KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Idylle mit Totalschaden

Idylle mit Totalschaden
|

Datum:

In Böblingen hebt sich nach Erdwärmebohrungen der Boden, 190 Häuser bekommen Risse, die Menschen sind verzweifelt und hoffen auf Hilfe durch das Land. Doch das will erst die Schuldfrage geklärt sehen.

Dieter Eger hat Angst. Angst um sein Heim, um sein Vermögen, um seine Altersvorsorge. "Wir wollten uns eine kleine Idylle schaffen", sagt der 56-Jährige. Dabei spricht Eger über sein Einfamilienhaus wie andere über ihre Villa am Comer See. Seit fünf Jahren sieht er nun zu, wie seine kleine Idylle langsam zerfällt.

Nach Geothermiebohrungen hebt sich in Böblingen der Boden. Das Haus von Eger und rund 190 weitere Gebäude haben mittlerweile Risse. Die Schäden gehen in den zweistelligen Millionenbereich. Anfang Juli will nun Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) Böblingen besuchen. Die Betroffenen und der Landkreis fordern schnelle finanzielle Hilfe vom Land.

Vor sechs Jahren wurde bei Egers in der Altinger Straße die Kanalisation neu gemacht. Im Jahr darauf zeigten sich feine Risse im Keller und am Haus. "Schön langsam, so dass man sich erst einmal keine Sorgen macht", sagt Eger. Der Diplomkaufmann und seine Lebensgefährtin gingen davon aus, dass die Schäden von den Kanalarbeiten kamen.

Egers fragten bei den Nachbarn nach, die keine Probleme hatten. Sie schrieben der Stadt, die meinte, dass die Kanalarbeiten nicht der Grund sein könnten. 2011 ließ Eger einen Geologen kommen. Sein Urteil: Die Risse kämen von den trockenen Sommern. Das Paar solle alle Bäume aus seinem Garten entfernen. Eger zahlte 600 Euro für das Gutachten – und wässerte seine Bäume erst einmal ausführlich. Sie zu fällen "habe ich mich dann doch nicht getraut".

Was Eger damals nicht wusste: 2008 und 2009 genehmigte das Landratsamt Böblingen 17 Geothermiebohrungen für acht Häuser in Böblingen, eines davon nur 15 Meter von Egers Heim entfernt. Mit der Wärme aus dem Boden wollten die Grundstückseigentümer ihre Häuser auf Dauer günstig und umweltfreundlich heizen. Die Gungl Bohrgesellschaft aus Renningen bohrte daraufhin bis zu 130 Meter tief in sensiblen Gipskeuper, legte die Sonden und Schläuche und verpresste anschließend die Löcher mit einem Zementgemisch.

Ab 2009 meldeten immer wieder Hausbesitzer bei der Stadt und dem Landratsamt Risse in ihren Gebäuden. Die Behörden sprachen von Einzelfällen. Noch im März 2012 schrieb das Landratsamt an den ebenfalls betroffenen Johann Binder: "Nach unserem Kenntnisstand können Erdwärmebohrungen als Ursache ausgeschlossen werden." Zu diesem Zeitpunkt wuchsen die Risse in Binders Haus, zwei Straßen entfernt von Eger, schon vom Keller bis in das Erdgeschoss.

Eines Morgens kam Eger aus dem Haus. Neben der Tür lag Putz. Das Geländer für die Stufen zum Eingang war von der Wand abgerissen. "Da war einfach die Spannung zu groß." Eger, der 20 Jahre lang sein Haus Stück für Stück selbst renoviert hat, sägte den Handlauf ab und verputzte die Wand.

Der Schwabe Eger ist kein Mensch, der sich schnell aufregt. Er kann mehr als eine Stunde über sein Haus und die Risse referieren, ohne dass er laut wird und ohne dass ihm die Worte fehlen. Nur irgendwann sagt er Sätze wie: "Man lebt in der ständigen Angst, dass etwas Schlimmeres passiert." Da klingt seine Stimme dann doch brüchig.

Die Risse auf den Außenwänden, die sich wie die kahlen Äste von Bäumen nach oben ranken, schmierte Eger regelmäßig mit Acryl zu. Der Anbau fing irgendwann an, sich vom Altbau aus dem Jahr 1952 zu lösen. Mittlerweile ist es ein knapp drei Zentimeter breiter Spalt, den er immer wieder versucht abzudichten. Aber: "Man merkt, es hat keinen Wert." In der Küche wandern die Fliesen auseinander, im ersten Stock zersplittert schon der Boden um den Riss herum.

Im Keller rauscht der Luftentfeuchter zwischen Hometrainer und Tischkicker. Egers wollen durch die Risse nicht auch noch einen nassen Keller bekommen. Im Hobbyraum steht einer von drei Stützpfeilern, die seit Anfang des Jahres das Haus vor dem Einsturz bewahren. An sieben Messgeräten kann Eger ablesen, wie sich sein Heim durch den Druck aus der Erde langsam in seine Einzelteile zerlegt. Nummer sechs zeigt an: Der Riss in der Wand hinter der Eisenstütze ist in zwei Monaten einen Millimeter gewachsen. Der Putz fällt hier schon von der Decke.

Anfang 2013 teilten Landratsamt und Stadt plötzlich mit: Geothermiebohrungen könnten die Ursache für die Schäden sein. Es hatten sich schlicht zu viele Betroffene gemeldet, um weiter von Einzelfällen zu sprechen.

