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Krieg als Download

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Der Erste Weltkrieg ist im Netz angekommen. Pünktlich zum Jahrhundertjubiläum toben die letzten Materialschlachten des Grande Guerre auf den weiten Feldern des World Wide Web. Die Verkaufsschlager: Verdun als Spektakel und der "Red Baron" zum Runterladen fürs Smartphone. Das große Sterben dient als Dekomaterial für simple Ballerspiele.

Nach einer Forsa-Umfrage interessieren sich 69 Prozent der Deutschen für den Ersten Weltkrieg. Bei den 17- bis 29-Jährigen sollen es sogar 77 Prozent sein, und deren Medium ist nun mal das Internet. Besonders im Web 2.0. wird die Erinnerung an große Siege und das große Sterben vor hundert Jahren neuen Generationen weitergegeben.

Da blickt etwa eine Gruppe Soldaten – feldmarschmäßig, voll bewaffnet – entschlossen in die Kamera. Abschiedsfoto vor der Fahrt an die Front. Das Bild aus dem Reservisten-Album findet sich auf Facebook, dem Flagschiff des Web 2.0. Es gehört zur Fan-Seite des (Königlich-württembergischen) Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 248. Die Soldaten kommen meist aus der Umgebung von Stuttgart. "Der 45-jährige Famillienvater stand neben dem Abiturienten in der Linie", so die dürre Information auf der Seite. "Direkt vom Truppenübungsplatz Münsingen in die erste Flandernschlacht geworfen, stand das Regiment bis zur Auflösung am 9. 9. 1918 an der Westfront, vor Ypern, der Somme, der Champagne, vor Verdun seinen Mann. 78 Offiziere und 2730 Unteroffiziere und Mannschaften des Regiments haben den Krieg nicht überlebt."

Der Facebook-Auftritt soll ein "virtuelles Museum" der schwäbischen Musketiere werden. Noch gibt es außer einem guten Dutzend Fotos nichts zu sehen. Ob und wie sich das ändern wird, hätte man den oder die Betreiber gerne gefragt, allein die (relative) Anonymität im Social Web verhindert den direkten Kontakt; die Anfrage über Facebook bleibt unbeantwortet.

Auch andere Hobby-Historiker beschäftigen sich im Internet mit dem RIR 248, so die Kurzform des sperrigen Namens dieser Einheit. Hinrich Dirksen aus Emden hat in seinem "Forum 14–18" herausgefunden, dass in den Reihen der Soldaten vom Neckar mindestens 30 Ostfriesen den Tod auf dem Felde der Ehre gefunden haben. Rätselhaft. Man stelle sich nur die Sprachprobleme vor. Selbstverständlich sind auch die Gegner der württembergischen Reserveinfanteristen bei Facebook vertreten. Etwa die Royal Scot Fusiliers, britische Berufssoldaten, die im Social Web gleich an beide Weltkriege erinnern.

Alle wollen so ihr kleines Stück Kriegsgeschichte in das digitale Zeitalter hinüberretten. Die Ehrenbücher der Gefallenen, die Regimentsgeschichten sollen den Nachkommen zeitgemäß überliefert werden. Aus grauer Bibliotheken Mauern hinaus ins weite Feld des World Wide Web.

Die Evergreens der vertonten Kriegslyrik finden sich, sorgfältig bebildert, bei Youtube. Da geht es nicht um Geschichte und Information, da soll das Gemüt, sollen die Bauchgefühle angesprochen werden. "Wildgänse rauschen durch die Nacht", unterlegt mit einer Fotomontage deutscher Weltkrieg-eins-Soldaten, marschierend, wachend, kämpfend, ist als Youtube-Video weit über eine halbe Million mal angesehen worden.

