Journalismus und PR haben ja ein gewisses Spannungsverhältnis, und zwar ein, um eine in beiden Sphären beliebte Vokabel zu verwenden, durchaus spannendes. Während JournalistInnen idealerweise von der Realität möglichst objektiv zu berichten trachten, ist es das täglich Brot der in der Öffentlichkeitsarbeit Tätigen, das Produkt ihres Auftraggebers in den schönsten Farben auszumalen, das Ganze aber als objektive Bestandsaufnahme darzustellen. Die Anforderungen an die sprachliche Gestaltungsfähigkeiten können sich indessen ähneln, mitunter vermischen sich auch die Sphären: Man denke an Ulf Poschardt ("Welt") und seine notdürftig als Journalismus camouflierten PR-Tätigkeiten für die deutsche Automobilindustrie. Oder an die langjährige Berichterstattung der beiden Stuttgarter Zeitungen zum Stadtumgrabungsprojekt Stuttgart 21 und dem Albuntertunnelungsprojekt Neubaustrecke Wendlingen-Ulm, die den PR-Kriterien oft so perfekt entsprach, dass sich der Wechsel mancher StZN-Redakteure in Pressestellen der Bahn entsprechend reibungslos vollzog.
Wird ein Produkt jedoch zu euphorisch oder zu penetrant beworben, kann das auch nach hinten losgehen. Womit wir wieder bei S 21 und der Neubaustrecke, kurz NBS, wären. Die damit verbundenen Zeitersparnisse wurden ja bisweilen als historische infrastrukturelle Fortschrittsleistung vom Kaliber des Panama-Kanals oder der Transsibirischen Eisenbahn beworben. Ansatzweise war das auch in den vergangenen Wochen zu beobachten, als die Bahn eine Pressemitteilung nach der anderen über den Stand der inzwischen befahrbaren NBS verschickte. Mit speziellen "Testzügen" fänden "Testfahrten" statt, die zugleich "Tastfahrten" seien, genauer, "Hochtastfahrten", und zwar bis zur maximalen auf der Strecke zulässigen Geschwindigkeit von 250 km/h. Bis dahin wurde die Spannung kontinuierlich gesteigert, und die Bedeutung der ersten Höchstgeschwindigkeitsfahrt am 28. März wurde noch dadurch unterstrichen, dass ihr der grüne Landesverkehrsminister Winfried Hermann und Noch-Bahn-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla (CDU) beiwohnen sollten.
Bis hierhin stand das Drehbuch, doch ach, erst musste der Zug in Wendlingen lange auf die Fahrerlaubnis warten, ehe dann auch noch eine Signalstörung kurz vor Merklingen für weitere Verzögerung sorgte, am Ende stand eine Ankunft in Ulm mit rund 75 Minuten Verspätung. Pofalla wirkte sichtlich genervt, Hermann nahm's mit Humor: "Wie man an der Verspätung gemerkt hat, war es eine Testfahrt." Ha, der war gut! Nun darf sich auch der gemeine Bahnkunde täglich auf Testfahrten wähnen. Doch trotz des vordergründigen Scheiterns, PR-technisch war die Fahrt-Inszenierung ein Meisterstück: Eine souverän selbstironische Brechung superlativtrunkener Fortschrittsverheißungen, orientiert an der Lebensrealität der Menschen, in die nun auch zwei Großkopfete hinabsteigen wie Dante in die Hölle (und somit, geteiltes Leid, einen Sympathiebonus erhalten) – besser geht's ja fast nicht!
Nicht ganz so lehrbuchtauglich ist es, wie sich die Stadt Stuttgart momentan im Hinblick auf die Berichterstattung zu Unterkünften von Geflüchteten verhält, die wegen des Ukraine-Kriegs gerade immer voller werden. Mit den neuen Leitlinien der Stadt hat die Presse Hausverbot bekommen, Fotos für die Berichterstattung gibt's dafür von der Pressestelle der Stadt. "Geht's noch?", fragt Kontext-Redakteurin Anna Hunger. Auch in der Pressestelle des Stuttgarter Rathauses tummeln sich die ein oder anderen Ex-JournalistInnen. Was auch mit dem täglich verdienten Brot zu tun hat: Das ist in der PR meist umfangreicher, und hier gab es zudem in den letzten Jahren keinen besonderen Stellenschwund.
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