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Anonymus in Uniform

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Alle fordern Transparenz. Die Piratenpartei punktet damit und zieht reihum in die Parlamente ein. Eine relevante Berufsgruppe im Land, die Polizei, steht allerdings auf der Bremse. Die meisten Beamten empfinden es schon als Zumutung, Namensschilder zu tragen.

Alle fordern Transparenz. Die Piratenpartei punktet damit und zieht reihum in die Parlamente ein. Eine relevante Berufsgruppe im Land, die Polizei, steht allerdings bei einem wichtigen Thema immer noch auf der Bremse. Die meisten Beamten empfinden es offenbar als Zumutung, Namensschilder oder anonymisierte Kennziffern an der Uniform zu tragen. Sie fühlen sich unter Generalverdacht gestellt, geradezu kriminalisiert. So geht es vielen Zivilbürgern schon lange, wenn sie für ihre Interessen demonstrieren. Sie fühlen sich dabei oft genug zu Unrecht als Gewalttäter verdächtigt.

Die Beamten repräsentieren und exekutieren das Gewaltmonopol des Staates. Da ist es eine Selbstverständlichkeit, wenn Bürger jederzeit nachvollziehen können, wer diese Macht konkret ausübt. Sicher ist die Entanonymisierung von Polizeibeamten keine Generallösung. Es wird auch dann weiter Gewalt geben. Aber es wäre ein gutes Zeichen der Deeskalation. Anonyme und bewaffnete Uniformierte schaffen alles, nur kein Vertrauen.

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Bürgerbeteiligung, soziale Bewegungen, Protest sind bekanntlich nicht jedermanns Sache. Meistens sind sie sogar nur wenig zuträglich für die Wirtschaft – und die steckt ja überall drin. Sogar im Theater. Momentan schleicht die Wirtschaft recht abgemagert um das Schauspiel in Leipzig. Der Grund bisher: Intendant Sebastian Hartmann. Geniales Theater, sagen die einen, nicht auszuhalten, sagen sehr viele andere.

Nun soll der Posten des Leipziger Intendanten ab 2013 neu besetzt werden. Eine Findungskommission wurde einberufen, bestehend aus Kulturexperten und Mitgliedern der Stadtverwaltung. Die Stadt um Oberbürgermeister Burkhard Jung favorisierte Enrico Lübbe, die Experten empfahlen Lösch – und waren in der Überzahl.

Das Skandälchen von Leipzig: Kurz nachdem sich die Kommission zum letzten Mal getroffen hatte und sich mehrheitlich für Volker Lösch und – als Alternative zum Stuttgarter Aktivisten – zwei moderatere Kandidaten entschieden hatte, sagte ein Stadtsprecher der Nachrichtenagentur dapd, Leipzig habe sich auf Empfehlung der Findungskommission auf Enrico Lübbe geeinigt. Seiner Berufung müsse die Stadt in einer Gemeinderatssitzung noch zustimmen.

Einigen Experten der Findungskommission ging der Hut hoch. So sehr, dass sie ihrerseits eine Richtigstellung an die Presse herausgaben: Enrico Lübbe, so verkündeten sie, sei zumindest von den Experten eben gerade nicht für den Posten empfohlen worden. Volker Lösch dagegen schon, mehrheitlich.

Aber für Lösch, sagt ein Experte, der dabei war, muss man Mut haben. Und den habe die Stadt eben nicht. Offenbar habe der Oberbürgermeister auch Angst, dass die Theaterwirtschaft mit Lösch als Nachfolger des experimentellen Hartmann weiterhin darbend am Hungertuch nagt, denn nicht allen Bürgern, die sich an irgendwas beteiligen könnten, schmeckt das Volker Lösch ins Blut übergegangene Bürgerbeteiligungstheater.

"Vielleicht", mutmaßt eine weitere Person aus dem Findungsausschuss mit einem Lächeln, "hat OB Jung auch ein wenig Angst, dass seine Bürger unter Lösch beginnen, das Rathaus zu erstürmen." Lieber Herr Jung: Wir in Stuttgart haben den Lösch schon eine ganze Weile. Und bisher sind wir ganz gut mit ihm fertig geworden.

 


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1 Kommentar verfügbar

  • Shoobidoo
    am 14.06.2012
    Antworten
    Interessanter Beitrag zu den anonymen Uniformträgern, guter Beitrag um die Mauscheleien bei der Bewerbung von Volker Lösch um die Leipziger Intendanz – bis auf den letzten Satz: Irrtum, liebe Redaktion, wir Stuttgarter sind mit Volker Lösch nicht fertig geworden, im Gegenteil, wir verdanken ihm…
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