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Wir können warten

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Oh diese Verzagtheit! Dass sich die baden-württembergischen Grünen bei vielen Themen als allzu kleinmütig und zaudernd erweisen, kritisiert Kontext-Autorin Johanna Henkel-Waidhofer in dieser Ausgabe anhand mehrerer Beispiele. Eines fehlt noch: Was den Umgang mit dem Radikalenerlass von 1972 angeht, durch den vermeintliche Verfassungsfeinde vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen werden sollten, hatte Winfried Kretschmann die anfangs in ihn gesetzten Hoffnungen arg enttäuscht. Obwohl Ende der 1970er selbst vom Erlass betroffen, rechtfertigte der grüne Ministerpräsident schon kurz nach seinem Amtsantritt 2011 die Berufsverbote sogar teilweise und schien sich mehr darüber zu grämen, einst gläubiger Kommunist gewesen zu sein, als darüber, dass damit viele Lebensplanungen zerstört wurden. Dass man sich bei den Opfern entschuldigen, sie gar rehabilitieren wolle? Hör mer uff.

Anfang 2022 dann der Hoffnungsschimmer: Vom Dokumentarfilmer ("Jagd auf Verfassungsfeinde") und Kontext-Autor Hermann G. Abmayr nach Möglichkeiten einer Rehabilitierung gefragt, antwortete Kretschmann: "Wir warten jetzt einfach mal diese wissenschaftliche Studie ab. Und wenn uns die vorliegt, dann können wir uns mit der Frage auch noch einmal befassen."

Besagte wissenschaftliche Studie liegt seit Ende Mai vor. Der Sammelband "Verfassungsfeinde im Land?" ist das knapp 700 Seiten umfassende Ergebnis eines 2018 vom Land in Auftrag gegebenen Forschungsprojekts der Uni Heidelberg. Und er bestätigt im Großen und Ganzen, dass sich der Erlass mit "unverhältnismäßig großem bürokratischem Aufwand" vor allem gegen Menschen richtete, die mitnichten Feinde der Verfassung oder der Demokratie waren, dass er vor allem Linke und nur extrem wenige Rechte betraf, dass mit "Kanonen auf Spatzen" geschossen wurde. So schreibt es die Historikerin Mirjam Schnorr, die zugleich feststellt: "Die Frage jedoch, ob die Betroffenen ihre Forderungen in naher Zukunft eingelöst wissen können, das zu entscheiden, ist freilich nicht die Aufgabe der Wissenschaft, sondern vor allem eine des politischen Wollens."

Wie es denn nun mit dem politischen Wollen und einer etwaigen Positionierung stehe, wollte Kontext vom Ministerpräsidenten wissen. Vom Staatsministerium in der Villa Reitzenstein kam die Antwort: "Wir werten die Ergebnisse der Studie derzeit aus – und darauf aufbauend werde ich entscheiden, wie wir weiter mit diesem Thema umgehen." Das klingt nicht komplett entmutigend. Nicht mehr ganz so Junge werden sich trotzdem an einen Werbe-Spot des Komikers Rüdiger Hoffmann für einen Internet-Anbieter erinnert fühlen: "Ich bin jung, ich kann warten."

Nicht mehr warten wollen die Betroffenen und die Gewerkschaften. Am vergangenen Freitag richteten der DGB, Verdi und GEW einen offenen Brief an Kretschmann. Die "in Baden-Württemberg verhängten Berufsverbote sind ein Unrecht, das nicht mehr gut zu machen ist", stellten die jeweiligen Vorsitzenden Kai Burmeister, Martin Gross und Monika Stein darin fest. "Die betroffenen Kolleginnen und Kollegen erwarten, dass das Unrecht zumindest anerkannt wird, dass sie vollständig rehabilitiert werden und dass das Land zu einer materiellen Entschädigung bereit ist. Wir fordern Sie daher auf, in dieser Angelegenheit aktiv zu werden." Und um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, lädt der DGB am heutigen Mittwoch um 17:30 Uhr zu einer Diskussionsveranstaltung ins Stuttgarter Gewerkschaftshaus (Willi-Bleicher-Str. 20), Titel: "Wenn der Dienst verboten wird – Berufsverbote gestern, heute und morgen." Eintritt ist frei, aber Anmeldung erforderlich.

Blockade-Bürgermeister blockiert

Nicht mit grüner Verzagtheit hat es zu tun, dass es im Münstertal im Schwarzwald noch keine Windräder gibt. Vom "Blockade-Bürgermeister" mit SPD-Parteibuch hatte Kontext-Autor Jürgen Lessat Mitte Juni in Kontext geschrieben, denn Schultes Rüdiger Ahlers hatte derart ins Abstimmungsverfahren des Gemeinderats eingegriffen, dass die Verpachtung von kommunalem Grund an die lokale Bürger-Energiegesellschaft am Ende scheiterte. Nun aber hat das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald das Abstimmungsverfahren des Bürgermeisters als nicht in Einklang mit der Gemeindeordnung bewertet, die Beschlüsse seien deshalb nichtig. Im Gemeinderat soll deshalb der Tagesordnungspunkt über die Verpachtung noch im Juli vor der Sommerpause erneut aufgerufen werden und zur Abstimmung kommen. Wir bleiben dran.

Schauspiel Stuttgart: "So etwas noch nie erlebt"

Als nicht sehr verzagt gilt Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilfe (DUH), wenn er gegen fehlgeleitete Mobilitätspolitik und eine mehr von PS-Stärken und Hubraum als von Emissionsreduzierung geleitete Autoindustrie kämpft. Das bringt ihm regelmäßig Anfeindungen ein und auch den Häusern, bei denen er zu Besuch ist. Dazu gehört jetzt auch das Schauspiel Stuttgart, denn Resch ist am 9. Juli als Gastredner bei Andres Veiels und Jutta Dobersteins Stück "Ökozid" eingeladen. Auf die Facebook-Ankündigung der Veranstaltung durch die staatliche Bühne regnete es umgehend Hass-Kommentare und Mord-Drohungen, darunter auch die Frage, ob man "die Bude" nicht "einfach in die Luft jagen" könne. Die Einschüchterungsversuche via Social Media waren derart massiv, dass Schauspielintendant Burkhard Kosminski sich zu Wort meldete: "So etwas hat das Schauspiel Stuttgart noch nie erlebt", erklärte er am Dienstag in einer Pressemitteilung. "Wir sind entsetzt von der Welle an Gewalt und Hetze gegen Herrn Resch und verurteilen die Hass-Postings aufs Schärfste. Die Morddrohungen wurden an Facebook gemeldet und daraufhin entfernt. Zudem wurde gegen etliche Personen Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet." Das Haus sei ein Ort des Diskurses und der Demokratie, so Kosminski weiter, deswegen "erwarten wir, dass Meinungen und Positionen sachlich und inhaltlich konstruktiv geäußert werden". Wie das am Samstag gelingt, darf mit Spannung erwartet werden. Resch kommt natürlich und spricht ab 19:30 Uhr.


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