Keine Vorhänge an den Fenstern. Nach außen offen und von außen einsehbar. Das ist gewollt. Die Dreieinigkeit: Arbeit, Leben, Freizeit. Nicht getrennt, sondern gemeinsam unter einem Dach. Das sind in den besten Zeiten über 30 Personen, kunterbunt mit wuseligen Kindern. Nicht auf einem Einödhof, sondern mitten im Dorf, unterm Kirchturm, neben der Genossenschaftsbank tummelt sich dies Völkchen. Bestaunt und beleumundet von den Dörflern, die den Unterhaltungswert offensichtlich zu schätzen wissen. Denn außer über anfängliche Reibereien mit einigen Jugendlichen im Dorf, die sich von der zugezogenen Konkurrenz herausgefordert fühlten, weiß Mike Schmidt von keinen schlechten Erfahrungen zu berichten. Ausdrücklich lobt er sogar die direkte Nachbarschaft für ihre freundliche Aufgeschlossenheit. Aber dass die bürgerliche Fantasie dennoch Seifenblasen produziert und es in der Gerüchteküche schlüpfrig zugeht, ahnt man im Finkhof, ohne sich daran zu stören. "Wissed dia Kendla scho, wer ihr Vadder isch?", fragte nicht böse, sondern nur neugierig die Alte im Emmaladen. "Ein Schlafsaal bedeutet ja noch nicht Gruppensex", meint beschwichtigend Barbara Behrends. Doch auch das ändert sich, und das Einzelzimmer, das inzwischen jeder als Privatraum und Rückzugsmöglichkeit hat, schätzt man als Komfort, genauso wie das 30 Quadratmeter große Gemeinschaftsbad, das es seit einem Anbau 1991 gibt und den Ansprüchen auch heute noch genügt.
Überhaupt ist der Adler eine ständige Baustelle, aber von Anfang an im Besitz der Genossenschaft. Nicht Mieter, sondern Eigentümer, das bringt die Finkhöfler von Beginn an auf Augenhöhe mit den anderen Häuslesbesitzern im Dorf, und kein Vermieter kann Druck ausüben. Eigentum macht frei! Die Finkhöfler sind schon längst angekommen, haben Wurzeln geschlagen, sind als unermüdliche Schaffer anerkannt. Viele sind Handwerker, wissen anzupacken, aber nichts geht ohne Nachdenken. Die permanenten Diskussionen schärfen das Bewusstsein, und das Lernen aus Fehlern führt zum Erfolg. Der lasse sich auch an der "Kreditlinie" der benachbarten Genossenschaftsbank ablesen, stellt Schmidt lapidar fest. Und als am 26. April 1986 das Atomkraftwerk in Tschernobyl hochgeht, sind die Atomkraftgegner vom Finkhof plötzlich die gesuchten Experten im Dorf, obwohl sie vom Fallout genauso wenig Ahnung haben wie der Rest der Nation.
Mit dem Erfolg wachsen auch die Zweifel
Der Öko-Zeitgeist kommt den Finkhöflern entgegen. Die Alternativen sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und der Erfolg gibt ihnen recht. Aber mit dem Wachstum wachsen auch die Zweifel. "Wir zweifeln über uns", heißt es 1991 in der eigenen Chronik, in der zu lesen ist: "Wir haben uns vergrößert, unser Haus platzt aus allen Nähten, mehr als je zuvor bekommt jeder Einzelne zu spüren: Gruppenleben bedeutet nicht nur Vielfalt an Ideen und Fähigkeiten (...) Gruppenleben bedeutet auch Stress, Vielfalt an Problemen und Bedürfnissen." Und der Zweifel nagt: "Haben wir uns mit unserem Betrieb in einer gesellschaftlichen Nische nur bestmöglich eingerichtet? (...) Hat diese Kommune noch eine gesellschaftliche Relevanz, oder ist sie vielleicht schon ein geschliffenes Zahnrad im Getriebe der Gesellschaft?" Macht Eigentum unfrei? Bissige Fragen ans eigene Bewusstsein, die der 60-jährige Mike Schmidt altersweise beantwortet: "Die Gesellschaft hat sich seit den 70ern stark verändert. Was damals revolutionär war, hat jetzt jeder CDU-Ortsverband in seinem Programm stehen."
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FernDerHeimat
am 30.04.2014