KONTEXT:Wochenzeitung
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Dauernd geht's ums Geld

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"Treffen sich drei Marxist:innen zum Gespräch, entstehen dabei vier Theorieschulen", witzelte einmal der Philosoph Michael Weingarten, Mitglied der Linkspartei und damit Experte für Grabenkämpfe. Nicht nur die Arbeiter aller Länder denken nicht daran, sich zu vereinigen, auch bei den Arbeiterinnen sieht es schlecht aus: Zwischen Gleichheits- und Differenzfeminismus, den ökologisch, spirituell, materialistisch und/oder revolutionär ausgerichteten Strömungen, fallen die Unterschiede im emanzipatorischen Spektrum längst so groß aus, dass der Überbegriff Feminismus heute kaum noch hilft, einen Standpunkt klarzumachen. Aber er eignet sich hervorragend für Marketing-Zwecke, wie unsere Kolumnistin Elena Wolf schreibt. Etwa wenn H&M passend zum Internationalen Frauentag ein pinkes Shirt mit dem Schriftzug "Feminist" anbietet, bei dem die "i"-Buchstaben durch pinke Rosen ersetzt wurden.

Auf der einen Seite springt die Warenwelt auf Female-Empowerment an. Auf der anderen bleibt die strukturelle Unterdrückung der Frauen auch im Jahr 2023 gesellschaftliche Realität, wie schon ein Blick auf die Gehaltszettel offenbart. Und ausgerechnet in der Kulturbranche, die gemeinhin als progressiv gilt, sind die Zustände besonders übel. "Die Tendenz ist eindeutig", fasst Autor Dietrich Heißenbüttel zusammen. "Während unter dem prekären Einkommen bis 800 Euro im Monat Frauen viermal so stark vertreten sind wie Männer, verhält es sich bei den wenigen, die mehr als 2.400 Euro im Monat verdienen, genau umgekehrt."

Und trotzdem fällt es den verschiedenen Gruppierungen, die für eine Gleichberechtigung der Geschlechter streiten, nicht leicht, gemeinsame Sache zu machen. Um auszuloten, was sich die verschiedenen Strömungen überhaupt noch zu sagen haben, hat Kontext fünf Frauen zum Redaktionsgespräch geladen, um über Sexkauf, Transmenschen und allerlei mehr zu diskutieren. Mitunter ging es hitzig zu und, so viel sei verraten, nicht alle Meinungsverschiedenheiten konnten aus der Welt geräumt werden. Doch die Soziologin Annette Ohme-Reinicke hält fest, dass der Einsatz für bessere Verhältnisse nicht ausreicht: "Wir müssen heute viele Errungenschaften verteidigen, vor allem gegen rechts." Deswegen ihr "Appell mit drei Ausrufezeichen": zusammenzuarbeiten und nicht gegeneinander.

Kurz vor dem Frauentag am 8. März berichtete die "Stuttgarter Zeitung" (StZ) über einen Menschen "aus einer anderen Zeit, als es noch echte Typen gab, nicht nur weichgespülte Gernegroße". Gemeint war Gerhard Mayer-Vorfelder, zu Lebzeiten Minister in Baden-Württemberg, aber wichtiger noch: hochrangiger Fußballfunktionär und laut StZ ein "Macher mit Kanten". Mayer-Vorfelder wäre zum Monatsanfang 90 Jahre alt geworden, und beim Jubel zum Jubiläum hätte eine Erinnerung an die chauvinistischen Ausfälle des Hardcore-Rechtsaußen wahrscheinlich nur gestört. Unser Redakteur Oliver Stenzel war so frei, diese Lücke zu schließen.

Noch ein alter, weißer Rechter, der vor allem in Stuttgart gerne verharmlost wird, ist Konrad Kujau. Der Fälscher der "Hitler-Tagebücher" wird gerne als unpolitisches Schlitzohr dargestellt. Zu einer ganz anderen Einschätzung kommt der Politikwissenschaftler Hajo Funke. Er wertet die 60 Tagebücher als Mittel der Holocaust-Leugnung: "Sie wollten Hitler von den schlimmsten Verbrechen der Nazis freisprechen." Kontext-Autor Joe Bauer ist Kujau mehrfach begegnet. Und er hat sich aktuell mit einem Gastronomiebetreiber unterhalten, der sich daran erinnert, wie Kujau gerne im Gestapo-Look in seinem Stammlokal saß und sich das Bier in einem für ihn reservierten Krug mit aufgedrucktem SS-Totenkopf bringen ließ.

Sollte was dran sein an der These, dass es derlei "echte Typen aus einer anderen Zeit" heute nicht mehr gibt – es wäre ein Silberstreifen am Horizont.


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