bibliothek oder Zuschüsse für die Musikschule bekommen."

Ab Ende der 80er-Jahre regierte Bürgermeister Johannes Heinzler über die Stadt. Im schönsten Gebäude an der Hauptstraße, dem Aulendorfer Schloss mit seiner weißen Fassade, dem Tor als Eingang und dem Turm, in dem früher die Grafen zu Königsegg-Aulendorf residierten, sitzt heute noch die Verwaltung. Der CDU-Mann versenkte in den städtischen defizitären Kurkliniken Millionen, die Verluste verschleierte er in privaten Gesellschaften. Verluste entstanden auch beim Betrieb der Therme sowie der Energiezentrale, die Schloss, Kliniken und Therme bis heute mit Strom und Warmwasser versorgt. Im vergangenen Jahr verkaufte die Stadt die Energiezentrale – und trennte sich damit auch von ihrem letzten Problembetrieb.

Unter Heinzler schloss die Stadt Verträge zum Nachteil der Kommune ab. Jahre später tauchte beispielsweise ein Schreiben auf, wonach ein Hotel kostenlos Thermalwasser aus der städtischen Thermalquelle abzapfen durfte. Auch unter Heinzlers Nachfolger Georg Eickhoff, dem früheren Bürochef der baden-württembergischen Ex-Kultusministerin Annette Schavan, ging das Schulden-Drama weiter. 2008 schmiss er den Rathausjob hin.

Der Gemeinderat segnete die Entscheidungen der Bürgermeister ab. Die Kommunalaufsicht ermahnte ab und zu, bürgte aber auch für Kredite. Eickhoff erstattete später Anzeige gegen seinen Parteikollegen Heinzler. Der wurde wegen Untreue zu einer Geldstrafe verurteilt.

Florian Angele ist in Aulendorf aufgewachsen, seine Eltern sind hier aufgewachsen, seine Frau ebenso, seine drei Töchter tun es ihm nach. "Super" findet er das Leben in Aulendorf. "Wir sind stolz auf nix. Das war bei den Aulendorfern schon immer so", sagt Angele und lacht. Gelassen, nicht bitter.

Angeles sitzen auf ihrer Terrasse unter der Markise. Das Paar will in den kommenden Wochen seine neue Brauerei mit Gaststätte in der Säulenhalle gegenüber vom Schloss eröffnen. Auch die hohe Grundsteuer hat sie nicht vom Kauf des Gebäudes abgeschreckt. Aulendorf hat die höchste Grundsteuer im Land: Auf 800 Punkte hat der Gemeinderat den Hebesatz angehoben. Die meisten Kommunen in Baden-Württemberg liegen bei rund 400 Punkten.

Für das Ehepaar war klar, dass sie ihr Bier nicht in einem anderen Ort herstellen wollen. "Es ist auch blöd, ein Aulendorfer Bier woanders zu brauen", sagt Anja Angele. Seit rund sechs Jahren stellen die beiden das "Reibolf" her, "Flobier" von hinten gelesen. Für die Säulenhalle hatten sie zunächst einen Grundsteuer-Bescheid über rund 10 000 Euro erhalten. "Das war richtig unverschämt", sagt die 33-Jährige. Nachdem die beiden Widerspruch einlegten und die Nutzungsfläche neu berechneten, zahlen sie rund 1250 Euro.

Der Verkauf der Säulenhalle an Angeles ist nur ein Zeichen dafür, dass es in Aulendorf vorangeht: Ein ehemals marodes Fabrikgebäude schräg gegenüber vom Schloss leuchtet heute in zartem Gelb. Hier werden nun Senioren gepflegt, in einem der oberen Stockwerke gibt es ein Café. 200 Meter weiter, wo 2009 noch das abbruchreife Parksanatorium stand, sollen demnächst Wohnhäuser entstehen.

Die Stadt hat einen Teil ihrer Grundstücke verkauft und damit in den vergangenen Jahren 4,6 Millionen Euro eingenommen – ein wichtiger Schritt zur Schuldentilgung. Doch den entscheidenden Beitrag für die Entlastung des Haushaltes müssen letztlich die Bürger bringen; nicht nur durch die Grundsteuer, die noch bis ins Jahr 2020 so hoch bleiben wird.

Eine Vorgabe für die Finanzhilfe durch das Land war, dass die Stadt nichts mehr finanzieren durfte, was freiwillig ist: kein Freibad, kein Weihnachtsmarkt, keine Vereine. Ausgaben, die höher waren als 10 000 Euro, musste das Landratsamt in Ravensburg genehmigen. Kredite aufnehmen ist weiterhin verboten. Auf die Angebote verzichten wollten die Aulendorfer trotzdem nicht: "Es findet sich immer einer, der die Lücke schließt, die die Stadt hinterlässt", sagt Edgar Raisch, Bäcker und Vorsitzender des Handels- und Gewerbevereins.

