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Zaungast bei Uncle Sam

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Wie lebt es sich mit einem US-Stützpunkt in der Nachbarschaft? Marlies Beitz wohnt direkt am Zaun zu den Stuttgarter Robinson Barracks. "Früher haben wir noch gemeinsam gegrillt", sagt sie.

Amerika besteht aus ein paar sauberen und kaum befahrenen Straßen, hellen Wohnblocks und einem Park mit sattgrünen Wiesen. Marlies Beitz ist dort gern spazieren gegangen. Das letzte Mal am 11. September 2001. Als in New York das World Trade Center einstürzte, weidete auf den Wiesen sogar die Schafherde eines Wanderschäfers. Ein Foto von den Schafen klebt in Marlies Beitz' Fotoalbum. Es ist ein Bild aus einer Epoche, in der das Wort "Terror" noch weit seltener gebraucht wurde als heute und die Welt am Stuttgarter Burgholzhof noch bunter und internationaler war.

Marlies Beitz lacht gern und viel, sie trägt fröhliche Blümchenmuster, dazu passende Holzclocks und lebt im fünften Stock eines Mehrgenerationenhauses in Bad Cannstatt. Von ihrem Balkon aus sieht sie den Katzenbuckel im Odenwald, die Schwäbische Alb, eine Menge unverbauter Sonnenuntergänge – "vom Feinsten" sagt Beitz, und den Hinterhof einer Weltmacht: An einem Freitag stehen da ein paar Mülltonnen, Holzkohle-Grills in Winterpause und eine Frau in blauem Anorak samt Kind an der Hand. "Früher haben die deutschen und die amerikanischen Kinder hier noch zusammen gespielt", sagt Marlies Beitz. Mittlerweile verläuft ein grüner Zaun zwischen ihnen, der 2001 unüberwindbar geworden ist. "Als seien wir alle Terroristen", sagt sie. "Aber wenigstens haben sie sich den Stacheldraht gespart." 

Der Zaun verläuft L-förmig nord- und südwestlich unter ihrem Balkon entlang, im Osten geht er weiter, im Westen auch und trifft sich im Norden hinter ein paar majestätischen alten Bäumen. Er markiert die Grenze zu den Robinson Barracks, einem Wohnbezirk für Amerikaner und deren Familien, die an den Militärstandorten in Stuttgart arbeiten.

"Zugeknöpft und ein bisschen hysterisch"

Früher, sagt Beitz, habe man gemeinsam gegrillt, Feste gefeiert, sich unbefangen beim Bäcker und Frisör getroffen, sich freundlich gegrüßt, bei Spaziergängen geplaudert und getratscht. Die Kinder aus den beiden Wohngebieten seien gemeinsam auf einem Hang im US-Gebiet gerodelt. "Nach dem 11. September war das schlagartig vorbei", sagt Beitz. "Plötzlich waren unsere Nachbarn sehr zugeknöpft." 

Anstatt Nachbarschaftsplausch patroullierten Soldaten mit Maschinengewehren den Zaun auf und ab. Military-Police-Autos waren fortan verstärkt unterwegs. Das US-Militär schloss alle Eingänge in das Gelände, bis auf einen Haupteingang, der so weit entfernt lag von Bäcker und Frisör, dass die US-Bürger um die halbe Stadt fahren mussten, um an ihre Brötchen zu kommen. Ein großer Streitpunkt: Die Straße Roter Stich, die Verbindung zwischen dem Stuttgarter Stadtteil Rot und dem Pragsattel, damals zum Teil auf US-Gebiet, sollte im Falle eines "Bedrohungs-Szenarios" geschlossen werden. Wie das "Szenario" ausgesehen hätte, weiß keiner genau, jedenfalls war die Idee vor allem für Anwohner ein Ärgernis und für die Stadt, die der Meinung war, man müsste doch auch die Stuttgarter fragen, wenn man eine Stuttgarter Straße sperrt. "Ich habe großes Verständnis für die Sicherheitsmaßnamen des US-Militärs", sagt Beitz und lässt daran keinen Zweifel. "Aber ab und zu scheinen mir meine Nachbarn doch ein bisschen hysterisch."

Nach vielen Jahren Verhandlung ist der Rote Stich nun deutsch, und mittlerweile gibt es eine elektronische Schleuse, durch die die Amerikaner ihre Sonntagsbrötchen und neuen Haarschnitte vom Burgholzhof tragen können. Sie liegt nur ein paar dutzend Meter entfernt von Marlies Beitz' Balkon. Geblieben aber ist das Gefühl der Fremdheit. Ab und zu gebe es im Gemeindehaus nebenan ein internationales Frühstück, da kämen Türken, Russen, Italiener, aber nur ein einziges Mal sei eine amerikanische Familie dagewesen. "Obwohl die nur wenige Hundert Meter Luftlinie entfernt leben." Der Kontakt, sagt Beitz, sei eher schwierig. Diesseits des Zauns ist eben Stuttgart, jenseits sind die USA.

Gegrillt wird mittlerweile Zaun an Zaun

Auf der einen Seite sind die Busse grau, auf der anderen sind sie gelb. Auf der einen Seite sind die Häuser bunt, ein Neubaugebiet für junge deutsche Familien, auf der anderen Seite sind sie weiß, für junge amerikanische Familien. Diesseits steht ein bedauernswert einsames Schaukeltier auf einer Sprungfeder, jenseits liegen zwei Luxus-Spielplätze mit Kletterhäusern, Türmen und Sandlandschaft. Die deutschen Kinder, sagt Beitz, stünden oft mit großen Augen am Zaun und wünschten sich nach jenseits. Auf den Spielplatz im Sommer, auf den mittlerweile unerreichbaren Rodelhang im Winter.

Vor einiger Zeit habe eines der deutschen Diesseits-Kinder ein Hasenbaby bekommen und sei damit zum Zaun gelaufen, weil die jenseitigen US-Kinder auch mal streicheln wollten. Sofort seien die US-Eltern erschienen und hätten die Kinder weggezogen. Völlig unnötig und überzogen, sagt Beitz und ist der festen Überzeugung: "Der beste Schutz gegen Gefahren aller Art ist doch eine gute, vertrauensvolle Nachbarschaft." 

Im Sommer grillen die Grenznachbarn manchmal Zaun an Zaun. Barbecue und Spareribs in Amerika, rote Würstchen und Schweinehals in Deutschland. "Wenn diese leckeren Barbecue-Schwaden dann durch den Zaun rüberwehen", sagt Marlies Beitz, "fühlt es sich fast an, als sei alles wie früher."


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1 Kommentar verfügbar

  • R.Ebell
    am 15.02.2014
    Antworten
    Es ist schon sehr befremdlich was heute hinter diesen Zäunen abgeht.
    Hier entsteht der Eindruck, dass die amerikanische Armee ihre Besatzungs
    rechte wieder ernst nimmt und sich wie von Feinden umgeben fühlt.
    Diese Burgmentalität steht ganz im Gegensatz zum offiziellen Bild welches
    von den…
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