Vielleicht gibt es keine Stadt auf der Welt, die Kleingeistigkeit und Größenwahn so gekonnt vereint wie Stuttgart. Wer wäre da besser als Oberbürgermeister geeignet als einer, der findet, die Landeshauptstadt "muss der leuchtende Stern des deutschen Südens sein – mindestens auf Augenhöhe mit München und Frankfurt am Main". Warum so bescheiden? Stuttgart muss New York und Tokio überragen! Oder, wie Frank Noppers Vorvorgänger Wolfgang Schuster 2003 in einem heute legendären Bewerbungsvideo für Olympia drohte: "Paris, Moskau, New York – wir kommen!"
Mal ist es ein Kulturzentrum mit Seniorentreff, das megalomanische Kommunalpolitiker Anfang der 1990er mit dem berühmten Pariser Centre Pompidou vergleichen, oder eine Freitreppe, die natürlich an die Spanische Treppe in Rom erinnert – die komplexgeplagte Selbstüberschätzung hat eine gewisse Tradition in der regionalen Politik. In der jüngeren Gegenwart wird über die Stadt am Fluss diskutiert. Schon wünscht sich die CDU eine Konzerthalle nach Vorbild der Hamburger Elbphilharmonie. Und Gerüchten zufolge soll es gerade der Neid auf München gewesen sein, der neben Gefälligkeiten für die Immobilienlobby den Ausschlag gab, dass Stuttgart aktuell den dümmsten Bahnhof der Welt baut. Gerade in den widrigen Voraussetzungen liegt ein Ansporn, die Herausforderung zu meistern. Wir Schwaben können nämlich auch was, ach quatsch, alles!
Alles? Dass es beim Projektfortschritt von Stuttgart 21 allerlei Probleme gibt, ist sattsam bekannt. Ein weniger bekanntes Detail: Der quer zum Tal gelegte Tiefbahnhoftrog, und damit sind wir wieder bei der Stadt am Fluss, unterbricht sämtliche Abwassersammler in Stuttgart. Auch den Nesenbach, der schon lange in einem Düker, also unterirdisch kanalisiert, ein lichtloses Dasein fristet. Der Verlauf dieser Wasserführung musste für den famosen Tiefbahnhof leicht geändert werden, wodurch sich laut einer 2018 erstellten Studie der Projektgegner seine Abflussleistung um bis zu ein Viertel verringerte (Kontext berichtete).
Das ist natürlich ungeschickt bei Starkregen. So wie am vergangenen Wochenende, als am Freitag auf der Leuzetunnel-Baustelle der übergequollene Nesenbach einen Bauarbeiter in den Tod riss und am Samstag ein weiteres Unwetter für Überschwemmung auf der Schillerstraße beim Hauptbahnhof sorgte. Bei Letzterem sei das Wasser wegen verstopfter Gullys nicht schnell genug abgelaufen, verkündete laut SWR die Polizei. Die S-21-Gegner glauben das nicht, sie vermuten eher, dass gerade die Überschwemmung am Hauptbahnhof "eine unmittelbare Folge von Stuttgart-21-Fehlplanungen" sind, wie sie in einer Pressemitteilung erläutern. Deswegen fordert das Aktionsbündnis gegen S 21 eine detaillierte Untersuchung der Überschwemmungen. Da darf man gespannt sein – wir bleiben auf jeden Fall dran.
2 Kommentare verfügbar
Jue.So Jürgen Sojka
am 11.06.2021Gleichwohl wer auch immer in unserem Rathaus, im Landtag, den Ministerien und Behörden ausgewählt ist Verantwortung zu übernehmen, es geht grad so weiter wie bislang [1].
Drum prüfe _ewig_, wer sich bindet! – von J.…