Untersuchungen haben in der Zwischenzeit ergeben, dass sich die Erde in zwei Gebieten über mehrere Straßenzüge hinweg drei bis fünf Millimeter pro Monat hebt. Ein Ende ist nicht in Sicht. Bei bisher fünf der 17 betroffenen Bohrlöcher haben Spezialisten "Hohlräume" entdeckt, wie Dusan Minic, Pressesprecher des Landratsamts, sagt. Die Daten deuteten darauf hin, dass dort Wasser fließe, was wiederum Gipskeuper zum Quellen bringen könnte – eine Erklärung für die Erdhebungen.

Die Kosten für die Untersuchungen trägt die Versicherung der Bohrfirma, wie der Landkreis mitteilt. Zur Höhe der Kosten will sich weder die Bohrfirma noch ihr Anwaltsbüro noch die Versicherung äußern – auch nicht zur Höhe der allgemeinen Versicherungssumme. Dabei zahlt die Allianz bereits heute bis zu drei Millionen Euro an Geschädigte durch eine Geothermiebohrung derselben Firma in Leonberg, ebenfalls im Landkreis Böblingen.

Bis Ende August will das Landratsamt alle Daten der Untersuchungen vorliegen haben. Bis Ende des Jahres könnte das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau ein Gutachten anfertigen. Denn zwar gehen Stadt und Landkreis mittlerweile davon aus, dass die Bohrungen die Hebungen ausgelöst haben. Im Mai hat die Stadt einem Eigentümer sogar die Nutzung seines Hauses "aufgrund von Geothermieschäden" untersagt. Doch bewiesen und damit vor Gericht verwertbar ist bisher nichts.

Nichtsdestotrotz will das Landratsamt umgehend mit der Reparatur der Bohrlöcher anfangen, da sich erst dann der Boden beruhigen und anschließend die Häuser saniert werden können. Das Geld für die Arbeiten an den Bohrlöchern soll das Land vorschießen. "Wir sehen schon das Land in der Pflicht, mit uns für eine gute Lösung zu sorgen", sagt Pressesprecher Minic. Der sechsstellige Betrag für die Sanierungen stelle "eine enorme Summe" dar, die der Landkreis nicht einfach so stemmen könne.

Auch die Betroffenen appellieren an den Minister: "Wir brauchen dringend Unterstützung für die schnellstmögliche Sanierung der Bohrlöcher", sagt Eger, der auch Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Erdhebungen Böblingen ist. Außerdem solle sich das Land für eine schnelle Entschädigung der Hauseigentümer bei der Versicherung der Bohrfirma einsetzen.

Doch das Umweltministerium dämpft bereits im Vorfeld des Ministerbesuchs die Erwartungen: Zunächst müssten alle Untersuchungen abgewartet werden, heißt es aus der Pressestelle. Anschließend müsse ein Zusammenhang zwischen den Bohrungen und den Erdhebungen nachgewiesen werden. Zuletzt müsse geschaut werden, inwiefern die Bohrfirma oder ihre Versicherung in Haftung genommen werden könnten. 

"Wie überall gilt das Verursacherprinzip", sagt ein Sprecher. Böblingen wäre allerdings nicht die erste Stadt mit solchen Problemen, der das Land helfen würde: Im badischen Staufen hebt sich seit Geothermiebohrungen im Jahr 2007 der Boden. 270 Häuser in der historischen Altstadt haben Risse. Das Land Baden-Württemberg stellt nun gemeinsam mit der Stadt und den kommunalen Landesverbänden 30 Millionen Euro für die Betroffenen bereit. Die Schäden werden auf 50 bis 60 Millionen Euro geschätzt.

Als Reaktion auf Staufen verbot das Ministerium im Jahr 2009 zudem Bohrungen in Gips, 2011 verschärfte es die Auflagen für Geothermiebohrungen weiter. Zu spät für Böblingen. Vergangene Woche hat das Landratsamt Böblingen Bohrungen in Gebieten untersagt, in denen auch nur möglicherweise Gipskeuper nahe der Erdoberfläche liegt.

Eger hat derweil Angst, dass die Fassadenplatten von seinem Haus abspringen und sein Dach undicht wird. Er hat Angst, dass die Wasserleitungen in den Wänden die Spannungen nicht aushalten und reißen, dass er auch noch einen Wasserschaden im Keller bekommt. Er hat sich ein Gerät gekauft, welches das Wasser abstellt, wenn es zu schnell, zu lange fließt. "Ich konnte nicht mehr schlafen." Er hat Angst um seine Gasheizung. 

Als "Totalschaden" würden manche Experten sein Haus bezeichnen, erzählt Eger. Er hat seine Versicherung angeschrieben. Als die das Stichwort Geothermiebohrungen hörte, winkte sie nur ab. Nicht versichert, hieß es, nicht versicherbar. Das Haus verkaufen kann Eger auch nicht. Wer will schon ein Grundstück, bei dem sich der Boden hebt? 

"Die Lebensqualität ist dahin", sagt Dieter Eger. "Es gibt keine Perspektive." Sein Leben dreht sich nur noch um die Risse, die Risse in seinem Haus, in seiner kleinen Idylle. Seit vergangenem Jahr fliegt er nicht mehr in den Urlaub, weil er nicht auf einer Insel sitzen und keinen Rückflug bekommen möchte, falls der Nachbar anruft und sagt, mit seinem Haus gebe es ein Problem. Ein neues Problem.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


7 Kommentare verfügbar

  • Zimtstern
    am 27.06.2014
    Antworten
    "Die Daten deuteten darauf hin, dass dort Wasser fließe, was wiederum Gipskeuper zum Quellen bringen könnte – eine Erklärung für die Erdhebungen."

    Das könnte eine Erklärung sein, aber ich glaube nicht, dass es die Einzige ist. Eher musste ich beim Lesen des Artikels sofort an Ettringittreiben…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!