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Milch-Genossin

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Elfriede Ramsteiner hat 28 Milchkühe, ein paar Bullenkälber und eine Menge Wut im Bauch. Im Kinzigtal in der Ortenau, zwischen Straßburg und Bodensee, ist sie seit Jahren eine der Frontfrauen im Kampf für einen fairen Milchpreis.

Landfrau der ersten Stunde: Elfriede Ramsteiner. Foto: Martina Wörz

Halb neun Uhr abends, Feierabend. Elfriede Ramsteiner, 56 Jahre alt, Bäuerin des Ramsteinerhofs, hat an diesem Tag fünf Kuchen gebacken für die Gäste in den Ferienwohnungen, kiloweise Suppengewürz in Gläser abgefüllt für den Landfrauenmarkt. Sie hat einen Holzspreißer aus der Hand eines Kindes gezogen, ein Pony eingefangen, die Hühner versorgt, die Hasen, dreimal die Spülmaschine aus- und ein geräumt, die Hausaufgaben der Enkel betreut, zweimal die Kühe gefüttert und die Bullenkälber, die keine Namen haben, weil sie irgendwann als Fleischwurst auf einem Vesperbrettchen enden. Davor, danach und zwischendurch macht sie Politik. Sie hat zwei Telefone, die sie ständig mit sich herumträgt, immer erreichbar, rund um die Uhr. Elfriede Ramsteiner fährt ungern in den Urlaub, und sie hat ungern frei, weil sie dann ja nichts zu tun hat. Jeden Morgen steht sie um sechs Uhr auf, außer sonntags, da kann es auch mal halb sieben werden.

Wäre Elfriede Ramsteiner ein Auto, wäre sie ein Jeep mit 220 PS, Sechsgang-Schaltgetriebe und Allradantrieb. Stark, zuverlässig, angriffslustig, eine Marke und bereit, jeden noch so steilen Hügel zu erklimmen und durch das tiefste Tal zu pflügen. Sie lebt in 77765 Hausach, Schwarzwald, wo Urlauber mit Nordic-Walking-Stöcken Löcher in den bemoosten Schwarzwaldboden stanzen und die Eier noch direkt aus dem Huhn kommen und nicht aus einem Pappkarton. Ihre Kühe grasen im Sommer auf einem sehr steilen Steilhang hinterm Haus. Und jenseits der Dorfstraße auf den Weiden zweier Höfe, die Elfriede und ihr Mann Konrad dazugepachtet haben, weil der schlechte Milchpreis die einstigen Besitzer in die Knie zwang.

Dieser Landstrich zwischen Bodensee und Straßburg ist nicht der Ort für theoretische Emanzipation. Elfriede Ramsteiner ist die Galionsfrau des Kinzigtals im Kampf um einen fairen Milchpreis und eine der Mütter einer Bewegung unter Bauersfrauen, die keine Zeit haben, sich über einen wie Rainer Brüderle und seinen Dirndl-Spruch aufzuregen. "Ja, mein Gott", sagt Elfriede Ramsteiner und dreht die Augen auf zwölf. Dort geht es um eine ganz praktische Frauenbewegung. 

Für Feriengäste gibt es das romantische Landleben. Foto: Martina WörzIn Hausach gab es lange einen Frauenverein. Aber der hielt seine Treffen immer zu Zeiten, zu denen die Kühe auf den Höfen noch nicht gemolken und gefüttert waren. Und weil Elfriede Ramsteiner und eine Freundin fanden, die Frauen auf den Höfen des Kinzigtals sollten auch die Möglichkeit haben, sich kennenzulernen, damit nicht jede für sich wurschtelt, und damit sie sich Hilfe und Unterstützung sein können, gründeten sie einen Landfrauenverein. Termine bis fünf oder ab sieben, nach der Stallzeit. 63 Frauen waren zur Gründungssitzung dabei. Das war 1996. Elfriede Ramsteiner war jahrelang die Vorsitzende.

