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Der Traum vom ewigen Leben

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Zum Eisblock gefrieren und wieder zu neuem Leben auftauen: So stellen sich Kryoniker ihre Zukunft vor. Klaus Sames ist einer von ihnen. Der Anatomieprofessor hofft, dass diese Science-Fiction für ihn irgendwann Wirklichkeit wird.

Brustkorbsäge, Motor und Schläuche stehen schon bereit – was fehlt, ist eine Versuchsperson. Foto: Ana-Marija Bilandzija

Klaus Sames hat einen Traum: Ein millimetergroßes Gerät wandert durch die Luftröhre in die Lunge seines taufrischen Körpers. Dreihundert Jahre lang hing er kopfüber in einem Edelstahltank, eingefroren bei minus 196 Grad und mit Frostschutzmittel in der Blutbahn. Was soll das Staubpartikel hier? Die Lampen neben dem Patienten leuchten rot auf. "Eliminieren", zeigt ein Bildschirm an. Grünes Licht. Noch ein paar Millionen Zellen müssen repariert werden, dann beginnt Sames' zweites Leben.

"Über die Zukunft herumzuspinnen macht Spaß", findet Klaus Sames. Ob diese Science-Fiction einmal Wirklichkeit wird?

Kryos ist griechisch und bedeutet Frost. Kryoniker sind Menschen, die sich nach dem Tod einfrieren lassen in der Hoffnung auf ein zweites Leben. In drei-, vierhundert Jahren, wenn die Biotechnologie so weit ist, so hoffen sie, kann man ihre Körper mithilfe von Nanotechnologie verjüngen und Schäden reparieren. Weltweit gibt es drei Institute, die Patienten in Stickstofftanks lagern: zwei in den USA und eines in Russland. Klaus Sames' kühles Zwischenlager steht in Detroit, USA. Dort kümmert sich ein Ingenieur um alles, vom Einfrieren bis zur Lagerung. 28 000 Dollar bezahlt der Ulmer Kryoniker für den Tank, plus Transportkosten.

Um den Transport zu erleichtern, will der Professor die Technik nach Deutschland bringen. Seine Instrumente: Herz-Lungen-Maschine, Brustkorbsäge und destilliertes Wasser. Sein Unterstützer: ein Balsamierer, dem er Nachhilfe in Sachen Kryonik gibt. Ihr Ziel: das Blut der Patienten schon in Deutschland durch Frostschutzmittel auszutauschen. Oder, noch besser: es zu vitrifizieren, in eine Kältestarre zu versetzen. 

Klaus Sames ist 73 Jahre alt und wohnt bei Ulm. Sein Arbeitszimmer ist ein kleines Museum: Fossilien, Totenschädel, Bildbände, wohin man schaut. Unter seiner Trachtenjacke lugt ein hellblaues Hemd hervor, glattes, weißes Haar streift die Schultern. Schon als Kind beschäftigte er sich mit dem Tod. Sein Vater war Pfarrer, die Mutter fromm, alle Bekannten religiös. Bis 20 sucht er Halt in der Religion, studiert vier Semester lang evangelische Theologie. "Da gab es noch den Himmel zu gewinnen", sagt er heute. Doch er fand keine Antwort auf seine wichtigste Frage. Warum sterben? 

An allen Fronten kämpft Sames gegen das Alter

"Dann dachte ich mir: Mal gucken, was die Wissenschaft dazu sagt." Aus seinen Augen spricht immer noch die Neugierde eines Kindes. Sames studiert Medizin, wird Professor, lehrt in Hamburg Anatomie. Als Gerontologe untersucht er Zellen, Moleküle und Techniken. Sein Fazit: "Die ganzen Forschungsergebnisse verstellen den Blick. Die Nanotechnologie ist unsere einzige Chance." Er entdeckte die Kryonik. Als er 1994 den Vertrag in Detroit unterschreibt, ist der 73-Jährige "unheimlich erleichtert". Es ist sein letzter Angriff auf den Tod. "Ich hatte immer einen Hang zu unmöglichen Vorhaben", sagt der Gelehrte. Und zur Ruhelosigkeit. Ein riesiges Poster prangt über seinem Sofa – zwei Nilpferde beim Kampf. Es geht um Leben oder Tod. 

Robert Ettinger war einer der ersten Kryoniker. Das Buch "Die Aussicht auf Unsterblichkeit" machte den US-Amerikaner 1962 berühmt. Seine beiden Ehefrauen ruhen in Stickstofftanks; seit 2011 leistet er ihnen Gesellschaft. Die meisten der weltweit etwa 1500 Kryoniker sind Amerikaner. In Deutschland sind es etwa fünfzig Menschen, oft Naturwissenschaftler, meist männlich.

