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Nebelkerzen-Weitwurf

Nebelkerzen-Weitwurf
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Liberale haben es halt auch nicht leicht. Erst zum Jahresbeginn verliehen Udo Stiehl und Sebastian Pertsch, das Autoren-Duo hinter dem medienkritischen Projekt "Floskelwolke", dem Begriff "Freiheit" einen Negativpreis. Nicht weil gegen das hoch angesehene Gut etwas einzuwenden wäre, sondern weil in dessen Namen "inzwischen egoistische Forderungen gestellt werden" und das Wort nach dem Prinzip "Ich, ich, ich!" selbstgerecht und unsolidarisch missbraucht werde.

Prompt folgte ein zweiter Schlag: Eine Jury kürte jüngst "Klimaterroristen" zum Unwort des Jahres, denn durch die Begriffsverwendung würden Aktivistinnen und Aktivisten "kriminalisiert und diffamiert werden". Was soll sich da nur Anna Schneider denken? Die "Chefreporterin Freiheit" bei der "Welt" und Autorin des Buchs "Freiheit beginnt beim Ich" kommentierte die Wahl auf Twitter: "Bloß nicht zu viel Kritik an den Klimaergebenen, es könnte ihre Gefühle verletzen."

Sich dem Klima ergeben? So weit kommt's noch! Da loben wir uns "Welt"-Chef-Ulf Poschardt, den engagiertesten und wohl auch mutigsten Widerstandskämpfer gegen ein Tempolimit. Wild entschlossen, seine Freiheit auf deutschen Autobahnen zu verteidigen, schreibt er Dinge wie: Der Versuch, "einen der wenigen verbliebenen nicht egalitären Räume in der Bundesrepublik ebenso zu regulieren wie alles andere", verrate viel über die "Psychodynamik dieser Bewegung". Denn, so analysiert der Sigmund unserer Zeit: "Es geht am Ende vor allem um Sozialneid – und auch um die eigene kulturelle Impotenz: Sie hat nichts anzubieten, was auch nur annähernd an die Feinheit, Eleganz, Komplexität, Innovation, Kraft, Verführung eines Ferrari 812, eines Audi E-Tron oder Porsche GT2 RS heranreicht."

Und weil sich viele Spitzenmodelle von Porsche laut Herstellerangaben nicht auf einen Elektromotor umrüsten lassen, muss die Devise lauten: immer schön "technologieoffen" bleiben – wobei auch dieser Begriff unter den Top 3 der Floskeln des Jahres gelandet ist. Denn: "Auf altbackene Techniken beharren und unwirtschaftliche Ideen aus der Glaskugel anpreisen. Nach allen Seiten offen und modern zu erscheinen, ist sprachlicher Nebelkerzenweitwurf bei marktwirtschaftlicher Sturheit." Passend dazu hat Kontext-Autor Jürgen Lessat recherchiert, warum die angeblich "klimaneutralen Kraftstoffe" namens E-Fuels nicht als lebensverlängernde Maßnahme für Verbrennungsmotoren taugen: Genauer betrachtet, ist ihre Gesamtbilanz ökologischer Unsinn.

Ganz schön sinnvoll dagegen ist unsere neue Homepage. Kontext ist nämlich kürzlich umgezogen: von einem Server zu einem anderen, und seitdem ist die Such- und Archiv-Funktion (geht bis Ausgabe 1 vom 6. April 2011) eine echte "Performance-Rakete", wie unser Techniker es nicht ohne Stolz bezeichnet. Wobei. Als wir kürzlich in einem Artikel über eine Genossenschaftsgründung eine der beteiligten Genossinnen mit den Worten zitierten, die Idee sei "eingeschlagen wie eine Bombe", haben wir ein entrüstetes Schreiben bekommen. Der Satz sei derzeit "mehr als verstörend", hieß es da. "Haben die Menschen der Ukraine, wenn die Bomben einschlagen, auch ein positives Gefühl? Also ehrlich." Wir empfehlen: Nicht ärgern, sondern die, sorry, "Rakete" nutzen und in alten Kontexten rumstöbern. Hier geht es zu unserem Archiv.


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