Die Landfrauen boten damals und bieten heute noch Kurse an zum Thema Gästebetreuung auf dem Bauernhof, PC für Anfänger und Fortgeschrittene, Gartenbau-Seminare, Austausch über Saatgut, Dünge- und Futtermittel, Kurse über gesunde Ernährung, alles, was wichtig ist für ein Landleben, das nur für Feriengäste romantisch ist. Und manchmal, wenn sie finden, sie haben es verdient, gönnen sie sich die Kinzigtal-Frauen auch mal ein Wellness-Wochenende. Seit es den Verein gebe, sagt eine Nachbarin, seien die Frauen "irgendwie beschwingter". In Hausach gibt es einen Ableger des BLHV, des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands – das ist der "Männerverein", sagen die Frauen, schon seit Jahrzehnten organisiert. Der war bei der Gründung der Landfrauen sogar dabei. Damals fanden die Bauern die Landfrauen-Idee prima, heute sagen viele – nur halb im Scherz –, "wenn wir gewusst hätten, dass ihr so viel unterwegs seit, wären wir dagegen gewesen".

Elfriede Ramsteiner hat den Bäuerinnen in den sieben Tälern rund um Hausach das Selbstbewusstsein gegeben, nicht nur die Frau von diesem und jenem Mann zu sein, sondern einen eigenen Namen zu haben. Und die Kraft, für Belange einzustehen, die dort lange Männersache waren: für Freizeit außerhalb des Hofs, für Gesellschaft außerhalb der Familie, für Gemeinsamkeit, gegen das ausschließliche Dreigestirn "Kinder, Küche, Kirche" und für den Mut zur politischen Mitsprache.

Elfriede Ramsteiner: Es tobt ein richtiger Kampf um die Milch. Sie hat geholfen, die Männer und Frauen des Kinzigtals auf dieselbe Stufe zu heben und sie letztlich dazu gebracht, an einem Strang zu ziehen im Kampf um den Erhalt der kleinen Milchwirtschaftsbetriebe, die an fehlgeleiteten Subventionen, europaweiter Überproduktion und Dumpingpreisen für Milch-Fitnessdrinks, Gesundheitsjoghurt und Billigkäse sterben. "Bei Ihr laufen die Fäden zusammen", sagt eine Nachbarin. "Sie hat die Kraft und die Stärke, etwas zu bewegen."

Für die Landfrauen saß Elfriede Ramsteiner lange Zeit im Vorstand des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands, im "Männerverein". Und als der mit dem Milchpreis zerfiel, in die Milchbauern auf der einen und die Obst-, Forst- und Fleischbauern auf der anderen Seite, trat sie dort aus und wechselte in den Kreisvorstand des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter und begann sich für einen fairen Milchpreis zu engagieren. "Wir bieten ein Qualitätsprodukt an, das wir zu einem lächerlichen Preis abgeben", sagt sie. Konrad Ramsteiner, Elfriedes ruhiger Ehemann, nickt heftig über seinem Vesper-Brettchen. Früher hat er sich stark für den Milchpreis engagiert, aber seitdem er nicht mehr so kann, wegen der Gesundheit, hat seine Frau viel davon übernommen. Eigentlich unterstützt er ihr Engagement. Aber wenn sie dauernd unterwegs sei, dann fehle sie ihm schon, sagt er. Elfriede und ihr Mann sind ein eingespieltes Team, vertraut und innig, wie man vermutlich nur empfinden kann, wenn man gemeinsam für etwas kämpft.

Vor zwei Jahren bekamen die Ramsteiners 23 Cent für den Liter. Das hat all ihre Ersparnisse aufgebraucht und machte sie so grantig, dass sie die Milch ihrer 28 Kühe auf den Feldern rund um den Hof verschüttete. "Für einen kostendeckenden Milchpreis und aus Solidarität mit den europäischen Milchbauern werden wir keine Milch abliefern", stand damals an der Stalltür des Ramsteinerhofs. In diesem Jahr sind es immerhin 33 Cent, die mit Ach und Krach die Kosten für den Hof decken. Um gut leben zu können, hat eine Studie des European Milk Board kürzlich für einen Kuhbestand von 40 Kühen in der Region Süd 51 Cent Erzeugerkosten errechnet, Subventionen eingerechnet.

Dafür demonstriert Elfriede Ramsteiner in Brüssel, Luxemburg, Berlin und vor dem EU-Parlament in Straßburg. Dafür, dass sie von ihrem Produkt leben kann, ohne überhaupt Subventionen zu kassieren. Dann zieht sie ihr T-Shirt mit der Aufschrift "Faire Milch" über, packt die "Schmidt-Josefine" aus der Nachbarschaft ein und steht Stunden später zwischen Bauern aus Irland, Österreich und Italien mit selbst gemalten Transparenten: "Die Milchpolitik, oh welch ein Graus, das hält doch keine Sau mehr aus." Bei einer Demo vor zwei Jahren hätten ein paar Franzosen ein Dixi-Klo angezündet, sagt Ramsteiner. Die Klimaanlage habe den Gestank im ganzen Parlament verteilt. 

