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Idioten am Werk

Idioten am Werk
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Dass der große russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski einen seiner berühmtesten Romane "Der Idiot" genannt hat, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Idiot als solcher nicht unbedingt ein geeignetes Role Model für die Bewältigung des Alltags, geschweige denn größerer Krisen ist. Wobei es bei der Beobachtung von akuter Schwachköpfigkeit auch verfehlt wäre, immer von einem Einzeltäter auszugehen; oft entsteht Idiotie auch aus kumulierten Handlungen, ist sozusagen ein Gemeinschaftsprojekt. Gut zu beobachten momentan in Afghanistan, wo Hilfsorganisationen und selbst Bundeswehr-Angehörige fassungslos sind ob der chaotischen beziehungsweise nicht vorhandenen Planung der Bundesregierung für den Abzug und dessen Folgen. Letztere haben, mal wieder, in besonderem Maße die Frauen zu tragen, wie Kontext-Autorin Johanna Henkel-Waidhofer zeigt. Dass auch die Rolle von NGOs nicht nur in Afghanistan, sondern auch in anderen Krisengebieten bisweilen eine ambivalente ist, beschreibt unser Autor Rainer Lang.

Viele Beispiele parallel auftretender Einzel-Idiotie liefern wiederum die Bürgermeister und Kämmerer dutzender Kommunen im Land, die ihr Geld bei der Greensill-Bank angelegt hatten, obwohl die Risiken nicht gerade im Verborgenen waren. Jetzt ist das Vermögen weg, Aussicht auf Entschädigung besteht kaum. Der Weissacher Bürgermeister Daniel Töpfer tat sich dabei besonders hervor, da er bei seinem Investment auch noch gegen die Anlagerichtlinien der Gemeinde verstieß.

Etwas anders geartet sind die Geld- und sonstigen Sorgen der Deutschen Bahn. Zum Anlegen hat sie eher zu wenig, versucht sie doch im Falle von Stuttgart 21 vielmehr, von den Projektpartnern das benötigte Geld für den Weiterbau einzuklagen – seit bald fünf Jahren gehen dabei Schriftsätze hin und her. Wann die Sache verhandelt wird, steht noch immer in den Sternen. Ebenso unklar ist, wann die unterirdische Haltestelle in Betrieb gehen soll, denn Jahrzehnte seit dem Planungsbeginn sind nicht mal alle Abschnitte planfestgestellt. Dass es also bis zum offiziell verkündeten Termin Ende 2025 klappt, glauben wohl nur große Idi..., äh, Idealisten.

Den Vorwurf, die immense Verzögerung hänge auch mit unkoordinierter Planung zusammen, konterte der rührige Bahn-Anwalt Peter Schütz vor einigen Jahren mit dem Satz "Hier sind keine Idioten tätig", und Böswillige mögen nun unken, seitdem harre dieser Satz einer Bestätigung. Eher kein Beweis für eine solide Konzeption war, dass am 17. August einige größere Brocken aus der Fassade des Stuttgarter Hauptbahnhofs brachen, was, wie die Bahn mittlerweile verlauten ließ, einer "versehentlich" entfernten tragenden Wand geschuldet war. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun, Anwalt Schütz hat sich noch nicht geäußert. Aber für den Kunsthistoriker Matthias Roser, einen der profundesten Kenner des denkmalgeschützten Bonatzbaus, reiht sich die Panne in eine lange Tradition der Ruinisierung des Bahnhofs, weswegen er mit ätzender Polemik für eine drastische Maßnahme plädiert.

Frank Nopper, der Stuttgarter Oberbürgermeister, will bekanntlich bei S 21 versöhnen, also Steine aus dem Weg räumen statt welche bröckeln lassen, und erklärt darüber hinaus alles zur Chefsache, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Wobei, der Klimaschutz fristete hier offenbar noch ein Schattendasein, denn die Stuttgarter Fridays for Future stellten dem Stadtoberhaupt kürzlich ein eher maues Zeugnis für sein erstes Halbjahr im Amt aus – mit Noten zwischen fünf und sechs. Worauf Nopper jetzt umgehend das Gespräch mit den Fridays suchen will. Bei "Verhalten" und "Mitarbeit" könnte dies den Schnitt vielleicht noch etwas heben.


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2 Kommentare verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 26.08.2021
    Antworten
    Nicolaus Cusanus: Der Laie über den Geist / Idiota de mente [1]

    Nun hat in Anwendung zum Begriff "Idioten" das viel zu gering angewandte:
    Psychopath – Schizophreniker – Legastheniker – funktionaler Analphabet
    ebenfalls bedacht zu sein!

    Psychopath und Schizophreniker https://up.picr.de/35…
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