2004 hat alles angefangen. Klaus Sames erinnert sich: "Da waren wir zu dritt." Zwei Jahre später gründet er die Deutsche Gesellschaft für angewandte Biostase. Zur Kryonik überreden will er niemanden, anders als manche Kollegen. "Kryoniker sind sehr unverträgliche Leute – jeder denkt, er hätte die beste Idee." Dass auch ihn viele für einen Querulanten halten, weiß er. Damit kann er gut leben. Weniger gut damit, dass er viele seiner Ideen nicht umsetzen kann: weil Geld fehlt, etwa für den Aufbau eines deutschen Instituts, und das Friedhofsrecht sagt, dass Leichen auf den Friedhof und Urnen auf den Urnenhof gehören. 

Als Anatomieprofessor weiß Sames genau, worauf er beim Einfrieren von Menschen achten muss. Foto: Ana-Marija BilandzijaDas Wort "Spinnerei" nimmt Sames oft in den Mund, als müsste er sich für seinen Traum entschuldigen. Manche von uns nehmen das Ganze viel zu ernst, sagt er. Er macht sich nichts vor. "Es wäre nur so, so schön", sagt er. Sein Lächeln legt die Haut um seine Augen in einen Fächer aus Falten.

Seine Hoffnung auf das Leben nach dem Eis ist eine Liebeserklärung an das Leben. Und an die Wissenschaft. "Mit Kryonik könnte man so viel machen", sagt er, "ferne Planeten erkunden zum Beispiel. Der Raumflug dauert nämlich länger als ein Menschenleben. Oder Krisen bekämpfen – indem man einfach einen Teil der Menschheit einfriert." Wenn jeder unsterblich ist, wird es eng auf der Erde? Kein Problem. Klaus Sames hat eine Lösung parat: "Man könnte Scheiben um die Erde bauen oder eine Ladung auf den Mars schicken." Die Gedanken sprudeln nur so aus ihm heraus.

Ideen haben die Kryoniker, es scheitert an der Umsetzung

Am Todestag zählt jede Minute. Klaus Sames hat genaue Vorstellungen: Mit einer Chirurgenklemme sichert er den Brustkorb des Patienten, durchtrennt das Gewebe mit einer Säge und stöpselt die Herz-Lungen-Maschine ein. Über einen Plastikschlauch pumpt er das Blut aus dem Körper, ersetzt es durch Frostschutzmittel. Er näht die Wunde zu, legt die Leiche in eine Wanne voller Eiswürfel. Jetzt ist der Körper bereit für den Transport. Ab nach Amerika. Schläuche und Klemmen hat er schon besorgt, jetzt fehlt nur noch ein Testobjekt – am besten eine menschliche Leiche. "Wenn wir Pech haben, können wir den ersten Versuch erst angehen, wenn einer von uns Kryonikern stirbt." 

Seine Familie konnte Sames nicht für die Kryonik begeistern. Zwei ihrer Kinder hat seine Mutter überlebt, ist 94 Jahre alt geworden. Sie diskutierten ausgiebig über Kryonik, aber seine Argumente prallten an ihrem Glauben ab. "Nur weil man sich einfrieren lässt, heißt das doch noch lange nicht, dass man nicht in den Himmel kann." Seine Tochter würde er gerne mitnehmen, seine Exfrau auch. "Die hätte es verdient", sagt er. Durch sein Lachen dringt eine Nachdenklichkeit, wie sie sonst nur Stille transportiert.

Bei Maischberger war er schon, im Schweizer Fernsehen und beim SWR. Gab Interviews für Radio und Zeitung. Ein paar junge Männer sind zu den Kryonikern gestoßen, "frisch vom Studium". Einige davon sind Transhumanisten, eine Gruppe Menschen, die sich für die uneingeschränkte Nutzung von Technik einsetzen. Eine externe Festplatte fürs Gehirn? Gen-Optimierung? Nur zu. Mit ihnen stellt Sames sich gut, die Kryonik kann auf Computerfachleute nicht verzichten. Schließlich müssen die körperlichen Schäden vor dem Auftauen repariert werden. 

Im Edelstahltank wird er allen Krisen hilflos ausgesetzt sein – Diktatur, Krieg, Inflation, Naturkatastrophe. "Ja, es kann unglaublich viel Scheiße passieren, während wir im Schlaf liegen." Sein Hemd ist gebügelt, seine Worte sind es nicht immer. "Vielleicht kommt jemand auf die Idee, uns als billige Arbeitskräfte herzunehmen oder als Sklaven?" 

Doch des Professors größte Sorge ist eine andere: Wird es in der Zukunft Menschen geben, die ihn auftauen? Dann wischt er die Sorge weg: "Wenn die sehen, was da für tolle Kerle im Eis liegen, werden die schon auf den Geschmack kommen."

 


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2 Kommentare verfügbar

  • maguscarolus
    am 16.10.2014
    Antworten
    Obwohl ich sonst kein Anhänger von Nützlichkeitspurismus bin:

    Welchen Nutzen sollte es für die Menschheit haben, in tausend Jahren irgendwelche Ötzis zu reanimieren?
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