Dieses freundliche Wesen liefert die Milch für Ramsteiners Käse. Foto: Martina WörzEs ist ein richtiger Kampf, sagt Elfriede Ramsteiner. Und dieser Kampf spaltet nicht nur den Bauernverband, den Dachverband der Deutschen Agrarwirtschaft, sondern auch die Kollegenschaft untereinander – in die Landwirte, die wenig Milch produzieren, und die, die regelmäßig zu viel auf den Milchmarkt schütten und damit den Preis drücken. "Wir Bauern verramschen unsere Milch. Dann können wir sie auch gleich selber behalten."

Elfriede Ramsteiner kann schimpfen wie ein Rohrspatz. Aber weil nur schimpfen der Sache kaum zuträglich ist, begann sie, selbst ganz praktisch etwas gegen die Milch-Misere zu tun. Der erste Schritt: Seit 2006 macht sie ihren Käse selbst. Übers Internet fand sie eine mobile Käserei "mit Knowhow zum Mieten", die seitdem regelmäßig durch den Ort fährt, die Milch der Ramsteiners in Hartkäse verwandelt und die einiger Nachbarhöfe gleich mit. Seitdem verkauft sie ihren Käse selbst – und mit ihm den Liter Milch zu einem anständigen Preis.

Vor drei Jahren ließ sie sich in den Aufsichtsrat der Milcherzeuger-Genossenschaft Ortenau (MEG) wählen, mit 203 von 209 Stimmen, mittlerweile ist sie Aufsichtsratsvorsitzende der Gemeinschaft, einstimmig gewählt, als einzige Frau unter lauter Männern, geachtet, respektiert, weil sie kein Blatt vor den Mund nimmt. Für die MEG sitzt sie auch im Aufsichtsrat der Schwarzwaldmilch, einer Genossenschaft aus 1400 bäuerlichen Kleinbetrieben aus dem Schwarzwald mit Sitz in Offenburg und Freiburg. Die MEG hält zwanzig Prozent der Schwarzwaldmilch, die anderen achtzig gehören der MEV, der Milcherzeugergemeinschaft Breisgau-Südschwarzwald. Und zwischen denen gibt es Streit, derzeit um einen Sammelliefervertrag, um gegen die Molkereien mit mehr Schlagkraft auftreten zu können. Ramsteiner kämpft mit ihrer MEG dafür, die MEV dagegen. Direktvermarkterin Ramsteiner. Foto: Martina Wörz

Elfriede Ramsteiner hatte sich eigentlich für den Aufsichtsrat aufstellen lassen, weil sie dachte, als Frau könne man da was bewegen. Eine andere Herangehensweise ausprobieren, weil sie findet, Männer seien manchmal so wenig kooperationsbereit und kompromissfrei. Mehr Verständnis könnte helfen, aufeinander zugehen, diskutieren. "Dachte ich so", sagt Ramsteiner. "War aber nix." Seitdem ihr das bewusst ist, ist sie einmal die Woche mit einer Handvoll Bauern unterwegs und besichtigt andere Milchwerke. Immer in der Hoffnung, die Gemeinschaft zu vergrößern, die sich mit ihr für einen fairen Milchpreis starkmacht. 

Ob sie zuversichtlich ist? Rom sei ja auch nicht an einem Tag erbaut worden. "Aber wenn niemand etwas macht, dümpeln wir in zwanzig Jahren noch so dahin. Wenn überhaupt." Kein Wunder, dass da Pferd in der Lasagne sei und Bio-Eier dann doch nicht bio, bei den Preisen, die da gezahlt würden, sagt sie. Elfriede Ramsteiner ist wie ein Fels in der Brandung im europaweiten Kampf um die Wertschätzung der Bauern, ihrer Arbeit, ihrer Tiere, der Landschaft, in der sie lebt, und der Lebensmittel, die die Menschen so kaufen. Aufgeben? Nein, sagt sie, auf keinen Fall. "Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, der hat schon verloren." 

Kürzlich hat sie sich ein Poster an die Bürotür geklebt: "Trau dich" steht drauf. Trau dich, Rebell zu sein. Als ihr Mann das Plakat an der Tür hängen sah, war er skeptisch. Gesagt hat er wenig. Nur leise "oje" geseufzt.

 


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