Walter Flex hat den Text von den Wasservögeln, die "in Kaisers Namen" "mit schrillem Schrei nach Norden" ziehen, 1915 an der Front im Westen geschrieben. Generationen an Jungmännern mögen den populären Song, der irgendwie schmissig und melancholisch zugleich wirkt. Die Liste der Nutzer ist schier grenzenlos: Bündische Jugend, katholische Jungschar, Fremdenlegion, Hitlerjugend, Pfadfinder, Sozialistische Jugend Deutschlands "Die Falken", Waffen-SS, Wehrmacht, das österreichische Bundesheer, die Bundeswehr, die französische Armee – das Lied vom Zug der Wildgänse ist ein echter Klassiker.

In diesem Youtube-Video mit den Soldaten wird so auch der Krieg zum Klassiker, inklusive Todesahnung:"Und fahr'n wir ohne Wiederkehr, rauscht uns im Herbst ein Amen!" heißt der Refrain der letzten Strophe. Auch ein anderer Megahit soldatischen Liedguts, "Ich hatt' einen Kameraden" (Text: Ludwig Uhland, Musik: Friedrich Silcher – ein Tübinger Erfolgsduo) findet sich mit Weltkriegsbezug bei Youtube. Auf dem deutschen Soldatenfriedhof im belgischen Langemark (44 000 Tote) zeigt ein Video die Bundeswehr in Kampfuniform mit militärischem Gruß stramm stehend, während eine flämische Kapelle auf dem Dudelsack die Melodie vom guten Kameraden darbietet.

Selbstverständlich ist der 100-jährige große Krieg auch auf mobilen Endgeräten, also Tablets, aber vor allem Smartphones, in mannigfaltiger Form präsent als App. Dabei zeigt sich die iOS-Apple-Familie ein klein wenig ziviler als Googles-Android-Playstore, der wohl eher von harten Jungs genutzt wird.

Manche App ist aber auf allen Systemen vertreten. So etwa "Champ de Bataille Verdun". Diese App wurde von der EU mitfinanziert, Herausgeber ist das regionale Tourismusbüro. Aufwendig nachgedrehte Szenen erinnern an die furchtbarste aller Materialschlachten des ersten Weltkriegs, die Schlacht von Verdun mit insgesamt mehr als 700 000 Toten und Verwundeten; am Ende sehen sich die Franzosen als Sieger. Immerhin: In den Dialogen der französischen Soldaten werden die Deutschen "Allemands" genannt und nicht als "Boches" beschimpft, was aber historisch wohl eher richtig wäre.

Diese App ist nur eine Beigabe zur großen Son-et-Lumière-Show, die auch in diesem Sommer in Verdun stattfinden wird. Buchbar mit Schiffsfahrt auf der Meuse (Maas), Rundgang über das Schlachtfeld und Dinner unterm Zelt inklusive, Plätze können online reserviert werden. Es gibt Gruppentarife und sogar ein Köfferchen für die Kleinen: "Dieses lehrreiche und pädagogisch wertvolle Kinderset enthält ein Puzzle, eine Box mit 12 Buntstiften und ein Stickeralbum. Auf den Seiten dieses Heftes lernt Ihr Kind die Schlacht von Verdun auf unterhaltsame Weise kennen." Knapp 400 000 Besucher haben sich diese nicht ganz billige Reise in den Krieg bisher gegönnt.

Diese Art von Schlachtfeldtourismus war bereits kurz nach dem Kriegsende ein gutes Geschäft; es hält – nur durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen – bis heute an. Und im Jubiläumsjahr darf mit einem Boom gerechnet werden. Flandern und ganz Nordfrankreich sind übersät mit Ehrenmalen, Friedhöfen und Museen, die von Nachkommen der Soldaten aus der ganzen Welt besucht werden. Für manche Gegend ist das die wichtigste Stütze der Tourismusbranche. Auch die Veteranen der württembergischen Reserveinfanterie haben jedes Jahr einmal oder gar zweimal eine "Frontfahrt" nach Flandern gemacht.