Die Steegefreunde betreiben heute das Naturfreibad Steegersee: Der Verein mit seinen 350 Mitglieder bringt jedes Jahr 15 000 Euro auch durch Arbeitsstunden auf. Den Weihnachtsmarkt veranstaltet ebenfalls ein Verein, die Weihnachtsbeleuchtung stellen die Händler, die wiederum die Feuerwehr für das Aufhängen der Lichterketten bezahlen.

Gespart wird auch bei der Straßenbeleuchtung: Die Laternen gehen schon um 24 Uhr aus – außer in der Fasnet. Anja Angele sagt: "Jeder gute Aulendorfer hat eine Taschenlampe im Sack." Der Winterdienst ist nur noch eingeschränkt tätig. Manche Straßen würden erst nach fünf Tagen Schnee geräumt werden, wenn sich schon Eisplatten bildeten, lästert Florian Angele.

Wenn Angeles von ihrer Terrasse ins Tal schauen, dann blicken sie auf die leer stehende Grundschule. Weil die Wände im Keller zerbröselten, musste die Stadt das Gebäude aufgeben. Zeitweise überlegte die Verwaltung, das Gymnasium zu schließen und die Grundschule in die frei werdenden Räume umziehen zu lassen – aus Spargründen. Letztlich fand sich eine günstige Lösung für einen Neubau. Der Förderverein der Grundschule brachte dazu 100 000 Euro durch Spenden und Arbeitsstunden auf.

Aulendorf kommt sogar deutlich besser mit dem Schuldenabbau voran als geplant. Ende vergangenen Jahres hatte die Stadt nach Aussage des Innenministeriums rund 16 Millionen Euro mehr eingespart als angepeilt. Deswegen hat das Land die Finanzhilfe nun eingestellt. Ursprünglich sollte Aulendorf weitere 14 Millionen Euro bekommen. Die Stadt hat allerdings immer noch eine Pro-Kopf-Verschuldung, die rund vier Mal so hoch ist wie die von Kommunen vergleichbarer Größe.

Die überraschend positive Entwicklung begründet Bürgermeister Burth mit der guten wirtschaftlichen Lage und den höheren Steuereinnahmen. Der Wohnmobilhersteller Carthago, der Anfang 2013 in die Stadt zog, soll zudem rund eine Million Euro Gewerbesteuer einbringen. Die niedrigeren Zinsen auf der Bank drücken die jährliche Belastung durch die Schulden von 2,3 Millionen Euro auf unter 800 000 Euro.

Es läuft also gut. Nur eine Altlast hat die Kommune derzeit noch abzuarbeiten: Aulendorf hat in der Vergangenheit teilweise keine Beiträge für den Wasseranschluss erhoben. Die alte Satzung war nicht gültig. Die Verwaltung kümmerte sich lieber um andere Dinge. Nachdem die Stadt nun eine neue Satzung verabschiedet hat, will sie die Hauseigentümer nachträglich zur Kasse bitten. Es soll Betroffene geben, bei denen es um bis zu 30 000 Euro geht.

Doch so engagiert und leidensfähig viele Aulendorfer sind, so widerborstig können sie auch sein, wenn ihre Schmerzgrenze überschritten ist. Schon auf die ersten 50 Bescheide hin gründete sich eine Bürgerinitiative. Die Betroffenen nahmen sich einen Anwalt, legten Widerspruch ein, klagten und schickten eine Petition an den Landtag. Ursula Schorer, Organisatorin des Widerstands, sagt über das Vorgehen der Verwaltung: "Das hat böses Blut in die Stadt gebracht." Sie argumentiert, dass die Ansprüche längst verjährt seien. Mittlerweile beschäftigt sich auch das Innenministerium in Stuttgart mit dem Thema.

Bürgermeister Burth bleibt trotzdem gelassen, wie üblich in den sechs Jahren seiner Amtszeit. "Zu Beginn war vieles im Detail nicht bekannt", sagt der 44-Jährige emotional sparsam über den Aulendorfer Wahnsinn. Den Wahnsinn, jede Woche einen neuen verrückten Vertrag der Stadt auszugraben, eine weitere Schlamperei der Verwaltung, eine andere Altlast. Dazu muss er die Einsparungen, die Grausamkeiten, wie manche im Ort sagen, den Bürgern verkaufen. Aber er kommt voran, Aulendorf kommt voran. Das "Gilleloach" ist fast ausgetrocknet.


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2 Kommentare verfügbar

  • ursel schorer
    am 06.08.2014
    Antworten
    Schade, das Problem leider wieder nur "am Rand gestreift". Es geht um "Normbindung der Verwaltung" und dies geht alle Kommunen in Ba Wü an nicht nur Aulendorf und Bad Herrenalb ...
    Wann endlich entscheidet der Petitionsausschuss über unsere zu diesem Thema eingereichte Petition, wann endlich…
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