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Wir sind alle Radio Dreyeckland

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In Freiburg spielt sich Ungeheuerliches ab. Nicht nur der Sender Radio Dreyeckland (RDL) ist ins Visier der Ermittlungsbehörden gerückt, sondern potenziell alle, die das Informationsangebot im Internet nutzen – weil in einem faktisch korrekten Tatsachenbericht ein Link zu einem öffentlich einsehbaren Archiv gesetzt wurde. Wie in Kontext bereits berichtet, wirft die Staatsanwaltschaft Karlsruhe einem Redakteur des Senders vor, er habe sich durch die Verlinkung zum "Sprachrohr" der verbotenen Vereinigung "linksunten.indymedia" gemacht und betreibe Propaganda unter dem Deckmantel der Information. Jüngst gab der Sender auf einer Pressekonferenz bekannt, dass dies in den Augen der Staatsanwaltschaft nicht nur mehrere Hausdurchsuchungen rechtfertigen solle. Ein Blick in die Akten habe zudem offenbart, dass die Ermittler:innen bei dem Hoster der RDL-Website alle IP-Adressen erfragt haben, mit denen seit der Veröffentlichung des strittigen Artikels im Juli 2022 auf die Seite zugegriffen wurde.

RDL-Redakteur Fabian Kienert, der auch als freier Autor für Kontext arbeitet, sagt, der ganze Vorgang mache ihn fassungslos. Am 17. Januar dieses Jahres wurde er morgens von der Polizei geweckt, die seine Wohnung durchsuchte. Dadurch sollte nach Darstellung der Staatsanwaltschaft geklärt werden, wer den Artikel "Ermittlungsverfahren nach Indymedia Linksunten Verbot wegen 'Bildung krimineller Vereinigung' eingestellt" verfasst hat. Kienert räumte ein, der Autor zu sein. Dennoch wurden verschiedene Datenträger seitens der Polizei beschlagnahmt – nicht nur bei ihm. Auch beim RDL-Geschäftsführer Andreas Reimann fand zeitgleich eine Durchsuchung statt, bei der unter anderem ein Rechner mitgenommen wurde, auf dem sensible Informationen, etwa zu den Finanzen des Senders, gespeichert sind. Kienert kommentiert: "Dass es einen Verantwortlichen gibt, scheint der Staatsanwaltschaft nicht zu reichen, es geht ganz offensichtlich um Ausforschung."

Massiver Eingriff in Quellenschutz

Nach einer anwaltlichen Intervention habe die Staatsanwaltschaft nach Angaben des Senders versprochen, die Anfrage an den Hoster zurückzuziehen, alle IP-Adressen preiszugeben. Eine schriftliche Bestätigung gebe es allerdings nicht. Wie RDL-Techniker Franz Heinzmann ausführt, habe die Staatsanwaltschaft vom Hoster auch die Anmeldedaten für die RDL-Website angefragt, so dass im Falle einer Herausgabe "sämtliche Radiokommunikation der letzten 25 Jahre bei der Polizei gewesen wäre". Inzwischen haben die betroffenen Personen ihre beschlagnahmten Datenträger zurückerhalten – allerdings wurden Kopien der nur teilweise verschlüsselten Datensätze angefertigt, die nach dem Willen der Staatsanwaltschaft noch ausgewertet werden sollen.

Aktuell findet das nach Angaben der Staatsanwaltschaft nicht statt, weil eine Beschwerde beim Landgericht Karlsruhe vorliegt, die die Rechtmäßigkeit der staatlichen Maßnahmen gegen RDL bezweifelt. Mit einem ersten Versuch vor dem Karlsruher Amtsgericht scheiterte der Sender, das Gericht bestätigte die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahmungen. Begründung: "Die Klärung der Frage, ob und inwieweit der Beschuldigte gegebenenfalls gemeinschaftlich mit weiteren Verantwortlichen an der Veröffentlichung mitgewirkt hat, ist zur Aufklärung der Straftat notwendig." Ob die Rechtsauffassung des Amtsgerichts sich auch in höheren Instanzen durchsetzen kann, wird seitens RDL bezweifelt. Der Sender kündigt an, "die Pressefreiheit notfalls auch juristisch bis zum Bundesverfassungsgericht zu verteidigen".

Tatsächlich ist es ein Fall von grundsätzlicher Bedeutung, weil ein massiver Eingriff in Redaktionsgeheimnis und Quellenschutz vorliegt, auf Basis einer, nun ja, kreativen Begründung. Das sollte besser keine Schule machen und schön wären auch entschiedene Reaktion seitens der Landespolitik. Immerhin betonte Ministerpräsident Winfried Kretschmann 2021 in einem Interview mit der in Freiburg ansässigen "Badischen Zeitung": "Pressefreiheit ist demokratisch gesehen das Grundrecht schlechthin" und zeigte sich besorgt, "dass Deutschland in der internationalen Rangliste der Pressefreiheit abgesunken ist".


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1 Kommentar verfügbar

  • NKs
    am 27.02.2023
    Antworten
    War das in Russland? (Ironiemodus)

    Ne echt, dröhnendes Schweigen in den überragenden Medien - rühmliche Ausnahme diesmal der SWR (bei SWR2). Bitte bleibt dran!!
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