Ziemlich neu sind dagegen die Spieleapps, die man kostenlos oder gegen eine geringe Gebühr bei Google oder Apple herunterladen kann. Die Download-Hitliste wird von einem internationalen Popstar des Kriegshandwerks angeführt: Rittmeister Manfred Freiherr von Richthofen, der "Rote Baron", im Web meist in der englischen Form "Red Baron". Wobei das Rote am Baron nicht seine politische Gesinnung, sondern die rot lackierten Flugzeuge meint, mit denen der schneidige Kavallerieoffizier 80 Luftsiege errungen hat, bevor er im April 1918 selbst abgeschossen wird. Leider nicht im ritterlichen Duell mit einem Fliegerass der Allierten hoch über den Wolken, sondern vom Maschinengewehr australischer Infanteristen, also Stoppelhopsern – wie der Kommisshumor die Fußsoldaten nennt.

Dieses unstandesgemäße Ende schmälert seinen Nachruhm nicht. Die Briten beerdigen den deutschen Fliegerhelden mit "vollen militärischen Ehren"; sie erfinden auch die werbewirksame Marke "Red Baron", eine Übersetzung des deutschen "Roten Freiherrn". Seitdem geistert der Jagdpilot aus preußischem Adel durch ungezählte Artikel, Bücher, Filme und TV-Dokumentationen in aller Welt. Seine treuesten Fans sind eher unter seinen ehemaligen Kriegsgegnern zu finden, bei Briten und Amerikanern.

Computerspiele mit dem siegreichen Roten Baron gibt es wohl schon seit den 90er-Jahren. Zum Weltkriegsjubiläum sind neue Spiele-Apps für Android und iOS entwickelt worden. Die historische Wahrheit kommt dabei unter die Räder, und die deutschen Dialoge kommen aus der Übersetzungsmaschine: "Der Keiser needs YOU! Hordes of allierten Flugzeuge Schwärmen am Himmel über Flandern. Sie müssen sie stoppen! Gehe in das Cockpit des roten Dreidecker und steigen in den Himmel." Historische Fehler kann die Übersetzungsmaschine nicht tilgen, in Flandern flog der echte Rote Baron nie. Bei einer anderen "Red Baron"-App, die ist noch in der Erprobungsphase, kann man "fliegen, schießen, Bomben werfen". Bomben hat er als Jagdpilot natürlich nicht geworfen.

Auch bei der App "All you can kill – 30 seconds in World War 1" dient der Rote Baron als Vorlage. Schnörkellos wird der Sinn des Spieles so beschrieben: "Ballern, bis der Arzt kommt!" Und das geht ganz einfach: " Neigen Sie Ihr Telefon in die gewünschte Richtung Ihr Flugzeug zu fliegen. Tippen Sie auf die rote Taste, um die Waffen abzufeuern. Beobachten Sie die Temperatur Ihrer Waffe – wenn es zu heiß wird, die Waffe wird nicht weiterkommen." In der Mittagspause auf dem Smartphone ein paar Tommies vom Himmel holen und dann ein französisches Dorf in Schutt und Asche legen.

Ausgerechnet mit dem hochfliegenden Freiherrn sind wir damit am Tiefpunkt angelangt: die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, das große Sterben, als Dekomaterial für simple Ballerspiele. Hoffentlich wird das in wenigen Jahrzehnten nicht alles sein, was vom Ersten Weltkrieg übrig geblieben ist.


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2 Kommentare verfügbar

  • FernDerHeimat
    am 26.02.2014
    Antworten
    Einen guten Morgen erstmal an den Autoren dieses Artikels! Wir schreiben übrigens das Jahr 2014. Und was seit Jahrzehnten für Filme, Comics und Literatur galt, gilt natürlich auch für alle "neuen" Medien.

    Konkret: Kriegsspiele gibt es schon seitdem es Computer, Spielautomaten und Spielekonsolen…
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